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Reporter Eutin

„Das Beste an der DDR war ihr Untergang!“

Peter Drauschke sprach als DDR-Zeitzeuge in der Aula der Voß-Schule.

Peter Drauschke sprach als DDR-Zeitzeuge in der Aula der Voß-Schule.

Eutin (aj). Es gab eine Zeit, da war Peter Drauschke jeden Tag unterwegs, um für den Kommunismus zu agitieren. Heute reist der 73jährige durch die Lande, um den Menschen die dunklen Seiten des DDR-Staates zu schildern. Dazwischen liegen ein zerstörter Traum, eine missglückte Flucht und eine Haftzeit im Stasi-Gefängnis. Das nämlich ist der Weg, den der Hamburger Drauschke gegangen ist und von dem er den OberstufenschülerInnen des Johann-Heinrich-Voß-Gymnasiums in der letzten Woche erzählte. 1945 in der Hansestadt geboren, fand er bereits früh die Antworten, die er suchte, in der linken Ideologie: „Ich war mit zehn schon Kommunist, mit 13 hatte ich das Kommunistische Manifest von Karl Marx gelesen“, erinnerte er sich.
 
In großer Pose, abgeguckt bei Lenin, läuft er als Junge über die Schulflure und argumentiert, besucht Diskussionsgruppen, tritt in die illegale KPD ein und driftet immer weiter ab: „Zum Leidwesen meiner Eltern“, wie er sagte. Aus dem Elternhaus nämlich kommt die radikale politische Gesinnung nicht: Der Vater ist Seemann, er erzählt dem Jungen Geschichten aus der weiten Welt. Die lässt der Sohn hinter sich, bricht buchstäblich alle Brücken ab, als er sich entscheidet, mit seinem Sandkastenfreund Erwin in die DDR überzusiedeln. Der erste Versuch scheitert, der Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörde mahnt die beiden eindringlich: „Jungs, ihr lebt in einem freien Land!“ „An ihn musste ich denken, als ich später in der Zelle saß“, sagte Drauschke.
 
Doch zunächst scheint er am Ziel, als er sich beim zweiten Anlauf 1963 in die DDR absetzen kann. Er macht Karriere im sogenannten Arbeiter-und-Bauern-Staat: In Rostock steigt er binnen kurzer Zeit in der FDJ-Bezirksleitung auf zum Sekretär für Agitation: „Es hat lange gedauert, bis ich merkte: Mit Marx und Engels hat das wenig zu tun!“, meint er rückblickend. Dann kommen die Zweifel: „Das Kriterium der Wahrheit ist die Praxis“, zitiert er Lenin. Und die Wahrheit ist in seinem Erleben: „Kein Staat hat es je geschafft, den Kommunismus zu verwirklichen.“ Stattdessen sieht er Drangsalierung, Bespitzelung schon im Kindergarten und spürt irgendwann am ganzen Körper, „dass ich das nicht mehr konnte.“ Er wirft den gutbezahlten Job hin und wird vom überzeugten Agitator zum Anti-Kommunisten.
 
In ihm reift der Entschluss zu fliehen. Über die bulgarische Hauptstadt Sofia will er die DDR verlassen, plant mit seiner Freundin und Freund Erwin 1972 die Flucht aus dem Staat, den er sich nur wenige Jahre zuvor als Ziel seiner Wünsche auserkoren hatte. Die Wahlheimat ist zur Falle geworden, die Pläne gehen schief, Peter Drauschke und die anderen sind von nun an der Stasi-Terror komplett ausgeliefert. Das heißt: Haft in Hohenschönhausen, dann in Rostock, immer unter entwürdigenden Bedingungen. Dazu zermürbende Verhöre, die einen Zweck haben: den Menschen zu brechen: „ ‚Sie sind weniger als eine Ameise. Wir können alles mit Ihnen machen!‘“, so zitiert Peter Drauschke die Offiziere der Staatssicherheit. Als er im Rahmen einer Amnestie nach sechs Monaten Isolationshaft entlassen wird - „aus diesem wunderschönen Hotel“, wie die Peiniger zynisch kommentieren -, hat er eine Schweigeverpflichtung unterzeichnet und ein Vermerk in seinem Ausweis brandmarkt ihn als politisch unzuverlässig. Der ehemalige FDJ-Kader arbeitet nun als Möbeltransporteur. Das Glück findet er im Privaten.
 
Doch seine Beziehung zu einer jungen Frau mit Kind ist von vornherein nur als vorübergehende Episode denkbar: Im Hintergrund läuft ein Ausreiseantrag, Peter Drauschke will in den Westen, in die Freiheit. Am 27. Oktober 1973 darf er aus der DDR ausreisen. Was bleibt, sind 2900 Seiten in einer Stasi-Akte, die Trauer über eine verlorene Liebe, die Bitterkeit eines zerbrochenen Traums und eine Botschaft an die Jugend: „Es ist mir wichtig, davon zu erzählen, damit nicht noch einmal solche Verbrecher die Macht übernehmen - ob von links oder rechts“, lautet sie. Fast drei Stunden lang folgten die SchülerInnen dem Zeitzeugen mit konzentrierter Aufmerksamkeit - eine Respektbezeugung für den Gast zum einen und zum anderen Ausdruck der Bedeutung, die das Thema DDR bis heute hat. So gab Jannik aus dem 11. Jahrgang Auskunft: „Das hat immer noch eine Relevanz. Und es gibt immer noch Unterschiede zwischen Ost und West, deshalb diskutieren wir darüber, nicht nur im Unterricht.“


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