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Reporter Timmendorf

Holocaust-Gedenkfeier im Ostsee-Gymnasium Timmendorfer Strand: Zeitzeugin Eva Szepesi berichtete von ihren Erlebnissen in Auschwitz

Timmendorfer Strand. In der voll besetzten Turnhalle des Ostsee-Gymnasiums fand am 27. Februar die diesjährige Holocaust-Gedenkfeier der Timmendorfer Schule statt. Zur Einstimmung sang Pastor Volker Schauer jiddische Lieder. Bürgervorsteherin Anja Evers sagte in ihrer Rede: „Wir sind dankbar, dass diese Veranstaltung auch in diesem Jahr wieder hier im OGT stattfindet. Es ist ein großes Privileg für unsere Gemeinde, Frau Szepesi hier bei uns begrüßen zu dürfen. Erinnerungen sind wichtig und müssen weitergetragen werden und dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Die Generation der Eltern muss die Erinnerung wach halten. Nur so kann dem Vergessen entgegengewirkt werden.“

Schulleiterin Dr. Cordula Braun zollte in ihrer Begrüßung der Referentin Respekt für das anspruchsvolle Programm, das sie trotz ihres hohen Alters absolvierte.
 


Zur Einführung in die Veranstaltung sprach dann die Koordinatorin des Holocaustgedenktages, Andrea Finke-Schaak: „Heute begehen wir am OGT zum sechsten Mal den Holocaust-Gedenktag. Aber in diesem Jahr erst am 27. Februar, also genau einen Monat später, weil Frau Szepesi am eigentlichen Holocaust-Gedenktag mit ihrer Familie in Auschwitz war – um dort am Marsch der Lebenden teilzunehmen.“

Eva Szepesi ist eines der 400 Kinder, das Auschwitz überlebt hat. Sie ist 1932 in Ungarn geboren und kam im Alter von elf Jahren nach Auschwitz und hat als einzige ihrer Familie überlebt. Am Tage der Befreiung war sie zwölf Jahre alt. Sie selbst beschreibt ihre Befreiung in ihrem Buch „Ein Mädchen allein auf der Flucht“ so: „Ich war 12 und lag kraftlos auf der Pritsche zwischen Leichen.“ Man hielt sie für tot, das hat sie gerettet. Heute ist Eva Szepesi 87 Jahre alt und hat den weiten Weg aus Frankfurt an die Ostsee nicht gescheut, um über das Erlebte zu berichten.
 


Eva Szepesi hat 50 Jahre lang geschwiegen, nicht einmal mit ihren Kindern und auch nicht mit ihrem Ehemann hat sie über das Grauen sprechen können. Andrea Finke-Schaak: „Im Dezember 1994 klingelte bei Ihnen, Frau Szepesi, das Telefon. Sie wurden von einer Mitarbeiterin der von Steven Spielberg gegründeten Shoa-Foundation angerufen. Diese Shoa-Foundation hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf der ganzen Welt nach Holocaust-Überlebenden zu suchen und mit ihnen für die Nachwelt Interviews durchzuführen. Nun wurden Sie gefragt, ob Sie zu einem solchen Interview bereit wären. Diese Anfrage hat dann ihr Leben auf den Kopf gestellt. Sie haben zwar zunächst ein solches Interview abgelehnt, dann aber wurden sie im Jahre 1995 ein zweites Mal angerufen und eingeladen, anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz nach Polen zu reisen. Dieser Anruf brachte, wie Sie selber sagten, alles in Ihnen in Aufruhr, noch einmal die Hölle betreten!? Sie erbaten sich Bedenkzeit und Ihre Töchter spürten, dass es wichtig sei, sich seiner Vergangenheit zu stellen.“ Schließlich betrat sie mit ihren beiden Töchtern am 27. Januar 1995 die Gedenkstätte Auschwitz. Ein Tor war aufgestoßen und Eva Szepesi beendete ihr Schweigen.

„Wir alle kennen Jugend musiziert, Jugend forscht oder Jugend trainiert für Olympia. Unsere Schule – das Ostsee-Gymnasium Timmendorfer Strand – hat sich auf ihre Fahnen geschrieben Jugend erinnert.,“ so die Geschichtslehrerin weiter. „Wir finden nicht, dass es ein Zuviel an Erinnerung gibt – im Gegenteil. In Zusammenarbeit mit unserer Nachbarschule, der Cesar-Klein-Schule in Ratekau, bieten wir eine Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz an.“ In dem Film, der von dieser Gedenkstättenfahrt gedreht worden ist, sagt eine Schülerin als sie in Auschwitz war: „Wie viele Menschen sind hier gestorben, die hätten alle noch so ein tolles Leben vor sich gehabt.“
 


Bevor die etwa einstündige Lesung der Zeitzeugin begann, wandten sich die Schülerinnen Maya Beutel, Karina Wagner und Emily Klassen an die zahlreichen Schülerinnen und Eva Szepesi: „Wir finden es großartig und nicht selbstverständlich, dass sie den weiten Weg von Frankfurt auf sich genommen haben, um zu uns zu kommen. Durch unsere eigenen Erfahrungen, die wir auf der Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz im September 2019 gesammelt haben, gewannen wir emotionale Eindrücke über diesen Ort, an dem vor 75 Jahren das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte begannen wurde. Wir wissen, dass es irgendwann keine Zeitzeugen mehr gibt und dann müssen wir erzählen, denn ein Ereignis, das so grausam ist, dass es sich nicht mit Worten beschreiben lässt, darf sich nicht einmal im Ansatz wiederholen. Diskriminierung und Ausgrenzung sind leider in der heutigen Gesellschaft und weltweit präsente Themen.“

Dann entzündeten sechs Schülerinnen, die an der Auschwitzfahrt der Schule teilgenommen hatten, symbolisch sechs Kerzen für die sechs Millionen getöteten Juden. Nach einer Schweigeminute begann dann der Vortrag und die Lesung von Eva Szepesi. Sie berichtete von einer bis zum sechsten Lebensjahr glücklichen Kindheit in Budapest. Dann sei es losgegangen mit der Ausgrenzung: „Wir durften nicht mehr Bus fahren, nicht mehr zum Schlittschuhlaufen oder ins Kino gehen.“
 


Als es schlimmer wurde, begann schließlich die Flucht: Mit falschen Papieren ging es von Ungarn über die Grenze in die Slowakei, ohne den vorgeschriebenen Judenstern zu tragen. Eva Szepesi berichtete, wie sie dort in verschiedenen Familien gelebt habe und wie dann irgendwann drei Uniformierte im Wohnzimmer gestanden hätten. Sie erzählte von der Fahrt im stickigen Eisenbahnwaggon nach Auschwitz und wie ihr die geliebten Zöpfe abgeschnitten und auf einen großen Haufen mit Haaren geworfen wurden. „Ganz schlimm war für mich, dass ich meine geliebte Jacke, die meine Mutter für mich gestrickt hatte, gegen gestreifte Sträflingskleidung tauschen musste,“ so die heute 87-jährige. Dann berichtete sie vom Schmerz, als ihr die Nummer auf den Arm tätowiert wurde und wie sie Ziegel und Steine schleppen oder Munition mit einem Tuch säubern musste. Nach der Befreiung hat ihr Onkel und ihre Tante sie aufgenommen. Eva Szepesi war damals zwölf Jahre alt und ihre Familie hat sie nie wiedergesehen. „Ich konnte nicht trauern, sondern habe 70 Jahre gewartet.“ Erst 2016 hat sie vom Tod der Mutter und ihres Bruders erfahren. Ihre Familie wurde damals stumm gemacht und kann nicht mehr darüber sprechen. Deswegen ist es so wichtig, dass sie jetzt in die Schulen geht. Kurz vor dem Besuch im OGT war sie mit ihrer Tochter noch zu Gast in der Fernsehsendung von Markus Lanz.

Nach dem einstündigen und sehr bewegenden Vortrag hatten die Schüler noch viele Fragen, zum Beispiel, ob sie vergeben könnte. „Ich kann nicht hassen, aber nicht vergessen! Ihr seid die dritte oder vierte Generation, ihr könnt nichts dafür, was damals passiert ist“, sagte Eva Szepesi zu den Schülern. „Aber Ihr könnt etwas für das, was noch passieren könnte,“ sagte sie und forderte die Schüler auf, Ungerechtigkeiten entgegenzutreten, angefangen beim Mobbing auf dem Schulhof.


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