Seitenlogo
Alexander Baltz

Eventbranche durch Corona in Existenzangst

DJ und Entertainer Stephan Nanz exklusiv im Gespräch mit dem reporter
 
Neustadt. "Ich würde sofort wieder voll loslegen, wenn ich nur dürfte!“ Der Lockdown im März veränderte das Leben von DJ und Entertainer Stephan Nanz schlagartig. Quasi über Nacht brachen alle seine Aufträge und damit alle Einnahmen weg.
Aber nicht nur ihm, sondern der gesamten Veranstaltungsbranche. Völlig unverschuldet. Durch die bestehenden Corona-Regeln darf Stephan Nanz einfach nicht mehr arbeiten. Er kann es auch gar nicht, denn alle Großveranstaltungen sind bis 31. Dezember abgesagt. Kleinere Familienfeiern sind seit dem 19. September zwar wieder erlaubt, aber „die Leute trauen sich noch nicht richtig, was auch mit den noch geltenden Einschränkungen vom Land zu tun hat“, so Nanz. Der reporter traf ihn zum Gespräch.
 
 
der reporter: Stephan, was ist bei dir konkret seit Ende März passiert?
Nanz: Alle rund 180 Aufträge, die wir schon für 2020 eingeplant hatten, sind storniert worden. Letztendlich sitzen wir seitdem nur im Büro, um Stornos zu schreiben oder um neue Verträge für 2021 zu gestalten. Ich habe in der Zeit bis heute einen einzigen Auftrag machen können.
 
 
der reporter: Du bist ansonsten jedes Wochenende seit über 25 Jahren Jahren beruflich landesweit und auch als R.SH-DJ eingespannt gewesen. Was ist das für ein Gefühl, das jetzt nicht mehr zu dürfen?
Nanz: Das Gefühl ist lähmend. Man fühlt sich wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt und nichts machen kann. Man hat gefühlt einen Formel 1-Wagen gefahren mit super Sponsoren und dem besten Publikum der Welt und war immer unter den ersten Plätzen. Das war quasi die musikalische Bundesliga. Und jetzt sitzt du zuhause im Hauswirtschaftsraum in der Seifenkiste. So ist das Gefühl. Man steht also auf, geht ins Büro und weiß, ach, eigentlich ist ja heute nichts zu tun. Dennoch sammlen wir Ideen und sind bereits dabei, die Großveranstaltungen und neue Projekte für das kommende Jahr zu organisieren.
 
 
der reporter: Also eine Situation, die psychisch belastend ist und finanziell sicherlich nicht zufriedenstellend.
Nanz: Mehr noch. Es ist eine finanzielle Vollkatastrophe. Für unsere ganze Branche. Ob es DJs sind, Bühnentechniker, Lichttechniker oder Sicherheitsleute. Wir hatten mit unserer Interessensgemeinschaft bereits Treffen mit den Bundestagsabgeordneten Ingo Gädechens und Bettina Hagedorn, die zwar von unserer Situation sehr betroffen sind und sich auch Zeit für uns nehmen, aber uns auch nicht wirklich helfen können. Auch Kontaktversuche über Ingo Gädechens zum Ministerpräsidenten liefen bislang ins Leere. Die Politiker wissen gar nicht, um was es für die Solo-Selbstständigen geht.
 
 
der reporter: Gab es denn überhaupt schon eine Art finanzielle Unterstützung?
Nanz: Ja, einmal haben wir die Soforthilfe bekommen und dann die Überbrückungshilfe. Aber ich muss ja Krankenkasse und Rentenversicherung sowie meine Sekretärin Berit, Miete für Lager und Büro bezahlen - das Geld verpufft! Und die Politik lässt uns weiterhin im Dunkeln stehen, weil wir nicht wissen, wann wir wieder voll durchstarten können. Niemand weiß, wielange die Einschränkungen noch gelten.
 
 
der reporter: Was wäre deine Forderung an die Politik?
Nanz: Die Idee von unserer Interessensgemeinschaft ist, dass der Bund die Betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA) für die Berechnung einer möglichen Unterstützung nimmt. Das zeigt dann auf, wieviel man verdient. So kann man ausrechnen, was man im Durchschnitt pro Monat zum Beispiel die letzten drei Jahre eingenommen hat. Wenn man davon 60 Prozent bekäme, weil wir ja ein Tätigkeitsverbot haben, wäre das mehr als gerecht. Dann bräuchten wir auch keine Überbrückungshilfe mehr.
 
 
der reporter: Eine ganze Generation von jungen Leuten von 18 bis 30 kann nicht mehr in Clubs feiern. Wie siehst du diese Situation?
Nanz: Das muss sehr schlimm sein, das weiß ich von meinen drei Töchtern. Die Tanz- und Discoszene liegt am Boden. Es gibt nichts, wo man hin kann.
 
 
der reporter: Was ist denn feiertechnisch überhaupt aktuell möglich?
Nanz: Kleine Familienfeiern mit 50 Gästen innerhalb einer geschlossenen Gesellschaft sind möglich. Es darf auch Paartanz stattfinden, sofern der Abstand zu anderen Tänzern gewahrt bleibt. Dafür sind wir jederzeit buchbar, auch für Betriebsfeste. Aber Oktoberfeste, Feuerwehrfeste oder auch Bälle sind alle gecancelt. Wann es wieder voll losgehen kann, steht absolut in den Sternen. Und die Ungewissheit ist es, die an einem nagt. Die Menschen haben dringenden Bedarf nach Unterhaltung und Lebensfreude. Als ich kürzlich eine kleine Veranstaltung erstmals in der Corona-Zeit nach sechs Monaten durchführen durfte, es war eine Hochzeit mit 30 Gästen, sind die Leute draußen vor der Scheibe stehengeblieben und haben sehnsüchtig in die bunten Scheinwerfer geblickt. Die Sehnsucht nach Tanzen, alte und neue Freunde treffen bei geselligem Zusammensein fehlt den Menschen nach dieser langen Zeit sehr. Und wie Herbert Grönemeyer zurecht sagt: Ein Land ohne Live-Kultur ist wie ein Gehirn ohne geistige Nahrung, ohne Euphorie, Aufbruch, Lust, Diskurs, Lachen und Tanz. Es verdorrt, gibt Raum für Verblödung, für krude und verrohende Theorien, verhärtet und fällt seelenlos auseinander. (ab)


Weitere Nachrichten aus Neustadt in Holstein

UNTERNEHMEN DER REGION

Meistgelesen