Marlies Henke

Die wichtigsten Fragen zur EU-Wahl 2024: Brüssel und die Bauern

Aktuell geht etwas mehr als ein Drittel aller EU-Mittel, rund 40 Milliarden Euro pro Jahr, als Direktzahlungen in die Landwirtschaft.

Aktuell geht etwas mehr als ein Drittel aller EU-Mittel, rund 40 Milliarden Euro pro Jahr, als Direktzahlungen in die Landwirtschaft.

Bild: Statista

Am 9. Juni wird das Europäische Parlament neu gewählt. Gemeinsam mit dem gemeinnützigen Medienunternehmen Correctiv und dem Bundesverband kostenloser Wochenzeitungen (BVDA) geht der reporter den wichtigsten Fragen zur EU-Wahl auf den Grund: Welche Themen spielen eine Rolle und welchen Einfluss Europa auf unser Leben? Heute: Landwirtschaft.


Warum kriegen Bauern so viel EU-Geld?

Die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) geht schon auf die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – dem Vorläufer der heutigen EU – im Jahr 1957 zurück. Ihr Ziel war, nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und früherer Hungersnöte, die europaweite Versorgung mit günstigen Lebensmitteln sicherzustellen. Abhängigkeiten aus dem Ausland sollten verringert werden, stattdessen sollte die eigene Produktion die europäische Bevölkerung ernähren.

In den Jahren nach 1945 wurde die Landwirtschaft noch von den Nationalstaaten jeweils subventioniert. Damit die EWG-Gründerstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg dennoch einen gemeinsamen Markt bilden konnten, wanderten die landwirtschaftlichen Subventionen in die Kompetenz von Brüssel.

In den 1980er Jahren machte die gemeinsame Agrarpolitik bereits bis zu 70 Prozent des EU-Budgets aus. Seitdem ging der Anteil zurück, ist aber immer noch der zweithöchste Posten: Aktuell geht etwas mehr als ein Drittel aller EU-Mittel, rund 40 Milliarden Euro pro Jahr, als Direktzahlungen in die Landwirtschaft. Dazu kommen noch andere Gelder, etwa für die Entwicklung des ländlichen Raums.

Kann man die Subventionen nicht einfach streichen?

Die Frage liegt auf der Hand, würde dadurch ja plötzlich eine Menge Geld frei. Dadurch würde auch der Wettbewerb angekurbelt, weil dann die Marktpreise den tatsächlichen Produktionskosten entsprechen müssten. Mit einer Einigung unter den Mitgliedsländern und einer Mehrheit im Europäischen Parlament wäre eine Streichung natürlich möglich.

Das hätte aber auch erhebliche Nachteile. Viele Bauern in ganz Europa sind von den Förderungen abhängig, um ihre Betriebe rentabel betreiben zu können. Eine Streichung könnte das wirtschaftliche Überleben vieler Landwirte gefährden. Im schlimmsten Fall könnten ganze Regionen verarmen, da die Landwirtschaft vielerorts das Rückgrat des ländlichen Raums darstellt.

Zur gemeinsamen Agrarpolitik gehören auch Maßnahmen der Strukturpolitik, etwa im Bereich des Klimaschutzes. Auch gelten Mindeststandards in Bezug auf den Umweltschutz. Diese stünden bei einem Ende der Subventionen vielleicht neu auf dem Prüfstand – Stichwort Gentechnik und Pestizide.

Nicht zuletzt würde das Einstellen der Förderungen die Abhängigkeit von importierten Lebensmitteln erhöhen. Heimische Bauern, insbesondere kleinere Betriebe, wären mit ihrer eigenen Produktion vielfach nicht mehr konkurrenzfähig

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Knickt die EU vor Bauern ein?

Abgeladene Heuballen, stinkende Misthaufen und brennende Autoreifen im Brüsseler Europaviertel: Viele Bauern und Agrarvertreter waren bei der Wahl ihrer Protestmethoden zuletzt nicht zimperlich. Der Druck wirkte: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen höchstpersönlich kündigte Zugeständnisse an, etwa beim Thema Pestizidverbote. Die Kommission will sich kurz vor der EU-Wahl, so scheint es, nicht allzu sehr mit den Bauern anlegen.

Hat die Agrarlobby also zu viel Macht? Nun ja, eine starke Stimme und viel finanzielles Gewicht hat sie auf jeden Fall. Nicht zuletzt ernährt sie den ganzen Kontinent.

Bei der Frage etwa, ob Klimaschutz bei allen landwirtschaftlichen Förderungen ganz oben stehen sollte, ist die EU zögerlich. Aufgabe der Politik ist es, unterschiedliche Interessen abzuwägen und gemeinsame Lösungen zu finden. Das ist bisweilen mühsam. Das wissen am Ende aber auch die Bauern, die von Europa ebenso abhängen wie die europäischen Bürger von ihnen. (Florian Bayer)

 

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