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Marco Gruemmer

Die Sturmflut von 1872

In einer fortlaufenden Serie blickt der reporter einmal im Monat auf die Geschichte der Gemeinde Kellenhusen. Unterstützung erfahren wir hierbei vom Chronisten Hans-Uwe Hartert aus Grube, der uns unter anderem die Chronik zum 100-jährigen Bestehen der Freiwilligen Feuerwehr zur Verfügung gestellt hat.
 
Eine der schlimmsten Katastrophen, die die Ostseeküste wohl je erlebt hatte, ereignete sich am 13. November 1872.
 
Schon lange hatte die Ostsee Ruhe gegeben und die Küstenbewohner wieder einmal in Sicherheit gewogen. Die Vorzeichen Ende Oktober, als drei Tage lang um Schottland herum schwere Nordweststürme Wassermengen der Nordsee durch das Skagerrak und Kattegatt in die Ostsee drückten und sie aufstauten, hatte man nicht beachtet. In der Nacht vom 12. auf den 13. November sprang der Wind plötzlich auf östliche Richtungen um und steigerte sich schnell zum Orkan mit Geschwindigkeiten bis zu 120 km/h.
 
Mit nie erlebter Gewalt kamen die Wassermassen nun zurück, und ehe der Abfluss durch die schmalen Rinnen der Belte und des Sundes geschehen konnte, war ein Werk grandioser Zerstörung vollbracht und wieder einmal wurde großes Leid über das Land getragen. Die See streckte ihre gierigen Hände nicht nur auf das abgenommene Land, nein, sie wollte mehr und holte es sich auch. Ganze Küstenabschnitte wurden durch Abriss oderdurch Anspülung verändert und über die Bevölkerung brach, bis weit in das Hinterland, unendliches Leid herein.
 
Wieweit die gierigen Hände der See gegriffen haben, sehen wir noch an dem Markierungsmarken der einzelnen Häusern in Dahme, Koselau, Dannau, Oldenburg, Plügge, Lütjendorf, Neustadt sowie an dem Sturmflutstein vor der Sturmfluteiche im Forst.
 
271 Menschen wurden Opfer, 15.160 Personen wurden hilfebedürftig, 2.850 Gebäude wurden zerstört oder stark beschädigt, 654 Schiffe erlitten Haverie.
Diese Sturmflut wurde erstmalig hydrologisch und meteorologisch näher untersucht und war gleichzeitig die größte bekannte Sturmflut im Ostseeraum, was auch die Scheitelwasserstände von max. 3,50 Meter über NN belegen. Etwa 18 Stunden verblieb der Wasserstand über der Marke von 2 Meter über NN.
 
Bei ähnlicher Wetterlage ist solch eine Sturmflut jederzeit wieder möglich und die Auswirkungen wären heutzutage, aufgrund der dichteren Bebauung und der klimatischen Bedingungen, wesentlich schlimmer.
 
Schon im Jahre 1747, und wahrscheinlich auch davor, befassten sich Verantwortliche mit dem Problem der Überflutungen. Der »Landmesser« Thomsen legte am 27. Oktober einen Bericht über Schutzmaßnahme vor. Er empfahl, vor Dahme einen großen Steinwall zu errichten, an dem sich die Wellen brechen sollten. Auf den tieferliegenden Wiesen wollte er einen haltbaren Damm errichten.
 
Am 6. März 1750 berichtete der Ingenieur-Leutnant Voksleben an die Rentekammer, dass das Seewasser nur durch einen 16 Fuß hohen und 32 Fuß breiten Deich zurückgehalten werden könne. Solch ein Deich könne jedoch nicht gebaut werden, da die nötigen Erdmassen nicht vorhanden und die Folgekosten zu hoch seien. Im Jahr 1773 brach das Wasser in der Nähe von Kellenhusen durch und richtete großen Schaden an. Die Einbruchstellen wurden notdürftig mit Pfählen, Buschwerk, Sand und Steinen ausgebessert. Eine Widerherstellung der vorherigen Befestigungen lehnte die Rentekammer »wegen ihrer Zwecklosigkeit« ab.
 
So blieb es auch nach der großen Flut vom 28. auf den 29. September 1784, als in Dahmeshöved rund 2 Hektar Land fortgerissen und der gesamte Vorstrand Kellenhusen dem Wasser anheimfiel. Bis auf wenige Kleinigkeiten, mal hier etwas ausbessern mal das etwas Kleines errichten, sollte es, wie bei vielen Dingen auch heute noch, an dem lieben Kleingeld fehlen. Erst die Sturmflut von 1872 mit ihren katastrophalen Folgen an Mensch und Sachwerten regte zu einem Umdenken an.
 
Um solchen Schäden für die Zukunft vorzubeugen, bildeten sich wenige Zeit später in allen Küstenbereichen Deichverbände und der Deichbau wurde, dort wo erforderlich, sofort in Angriff genommen.


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