

Eutin/Plön (los). Dass alte Dokumente die Zeiten in Archiven überstehen, ist an sich schon besonders, private Schriften noch seltener. Vor diesem Hintergrund ist das Tagebuch der Familie Saxe einer der spektakulärsten Funde, reich an Mitteilungen über Gepflogenheiten, Gedanken und Mobilität in ihrer Zeit. Der Plöner Historiker Professor Detlev Kraack hat „Das Diarium Saxe (1538 – 1616)“ in einer transkribierten, kommentierten Fassung neu herausgegeben und in der Eutiner Landesbibliothek vorgestellt. Erschienen ist es 2025 im Nordfriisk Institut in Bredstedt.
Das Original hat Detlev Kraack als bearbeitete informative Fundgrube zugänglich gemacht. Auch äußerlich ist die Kladde aufschlussreich. So lasse der Einband aus einem Pergament des 13. Jahrhunderts Textabschnitte aus einem Werk des Rechtsgelehrten Uguccione da Pisa durchschimmern, eines Italieners, der in der Zeit um 1130 bis 1210 lebte. Das mittelalterliche Pergament ist fast „der eigentliche Kracher“, findet Kraack. Leser des Diariums Saxe gewinnen anhand der Abbildungen einen Eindruck von der Beschaffenheit. Und vom „Upcycling“ alter Schriften, die als Material noch brauchbar waren.
Mit der Einleitung ist die Tür in die Vergangenheit geöffnet, ein abschließendes Register unterstützt die Arbeit mit dem Tagebuch als historischer Quelle. Als uralter Familienbesitz stammt es aus dem Gutsarchiv Nehmten am Großen Plöner See, wo Detlev Kraack geforscht hat. Ursprünglich ist es in Husum und Flensburg verfasst worden. Mit der Herausgabe dieser Kladde hat der Historiker Einblicke in die Wendezeit vom späten Mittelalter in die Neuzeit ermöglicht.
Die Einträge stammen von Peter Saxe (1508 - 1571), gebürtig zu Hattstedt bei Husum, später Kaufmann in Flensburg, sowie von seinem Sohn Jacob Saxe (1554 – 1616), der Geistlicher in Husum wurde. Es gibt noch eine dritte, aber unbekannte Handschrift, so beim Eintrag vom Tode Jacobs am 16. April 1616.
Für eine Vorstellung in der Eutiner Landesbibliothek, die dortige Forschungsstelle zur historischen Reisekultur einschließlich, scheint das Diarium Saxe inhaltlich maßgeschneidert: Denn die beiden Chronisten der Kladde präsentieren sich als äußerst aktive Netzwerker ihrer Zeit, wie Detlev Kraack hervorhebt. So wird Peters Sohn Jacob zum Studium nach Straßburg, Wittenberg und Königsberg geschickt. Er wird in Husum später als Geistlicher tätig sein.
Im Kapitel über „Die Verfasser des Diarium Saxe“ stellt Kraack Netzwerk und Orte näher vor. Sie werden etwa in der Biografie des Bruders Peter Saxes sichtbar – Johannes Saxe. Dieser studierte in Wittenberg und wurde als Gelehrter bekannt, der unter anderem im Umfeld Melanchtons und Bugenhagens tätig war.
Hattstedt ist ein eher ungeläufiger Ort, heutzutage. Aber zu Johannes Saxonius Lebzeiten war das anders: „Die Zeitgenossen von Luther in Wittenberg wissen alle, wo Hattstedt liegt“, unterstreicht Detlev Kraack.
Einmal berichten die Aufzeichnungen davon, wie eine Tochter Peter Saxes abgeholt wird, die zur Ausbildung aus Flensburg fort ins Preetzer Kloster geschickt worden war. Doch es ist die Mutter, die sie abholt. „Das heißt, auch die Frauen sind mobil“, unterstreicht Kraack. Sogar sehr mobil: Das Mädchen reiste darüber hinaus noch nach Hamburg zur weiteren Ausbildung im Beginenkloster.
Auch Peter Saxe ist auf Achse: So etwa am 2. Dezember 1557. Im Auftrag des Flensburger Rates muss er zum Hof des Lübecker Bischofs reisen. Und der residierte im Schloss Eutin.
Kraack zeigt Bilder von Flensburg, Husum und Eutin, die Braun und Hogenberg Ende des 16. Jahrhunderts erstellt haben. Diese vermitteln einen Eindruck davon, wie die Saxes diese Städte gesehen haben: Flensburg an der Förde, die Eutiner Bischofsburg am See, das Residenzschloss „vor Husum“ (erbaut in den 1570er Jahren anstelle einer Klosteranlage) und St. Marien mit dem spektakulären rund 100 Meter hohen Turm. Husum war vielleicht nicht der Nabel der Welt, aber in dieser Zeit ein bedeutender Küsten-, Handels- und Hafenort (Seezugang seit der „Mandränke“ 1362), durch den der jütische Ochsenweg führte. Und wo man Bildung offenbar hoch schätzte.
Der ehemalige Hattstedt- und Husumer Peter Saxe ist seit 1555 Flensburger Ratsherr und Kämmerer „und muss begründen, wofür er Geld ausgibt“, so Kraack. In dem Zusammenhang zähle Saxe seine Dienstreisen auf, zum Beispiel Kolding und Kopenhagen. „Flensburg ist zu der Zeit die politisch-wirtschaftlich wichtigste Stadt in Schleswig“, daraus habe sich ein enger Kontakt zum Königshaus sowie zum Statthalter Heinrich Rantzau ergeben.
Die Tagebucheinträge hat Detlev Kraack mit Anmerkungen versehen, die auf jeder Seite unten angefügt sind. Einträge wie „anno 1538 den 5 augusti was myn louelbeer“ sind so besser zu verstehen. Oder überhaupt. Dieser beschreibt die Erinnerung an das Verlobungsfest – das Verlobungsbier – an jenem Sommertag vor fast 500 Jahren. Wenige karge Worte, die vielleicht das Lachen und Lärmen einer feiernden Gesellschaft anklingen lassen. Aber nur deshalb, weil der Tag für ihn so bedeutend war, dass Saxe ihn notiert hat.
Peter Saxe wurde in seinem Leben Kaufmann in Flensburg und noch einiges mehr. Ehemann und Familienvater zum Beispiel: „anno 1539 den 27 july was myn köste“, die Hochzeit Peter Saxes mit Ingeborg Schwelund. Es gibt weitere familiäre Einträge. Kinder werden geboren, manches Leben geht zu Ende. Und es geht um die Bildung der Kinder, die dazu weggeschickt werden: „anno 1562 den 28 may leth ick jacobus vnde Harmens Saxen gebrödere myne jungesten beyden söns jn de schole ghan myth Erem pedagogus“, teilt Peter Saxe aus ferner Vergangenheit mit. Er selbst ist vier Wochen später selbst auf Reisen: „anno 1562 den 24 juny dede ick den 4 toch an de könnicklike Mayestedt tho Kopenhagen van wegen vnser stadt“.
Saxes Haus in „vnser stadt“ Flensburg stand Ende des 19. Jahrhunderts noch am Nordermarkt, wurde dann abgerissen. Es zeigt die Bauweise des späten Mittelalters. Detlev Kraack hat eine alte Fotografie eingefügt. Das lässt Peter Saxe in der Vorstellung fast leibhaftig hervortreten. Das Grundstück zog sich bis zum Hafen, erläutert er anhand der Lage – ideal für einen Kaufmann. Wie dieser seine Welt erlebt hat, vermittelt anschaulich das „Diarium Saxe“.


