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Reporter Eutin

Homeoffice im Herzogtum Spitzenware aus der Residenzstadt - in Plön wurde geklöppelt, was das Zeug hielt

Plön (los). Klöppelzeug aus Plön war Spitze. Grund genug, das vielgetragene Netzwerk kunstvoll zusammengefügter hauchdünner Fäden zum Wochenschatz zu küren. Die Leiterin des Plöner Kreismuseums Julia Meyer präsentiert einige Exponate des späten 18. Jahrhunderts, die von einer Handarbeit Zeugnis ablegen, die mitunter selbst Männer geschickt verrichteten.
Denn das Gewerbe war lukrativ, zumindest im 17. Jahrhundert, als sich die Residenzstadt zu einem der Hauptorte dieser Industrie mauserte. Also wurde in Plön geklöppelt, was das Zeug hielt. Wen an dieser Stelle klammheimlich der Gedanke an eine Arbeit für sogenannte Bekloppte streift, liegt prinzipiell übrigens richtig: Etymologisch betrachtet kommt der umgangssprachlich beliebte Begriff aus dem gleichen Stall wie Klopfen, das rhythmische Aufeinandertreffen von Schlägen, ob per Klöppel auf den Kopf oder Knüppel auf die Rübe.
Die Plöner werkelten allein zu Haus. Arbeit im Homeoffice war als Bezeichnung zwar noch nicht geläufig, aber üblich. „Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts klöppelten in Plön annähernd 100 Personen in Heimarbeit“, weiß Museumsleiterin Julia Meyer. Erst nach dem Tod Herzog Friedrich Carls 1761, durch den das Herzogtum Plön mangels legitimer Erben an die dänische Krone fiel, brach die Klöppelindustrie in sich zusammen. Dabei könnte man das Handwerk für einen Original-Dänenimport halten, lässt man Plöns Bürgermeister Johannes Kinder zu Wort kommen. Der hat um 1900 akribisch im Archiv gestöbert und Schriftquellen ausgewertet. „Auf den dänischen Inseln und in Jütland lehrte man die Spitzenklöppelei und verfertigt Klöppelspitzen nachweislich bereits um 1550“, lässt er sich in einem Artikel in der „Zeitschrift der Gesellschaft Schleswig-Holsteinische Geschichte“ (Bd 31, 1901) aus. Eine Plöner Klöppelschule sei 1645 erwähnt worden. „Vielleicht liegt der Anfang der Plöner Klöppelei im Plöner Nonnenkloster, das 1578 aufgehoben wurde“, mutmaßt Kinder. Die Klosterstraße erinnert noch an jene Frauen-Einrichtung. Dabei mochten auch Männer Spitze: „... auch die Männer gefielen sich im Schmuck der Spitzenkragen und der Spitzenverzierungen an Kleidern, Hüten und Stiefeln“, verweist Kinder auf „Bildnismalereien vor und während des Dreißigjährigen Krieges“. „Man benutzte sie aber auch zum Schmuck der Bettvorhänge, der Kissen, Tischdecken, Handtücher, Schnupftücher“, führt er weiter aus. Ebenso seien für die Kleidung „reicher, vornehmer Personen“ Blonden (seidene Klöppelspitze), Kanten, Zacken und Tänkens (auch: Dentelles oder Zähnchen-Spitze) verwendet worden. „Der Luxus, der mit diesem teuren Zierat getrieben wurde, war so groß, dass Städte und Landesherren sich veranlasst sahen, in die Kleiderordnungen Verbote der Spitzen aufzunehmen“, weiß Kinder, schreibt aber auch: „Die Plöner Landesherren scheinen die Spitzenklöppelei in ihrer Residenz auf alle Weise gefördert ... zu haben.“
Die Ware an den Mann (oder die Frau) brachten Handlungsreisende: Meist waren jüdische Mitbürger mit dem „Vertrieb“ befasst, erzählt Julia Meyer. Allerdings habe Herzog Friedrich Carl aus nicht überlieferten Gründen eines Tages einen Schlussstrich gezogen. Juden durften demnach 1730 nicht mehr hausieren. Der Effekt: Die Plöner blieben auf ihrer Ware sitzen, zum Verdruss der Bürgerschaft. In einer „Eingabe“ hätte diese darauf hin versucht, den Herzog zu überzeugen, dass der Warenabsatz ohne Vermittlung der Juden nicht funktioniere. Er hatte ein Einsehen. „Der Herzog gab hierauf den Israeliten den Spitzenhandel frei“, ist durch Bürgermeister Kinder dokumentiert.
Irgendwann war für diesen Wirtschaftszweig der Zenit jedoch überschritten. Also errichtete König Christian VI von Dänemark 1735 ein „General-Landes-Ökonomie- und Commerz-Kollegium“. Dessen Aufgabe sei es gewesen, den Handel und die heimische Industrie zu fördern. Das Kollegium wandte sich eines Tages der Spitzenmanufaktur zu, deren fortschreitenden Verfall der Plöner Magistrat 1769 beklagt hatte. Die Experten schlugen offenbar die Herstellung anderer Spitzenprodukte vor – „schwarze seidene Spitze“ –, für die jedoch das spezielle Knowhow fehlte, etwa „die Kunst des Gummierens“, wie Kinder schreibt. Der Magistrat habe daher den Vorschlag gemacht, lieber einen „sachverständigen Lehrer“ in die Plöner „Knüppelschulen“ kommen zu lassen, sowie einen „Privatmann“ für das Organisatorische zu gewinnen. Und hoffte angesichts leerer Stadtkassen auf „Unterstützung oder einen Vorschuss“ für das Projekt. Spitzenhändler Boye Boysen aus Tondern, einer weiteren historischen Klöppelhochburg Schleswig-Holsteins, kannte sich mit dem Spitzenhandwerk gut aus. Deshalb kontaktierte ihn der damalige Plöner Spitzenkrämer Sonnabend wegen schwarzer Spitze. Boye Boysen gab auf seine Anfrage bereitwillig Auskunft, nachdem er einige Erkundigungen eingeholt und auch selbst praktische Versuche unternommen hatte: „...In der Art der Gummierung hat es mir in so weit geglückt, ... dass dazu vom reinsten und klarsten Gummi genommen und in Wasser dünn aufgelöst wird, wodurch hierauf die Spitzen durchgeschlagen und zugleich auf eine vom glatten Holze in ziemlicher Dicke gemachte Walze an einem Feuer zur geschwinden Trocknung aufgewunden werden.“ Allerdings sind Boysens Experimente noch nicht zufriedenstellend abgeschlossen. „Ich werde indessen noch ferner Nachfrage thun, ... da ich gehört habe, dass die Sachsen ihre schwarzen Spitzen von Nesselgarn machen, auch mich bemühen, diese sammt dem wohlfeilsten Preis zu erfahren“, schreibt er an Sonnabend.
Einige Zeit später teilt Boysen Sonnabend zum Thema Gummierung mit, dass „die eigentliche Masse zur Gummirung“ aus reinem Gummi, etwas Leim und Hausenblase (Hausenblasenleim ist ein spezieller Fischleim aus der Hausen- oder Schwimmblase des Beluga-Störs mit hoher Klebkraft), die als Haftvermittler in Wasser oder Essig aufgelöst werde. Bestellt werden müsse für die Arbeit italienische Seide als Grundmaterial.
Es bleibt jedoch bei Plänen. Ein Aufschwung der Plöner Klöppelwirtschaft kommt nicht mehr zu Stande. Kinders Recherchen geben Aufschluss. „Am 1. Februar 1776 forderte der Statthalter den Magistrat auf, durch öffentliche Bekanntmachung in den Zeitungen einen geschickten Unternehmer der Spitzenfabrikation zu suchen und die Bedingungen zu erkunden, unter welchen ein solcher bereit sei eine Spitzenfabrik in Plön zu errichten“, berichtet Kinder. Dieser Versuch und weitere Impulse scheiterten. Die „Verwertung der Spitzen wurde ... unter der Konkurrenz der Tondernschen Fabrikate immer schwieriger“, stellt Kinder fest, „... die Anzahl der Klöpplerinnen nahm deshalb von Jahr zu Jahr ab“. 1811 vermeldete der Magistrat: „In vorigen Zeiten war das Spitzeklöppeln hier ziemlich in Gange.... Gegenwärtig ist diese kleine Quelle ... zum Unterhalt so mancher nothdürftigen Frauenzimmer fast ganz versiegt.“


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