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Reporter Eutin

„Das wird langsam zur Routine“

Kiel/ Dietrichsdorf (kud). Ein seltener Anblick: Auf dem sonnabends gewöhnlich menschenleeren Gelände der Toni-Jensen-Gemeinschaftsschule am Dietrichsdorfer Wasserturm herrscht Hochbetrieb. Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienste haben Position auf der Einfahrt und dem Schulhof bezogen. Nach und nach trudeln auch Bürger ein. Sie alle sind dem Aufruf gefolgt, bis 9 Uhr ihre Wohnungen im Wasser zugewandten Teil des Stadtteils zu räumen. Der Anlass: eine 250 – Kilo -Bombe englischen Ursprungs aus dem Zweiten Weltkrieg. Insgesamt rund 4000 Menschen sind von der Evakuierung betroffen.
Die Bombe wurde bei Bauarbeiten im Bereich Fachhochschule, Mediendom, Gießereimuseum entdeckt und muss entschärft werden. Fachleute haben festgestellt: Die Bombe hat einen Heckzünder. Ein Teil der Zündkette muss direkt vor Ort gezündet werden.
Auf dem Schulgelände bilden sich Grüppchen. Wie immer in besonderen Situationen, steht man sich bei, organisiert mal schnell eine Sitzgelegenheit und schnackt in vielen verschiedenen Sprachen. Erwin und Gisela haben es sich in der Mensa gemütlich gemacht. Dort packen an den Tischen Evakuierte ihre Brotpakete und den Kaffee aus, zu dem sie zu Hause nicht mehr gekommen sind. Andere werden von den Hilfsorganisationen versorgt. Kaffee und Kekse stehen auf dem Speiseplan.
Erwin sieht alles sehr gelassen: „Das sind eben noch die Nachkriegswehen.“ Gisela zuckt auch gleichmütitg mit den Schultern und meint: „Wir sind das schon gewohnt. Da wird ja fast immer auf irgend einer Baustelle so ein Blindgänger gefunden.“
Während es in der Schule gemütlich - gesellig zugeht, wird es auf der anderen Straßenseite gespenstisch. Überall Straßensperren, bewacht von Polizisten, die vermeiden wollen, dass Bürger, die nichts von der Bombenentschärfung mitbekommen haben, aus Versehen in das Sperrgebiet hineinfahren. 500 Meter im Umkreis, hat der Kampfmittelräumdienst ermittelt, sollte sich niemand während der Aktion aufhalten. „Ob wir das sicherstellen können, wissen wir nicht“, erklärt ein Polizist mit skeptischem Blick Richtung Häuser.
Während auf der einen Seite der Tiefen Allee und der kleinen Wohnstraße Eekberg ganz normales sonnabendliches Treiben herrscht, bestimmt auf der anderen Seite gespenstische Stille das Szenario. Aus einer Tür kommt ein Mann auf Krücken. Die Polizisten sprechen ihn an. Er ist Ausländer und hat von den Warnungen nichts mitbekommen. Die Polizisten sind ein wenig ratlos: „Seit Tagen wurden ihr Infozettel verteilt, sogar in mehreren Sprachen.“ Menschen, die ihre Wohnung aus gesundheitlichen Gründen nicht verlassen können, hatten die Möglichkeit, Feuerwehr und Hilfsorganisationen anzurufen und wurden dann abgeholt.
10.30 Uhr: Vor einigen Minuten gab es einen Knall und einen roten Farbkegel am Himmel. „Jetzt beginnen sie mit dem Entschärfen“, erklärt der Polizist. „Meistens dauert das dann 30 bis 60 Minuten.“ Also warten. In der Schule ist alles ruhig. Gisela gähnt. Sie hat in der Nacht schlecht geschlafen, ist müde und will noch nach Preetz zum Friedhof. Erwin hat es nicht eilig und nimmt einen Keks. Ein paar Nörgler gibt es natürlich immer: „Warum machen die so eine Aktion ausgerechnet an einem Sonnabend? Ich hatte mich so auf das Ausschlafen gefreut.“ Auch dafür hat die Polizei eine Erklärung: „Am Wochenende können wir es den Verkehrsteilnehmern ersparen, stundenlang im Stau zu stehen.“ Und wirklich: Auf dem Ostring ist nicht viel los an diesem Vormittag. Nur vor der Abfahrt zum Hafen hat sich inzwischen eine lange Kolonne von Lastwagen gebildet. Dann ist der Spuk vorbei. Ein kurzer dumpfer Knall – die Zündkette. Ein Schwarm Vögel ergreift die Flucht. Dann mit einem weiteren Knall grünes Licht am Himmel. Entwarnung. Die Polizisten entfernen in Eilgeschwindigkeit die Sperren und winken alle Wartenden durch. Wie durch Zauberhand ist Dietrichsdorf wieder geschäftig wie an jedem Tag.
In der Toni-Jensen-Schule herrscht Aufbruchstimmung. Die Grüppchen lösen sich auf, holen die Wochenendeinkaufszettel aus der Tasche und wenden sich wieder dem Alltag zu. Polizei, Feuerwehr und Hilfsorganisationen packen ihre Utensilien. Und bald liegt das Gelände da wie an jedem Sonnabend.
Am Sokratesplatz, dem Ort des Geschehens, steht eine Gruppe Männer und erholt sich von der Anspannung. Aus der Bombe hängt ein weißes Tuch – wie ein Friedenssignal. Dann machen sich auch die Spezialisten auf den Weg ins wohlverdiente Wochenende.


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