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Marlies Henke

Mehr Freihheit für Arzt und Therapeut Blankoverordnung oder Direktzugang?

Sie fordern bessere Rahmenbedingungen für therapeutische Berufe: Andrea Kaufhold, Inhaberin der Praxis Physio und Mee(h)r, Kollege Olav Gerlach sowie die schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken Cornelia Möhring (v. lks.).

Sie fordern bessere Rahmenbedingungen für therapeutische Berufe: Andrea Kaufhold, Inhaberin der Praxis Physio und Mee(h)r, Kollege Olav Gerlach sowie die schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken Cornelia Möhring (v. lks.).

Frühkindliche Sprechstörung, diabetischer Fuß, Sportunfall, Schlaganfall, neues Hüftgelenk oder Krebserkrankung - es gibt eine Vielzahl von Ursachen, die alle nur eines fordern - eine Therapie. Doch sind in diesen Fällen wochenlange Wartezeiten und Fließbandarbeit produktiv? Mit Sicherheit nicht. Unter den schlechten Rahmenbedingungen leiden allerdings nicht nur die Therapeuten, sondern auch ihre Patienten: So seien beispielsweise in der Physiotherapie Wartezeiten von sechs bis acht Wochen für einen Hausbesuch „normal“, „wenn die Praxis in der Nähe diese überhaupt übernimmt. Denn obwohl Praxen verpflichtet sind, Hausbesuche für immobile Patienten besonders nach Schlaganfällen, Operationen oder Unfällen durchzuführen, werden diese Patienten immer häufiger abgelehnt. Hausbesuche sind wirtschaftlich betrachtet ein Zuschussgeschäft. Außerdem fehlt es an Personal, was in einer verstärkenden Berufsflucht, der schlechten Vergütung, mangelnden Wertschätzung und miserablen Grundvoraussetzungen begründet ist“, so der Physiotherapeut Olav Gerlach. Ein häufig diskutiertes Problem sei zudem: Überschreiten Ärzte bei Heilmittelverordnungen ein vorgegebenes Budget, können Regressforderungen der Kassenärztlichen Vereinigung die Folge sein, was unter Umständen für den Patienten bedeutet, dass er aufgrund dieser Situation gar nicht erst das Rezept verschrieben bekommt. Zudem begrenzen die Bürokratie der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie uninformierte Ärzte die Möglichkeiten der Therapeuten ihre Patienten medizinisch sinnvoll zu behandeln und angemessen zu versorgen, sodass sie gezwungen sind zu überlegen, wie sie das Korsett an umstrittenen Verordnungsregeln umgehen zu können.
 
Das Bundesgesundheitsministerium will nun bei der Heil- und Hilfsmittelversorgung ein Gesetzgebungsverfahren starten. Dazu gehöre auch eine Neuordnung in der Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Podologie. Vor allem werde die Blankoverordnung auf den Weg gebracht, wodurch den Therapeuten mehr Freiheit verschafft wird. Mit der Versorgungsform sollen Heilmittelerbringer ab Januar 2021 über die konkrete Auswahl der Heilmittelleistung sowie die Bestimmung der Behandlungsfrequenz, -dauer und -intensität entscheiden dürfen, während die Ärzte auch weiterhin die Indikationsstellung und die Verordnung eines Heilmittels vornehmen. Bei welchen Krankheitsbildern die Blankoverordnung greifen soll, werde noch verhandelt. „Noch besser wäre allerdings der Direktzugang. Der Vorteil - wenn Therapeuten selber Diagnosen stellen und die Behandlung entsprechend anpassen dürften, könnten Patienten noch individueller und dadurch effektiver behandelt werden“, erklärte Olav Gerlach. Diese habe sich beispielsweise zur Physiotherapie bereits in etlichen Ländern wie Großbritannien, Schweden, Norwegen und in den Niederlanden bewährt. In Deutschland hingegen ist der Direktzugang erst einmal kein Thema.
 
Doch es sind weitere Verbesserungen geplant: Die neue Heilmittelrichtlinie tritt in Kraft.
 
Die Änderung der Heilmittelrichtlinie sowie die Überarbeitung des Heilmittelkatalogs sind laut dem Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossen. Vorrangiges Ziel sei es, die Leistungserbringer zu entlasten und Bürokratie abzubauen. Die Änderungen werden zum 1. Oktober 2020 in Kraft treten.
 
Einige wichtige Neuerungen
 
1. Künftig gibt es nur einen Versorgungsfall - die sogenannte „orientierende Behandlungsmenge“. Für Heilmittelerbringer bedeutet das, dass die Behandlungsmenge je nach medizinischem Bedarf des Patienten abweichen kann.
 
2. In Fällen, in denen die orientierende Behandlungsmenge überschritten wird, ist keine Begründung mehr erforderlich. Der Arzt muss die Gründe lediglich in der jeweiligen Patientenakte vermerken.
 
3. In Zukunft können mehrere Heilmittel gleichzeitig verordnet werden.
 
4. Bislang hatte der Patient 14 Tage Zeit, seine Behandlung zu beginnen. Im Rahmen der Überarbeitung sind es dann 28 Tage.


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