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Reporter Eutin

„Stehenbleiben vor einem Menschen“

Eutin (aj). Ihre Namen stehen wieder dort, wo sie lebten, bis sie zu Opfern der Nazi-Herrschaft wurden: In der Klaus-Groth-Straße 9 und in der Albert-Mahlstedt-Straße 20, wo Sozialdemokrat Carl Ullrich und die Schwestern Jenny und Alice Nathan zu Hause waren, erinnern seit Montag Stolpersteine auf dem Bürgersteig an die drei Eutiner. Ihre Lebensläufe hatte die Eutiner Bürgergemeinschaft als Motor der Aktion im Vorfeld bereits der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (wir berichteten). In einer feierlichen Zeremonie verlegte nun der Künstler und Initiator der „Stolpersteine“, Gunter Demnig, die drei 96 x 96 Millimeter großen Messinggedenktafeln an den beiden Adressen: „Diese Stolpersteine sind für Menschen da, die in Eutin gelebt haben“, sagte Bürgermeister Carsten Behnk in der Klaus-Groth-Straße vor dem Haus der Familie Ullrich. Seine Anerkennung galt der Bürgergemeinschaft. Das Interesse war groß, auch vor dem Haus, das einst der Familie Nathan gehörte, hatten sich zahlreiche Menschen eingefunden. Diese Aufmerksamkeit war Teil einer späten Respektbezeugung: „Die Rosen stehen für die Menschlichkeit und die Liebe, und beides hat Eutin heute denen zurückgegeben, die hier Schlimmes erlebt haben“, meinte Kreispräsident Harald Werner vor den mit Blumen geschmückten Steinen. Unter denjenigen, die tief bewegt an dem würdigen Festakt teilnahmen, war Nicola Weil. Die Ur-Enkelin von Alice Nathan, die als Jüdin 1939 zu ihrem Sohn nach Frankreich fliehen musste, war zum dritten Mal aus der Nähe von Windsor nach Eutin gekommen. Dieser Aufenthalt wird ihr nun in besonderer Erinnerung bleiben: „Ich bin sehr berührt. Es ist eine Ehre“, so beschrieb sie ihre Gefühle. Ein Zeugnis des Lebens ihrer Urgroßmutter erhielt sie von Regine Jepp. Die Sprecherin der Bürgergemeinschaft übergab ihr eine Eutiner Postkarte aus dem Jahr 1901. Darauf schreibt die Hamburgerin Toni Mendel an einen Freund und richtet ihm auch die Grüße von Alice Nathan aus: „Wir vermuten, dass sie in diesem Haus zu Gast war“, erklärt Jepp in der Albert-Mahlstedt-Straße 20. Ein unbeschwerter Besuch dort, wo 39 Jahre später Jenny Nathan vollkommen unterkühlt, entkräftet und vereinsamt gefunden wird. Die Schwägerin von Alice Nathan stirbt am 29.12.1940 im Krankenhaus - „gedemütigt/entrechtet“ steht auf ihrem Stolperstein. Tief eingetaucht in die Geschichte sind Schülerinnen und Schüler des Beruflichen Gymnasiums Klasse Technik 2, die sich im Rahmen eines projektbezogenen Gemeinschaftskundeunterrichtes mit den „Stolpersteinen“ beschäftigen. Dass sie an beiden Adressen Präsenz zeigten, mehr waren als nur Zaungäste, nicht nur aufmerksam folgten, sondern ein intensives Interview mit Nicola Weil als Nachfahrin führten, war einer der leisen Höhepunkte am Rande: „Man darf nie aufhören, darüber zu reden“, sagte Nicola Weil den jungen Leuten und ihr Ehemann Doug Markovits ergänzte: „Was Ihr hier als Schüler tut, ist fantastisch!“ Für Lehrer Marten Schröder ist es besonders wichtig, „an den Nationalsozialismus zu erinnern und sich auch damit zu beschäftigen, was hier im Ort passiert ist.“ Dazu geben jetzt die „Stolpersteine“ einen Anstoß, für alle, die sie sehen. Denn, wie Lutz Tamchina vom Arbeitskreis 27. Januar formulierte, sie liefern Anlass „für ein Stehenbleiben vor einem Menschen.“


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