Erfolg wider die Krise: Aktuell boomende Branchen

Simon Krüger 2937

Längst nicht alle Branchen darben derzeit unter starken und stärksten Umsatzeinbußen. Es gibt auch einige, denen die Situation zu ungekannten Höhenflügen verhilft. Dass sich viele Ferienhausbesitzer, Hoteliers und ähnliche Gastgewerbetreibende im und ums Salzland herum gerade freuen, weil viele Deutsche ihre Reiselust aufs In- statt aufs Ausland kanalisieren, dürfte manchem Leser bekannt sein. Falls nicht: Der inländische Tourismus kann derzeit deutlich bessere Erholungsraten verbuchen als sein fernreisendes Pendant. Allerdings ist das einheimische Gastgewerbe längst nicht die einzige Branche, die sich wieder auf dem Weg der Besserung befindet. Tatsächlich gibt es auch einige, denen es geradezu prächtig geht.
 
1. Der Onlinehandel
Für den (globalen) Onlinehandel kam Weihnachten dieses Jahr im Frühjahr und Frühsommer. Nicht nur im übertragenen Sinn in Form von Gewinnen. Denn was das Bestellverhalten anbelangt, lässt sich das, was seit einigen Monaten geschieht, bei vielen Händlern tatsächlich nur mit der so arbeitsreichen Weihnachtszeit vergleichen - und geht bei manchem sogar weit darüber hinaus.
 
Dabei begann die Situation auch für den Onlinehandel katastrophal: Im März und April sagte mehr als die Hälfte aller Händler, dass die Krise sich negativ aufs Geschäft auswirken würde. Doch schon kurz darauf begann der Aufstieg, vor allem bei Waren des täglichen Bedarfs. Hier kletterten die Umsätze im zweiten Quartal um dramatische 51,2 Prozent; bei Lebensmitteln war mit knapp 90 Prozent sogar fast eine Verdoppelung zu beobachten - wenngleich sich letzteres mit den Hamsterkäufen erklären lässt.
 
Ebenfalls gute Zahlen vermeldeten zudem all jene Onlinehändler, die Einrichtungsgegenstände, Utensilien für Heimwerker und Heimelektronik anbieten - wobei im gesamten E-Commerce jene Händler am besten wegkamen, die gänzlich ohne stationären Handel operieren. Diejenigen, die zweigleisig fahren, mussten oft mit dem verbesserten Online- das verschlechterte Offlinegeschäft kompensieren, wodurch sich insgesamt keine herausragenden Zahlen vermelden ließen.
 
2. Das Selbermacher-Segment
DIY, kurz für Do it yourself oder Heimwerken, ist seit Jahrzehnten in ganz Deutschland eine Branche mit zuverlässiger Kundschaft - die Deutschen waren schon leidenschaftliche Selbermacher und Hobbygärtner, bevor sich Trends zum Upcycling, Urban Gardening und dergleichen durchsetzen konnten; diese machten nur die sowieso guten Umsätze noch etwas besser.
 
Dann kam die Krise. Und während vielerlei Branchen dadurch zwangsweise schließen mussten, sah es bei Bau- und Gartenmärkten deutlich anders aus. Denn nur Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen und Schleswig-Holstein schlossen auch diese Geschäfte; in allen anderen Bundesländern und damit auch bei uns blieben sie offen und galten somit als "systemrelevant" - mit gutem Grund übrigens, denn das Sortiment solcher Märkte gilt als Grundversorgung, beispielsweise weil es nur hier Materialien gibt, um einen geplatzten Wasserhahn zu reparieren.
 
So meldete beispielsweise die Hornbach AG für das erste Geschäftsjahresquartal (1. März bis 31. Mai) ein Umsatzplus von 17,8 Prozent bezogen auf den ganzen Konzern (also inklusive derjenigen Verluste, die durch geschlossene Märkte in den genannten Bundesländern entstanden). Ähnliche Werte können auch andere Unternehmen aus der Branche vermelden - und auch hier erwies sich der Onlinehandel als zumindest wertvolle Stütze, durch den die Einbußen geschlossener Filialen wettgemacht werden konnten. Dabei lassen sich drei Erfolgsgründe sehen:

  1. Die Einschränkungen sorgten bei vielen Kunden für eine Fokussierung auf das eigene Zuhause.
  2. Durch die vielen ins Home-Office entsendeten Angestellten entstand zusätzlicher Umbaubedarf.
  3. Als Minderheit der weiterhin geöffneten Ladengeschäfte zogen Bau- und Gartenmärkte auch branchenfremde "Bummler" an, die zu Spontankäufen angeregt wurden.

Wie sich das Gesamtjahr jedoch entwickeln wird, bleibt abzuwarten - erst wenn die grundsätzlich umsatzstarke, aber wetterfühlige Sommerphase beendet ist, wird sich das Gesamtausmaß seriös abschätzen lassen.
 
3. Die Sportwetten-Anbieter
Weltweit öffnet sich die Sportwelt wieder. Bundesliga, ausländische Fußballligen, Champions League, Formel 1, NBA und Konsorten sind wieder gestartet. Bei den meisten Veranstaltern gibt es jedoch nach wie vor dramatische Auswirkungen für die Zuschauer - vor Ort existieren praktisch überall Einschränkungen. Auch in der Bundesliga wird für die neue Saison nur laut nachgedacht, konkrete Maßnahmen für die Zuschauerrückkehr gibt es noch nicht.
 
Für Anbieter von Sportwetten bedeutet das derzeit ebenfalls einen Aufwind. Dabei sah es auch hier zunächst hochproblematisch aus: Als zu Beginn der Krise praktisch gar keine Sportveranstaltungen weltweit stattfanden, schwankte das zuvor hocherfolgreiche Business beträchtlich, erlebte Einbußen im Bereich von 90 Prozent.
 
Dann jedoch griff die Kreativität: Wenn nicht Live-Massensport, dann eben E-Sports oder Tischtennis (besonders diese Sportart erwies sich als unvorhergesehenes Zugpferd). Mit solchen Schritten begann der Weg zurück. Als dann die ersten anderen Sportveranstaltungen wieder loslegen durften, brach sich die Kundenlaune breite Wege: Wenn schon nicht vor Ort, dann wenigstens an Fernseher und Computer mitfiebern und den Spaß durch Tippabgaben würzen.
 
Heute zeigt sich deshalb die Branche in altbekannter Frische: Es gibt wieder Meldungen, Wettquoten werden gelistet, Tipps aufgezeigt, Anbieter verglichen. Verstärkt wird das noch dadurch, dass die veränderten und verlängerten Saisons die Sommerflaute dieses Jahr ausblieben ließen. Eines allerdings ist nach wie vor eine schwierige Aufgabe: Durch die Geisterspiele wird die Quotenberechnung schwieriger. Denn wo keine Fans jubeln, gibt es natürlich auch keinen Heimvorteil. Und auch hier gilt: Erfolg hat vor allem die Online-Sparte.
 
4. Die Büro(software)Branche
Mitte März stellte der digitale Branchenverband Bitkom fest, dass etwa die Hälfte aller deutschen Angestellten ihrem Beruf von zuhause aus nachgingen. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor erlaubten nur 39 Prozent aller Betriebe zumindest zeitweises Home-Office, allerdings fand ein Forschungsbericht noch Ende 2019 heraus, dass nur rund zehn Prozent der Angestellten solche Angebote auch regelmäßig wahrnahmen.
 
Im Klartext: Binnen weniger Monate kletterte die Anzahl von im Home-Office arbeitenden Menschen um rund 40 Prozent. Und weder die Firmen noch die Angestellten waren im Entferntesten darauf vorbereitet:

  • Büromöbel
  • Hardware
  • Software, vor allem solche für Kommunikation und Datenübertragung

das alles wurde während der vergangenen Monate in einem überproportionalen Maß nachgefragt. Und jeder, der liefern konnte, profitierte von diesem Boom. Als ein Beispiel unter vielen sei das Unternehmen Zoom Video Communications genannt; ein Softwareanbieter für Videokonferenzen, Instant-Messaging und Filesharing.

  • Ende 2019 hatte das US-Unternehmen rund zehn Millionen Nutzer, die Aktie lag seit Jahren beständig weit unterhalb der Marke von 100 Dollar.
  • Im März waren daraus mehr als 200 Millionen User geworden. Die Aktie schoss bis in den Sommer auf einen Höchststand von fast 280 Dollar - obwohl das Unternehmen zeitweise wegen Datenschutzbedenken in der Kritik stand.

Hierbei handelt es sich übrigens insofern um einen Sonderfall, als dass viele Expertenmeinungen der Ansicht sind, dass Home-Office künftig nicht mehr auf das bisherige Maß schrumpfen wird. Damit dürften zumindest diejenigen Dienste, die (auch) auf Abonnementmodelle setzen (verbreitet bei Software) auch weiterhin bessere Zahlen vermelden dürfen.
 
5. Die Fahrradhersteller
Die Krise versetzte weiten Teilen der Mobilitätsindustrie einen schweren Schlag:

  • Flugzeugbauer, weil Lufttransport weltweit stark zurückgefahren wurde.
  • Hersteller von Bussen und Bahnen, weil sich nur wenige den Risiken eines derartigen Massentransports aussetzen wollten und wollen.
  • Autohersteller, weil die Krise bei vielen Menschen und Unternehmen für stark verringerte Bereitschaft sorgte, die hier üblichen Kosten zu bezahlen.

So vermeldete der Deutschlandfunk, dass allein im März und April hierzulande rund 80 Prozent weniger Autos verkauft worden seien als zu erwarten gewesen wäre. Insgesamt, so wird geschätzt, könnten 2020 allein in Deutschland 1,7 Millionen PKW mehr gefertigt werden als es Abnehmer gibt.
 
Vollkommen unbeeindruckt von derartigen Hiobsbotschaften zeigen sich nur all jene, die Fahrräder bauen, importieren und vertreiben. Auch dafür gibt es gute Gründe:

  1. Fahrräder ermöglichen nicht nur Individualverkehr, sondern Individualverkehr ohne geschlossenen Raum um den Fahrer. Beides wichtige Faktoren für verminderte Infektionsrisiken.
  2. Selbst teure (Elektro-)Fahrräder kommen nicht ansatzweise an die Preise für Automobile heran.
  3. Während der Krise wurden vor allem in Städten die Radwege erheblich ausgebaut.

Das Ergebnis: Der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) konnte Mitte Mai folgende Worte vermelden:
 
"Unter dem Eindruck der ersten Tage nach Öffnung der Läden erwarten zwei Drittel der Fachhändler (67%) für 2020 einen Umsatz auf Vorjahresniveau oder sogar darüber - übrigens unabhängig von der Unternehmensgröße."
 
In einem Interview mit der DPA ergänzte ZIV-Kommunikationschef David Eisenberger zudem, dass der Mai der stärkste Monat gewesen sei, den die Branche jemals erlebt habe. Auch hier sehen Experten gute Chancen für die Zukunft. Ähnlich wie beim Home-Office, weil die Lage zwangsweise Kontakthemmungen abgebaut und somit vorherige Ansichten korrigiert habe.
 
6. Die Streamingdienste
Natürlich muss, last but not least, auch die Branche erwähnt werden, die der Ausgangsbeschränkungen Millionen von Menschen die Zeit vertrieb und vertreibt. Namentlich all jene zwischen Amazon Prime, Netflix und Sky, welche Unterhaltung auf Abruf bereitstellen.
 
Die Gründe dafür sind klar:

  1. Kinos sowie viele andere Freizeiteinrichtungen waren und bleiben geschlossen.
  2. Über weite Strecken gab es keine Sportveranstaltungen.
  3. Die Kontakt- und Ausganseinschränkungen zwangen viele zum Daheimbleiben.
  4. Die linearen Fernsehsender schafften es vielfach nicht, adäquate Unterhaltungsalternativen anzubieten.

Als ein Beispiel: Branchenriese Netflix konnte zum Ende des vierten Quartals 2019 167,09 Millionen zahlende Abonnenten vermelden. Am Ende des zweiten Quartals 2020 waren daraus 192,95 Millionen geworden; also ein Anstieg um 25,86 Millionen innerhalb weniger Monate. Am Ende des ersten Quartals stand ein Umsatzplus gegenüber dem Vorjahresquartal von 5,77 Milliarden Dollar - gleichsam kletterte der Aktie auf ein kürzlich erreichtes Allzeithoch von 493,80 Dollar; im September 2019 hatte sie noch bei 231 Dollar gelegen.
 
Auch andere Streamingdienste waren ähnlich erfolgreich. Allerdings dürften diese Zahlen sich mit der weltweiten Normalisierung wieder senken - wobei natürlich offen ist, wann das sein wird.