Bundesgesundheitsminister besuchte Info-Stand von „NichtGenesen“
Travemünde. Die Patienteninitiative NichtGenesen hat während der Gesundheitsministerkonferenz in Travemünde am 12. Juni und 13. Juni auf die verheerende Versorgungslage für Long Covid-, ME/CFS- und Post Vac-Betroffene aufmerksam gemacht.
Weil die Erkrankten nicht selbst nach Travemünde kommen konnten, schickten sie stellvertretend ihre Fotos. So wurden auf einer Länge von einem halben Kilometer dicht aneinandergereiht 650 Schwarzweiß-Portraits von Betroffenen am Strand von Travemünde aufgehängt – versehen mit den Daten zu ihrer Erkrankung. Mit der Sand-Landschaft im Hintergrund und im Strand versunkenen Krankenbetten soll so die Versorgungswüste für die zirka 2,5 Millionen Erkrankten in Deutschland dargestellt werden.
Die Initiative NichtGenesen kritisiert: „Wenn es um Long Covid, ME/CFS und Post Vac geht, befinden wir uns in einer Versorgungswüste – mitten in Deutschland! Die Lage der Betroffenen ist prekär, es gibt kaum Hilfe. Wir möchten, dass die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder endlich aufwachen und angemessen handeln!“.
Die Initiative fordert von den Gesundheitsministerien der Länder und des Bundes ein deutschlandweites flächendeckendes Netzwerk an interdisziplinären Anlaufstellen – so wie dies im Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2021 festgeschrieben ist. Es muss eine zeitnahe und wohnortnahe Diagnostik und Behandlung möglich sein, die sich an den wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert: „Betroffene warten teilweise bis zu einem Jahr auf einen Termin in einer Spezialambulanz. Und selbst hier werden ihnen nur selten medikamentöse Therapien angeboten. Bettlägerige haben meist gar keine medizinische Versorgung,“ so die Initiative. „Wir erhalten derzeit viele Hilferufe von Betroffenen, die in die Armut rutschen.“
Die Krankheitsbilder sind den Ämtern und Versicherungen weitestgehend unbekannt oder werden stigmatisiert. Durch die fehlende Anerkennung bleibt den Betroffenen der Zugang zu sozialen Leistungen häufig verwehrt. Damit all dies im Gesundheitswesen, aber auch in der Gesellschaft ankommt, benötigt es Aufklärungskampagnen, die die Realität der Erkrankungen abbilden: „Momentan kennt zum Beispiel kaum jemand im Gesundheitssektor das Symptom PEM (postexertionelle Malaise) – die Zustandsverschlechterung nach schon geringer körperlicher oder geistiger Belastung. Aufgrund dieser Unkenntnis werden Betroffene reihenweise in aktivierende Therapieprogramme geschickt, die ihren Gesundheitszustand massiv verschlechtern. Diese Fehlbehandlungen müssen endlich gestoppt werden,“ prangern die Initiatorin und Gründerin der Initiative, Ricarda Piepenhagen, und Bundessprecherin Mareike Mitschele an.
Die Patienteninitiative, die sich auf Bundes- und Landesebene für eine bessere Versorgung, mehr Forschung und Aufklärung zu den oben genannten Krankheitsbildern einsetzt, nimmt auch regelmäßig an den Runden Tischen des Bundesministeriums für Gesundheit unter der Schirmherrschaft von Prof. Dr. Karl Lauterbach teil. „Im Februar haben wir den ersten Runden Tisch Schleswig-Holsteins mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Landespolitik, dem UKSH und anderen wichtigen Stakeholder veranstaltet. Im Mai hatten wir die Gelegenheit, unsere Anliegen im Kieler Landeshaus auch im Rahmen der Anhörung zu unserer Petition anzubringen, die innerhalb von nur einer Woche das erforderliche Quorum erreicht hatte. In der Vergangenheit haben wir bereits künstlerische Proteste in Berlin veranstaltet, über die u.a. die Tagesschau und das ZDF berichteten,“ berichtet Carolin Rickert vom Team „NichtGenesen Schleswig-Holstein“.
Am Donnerstagvormittag hat sich Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach am Rande der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) dann tatsächlich kurz Zeit genommen und mit der GMK-Vorsitzenden Prof. Dr. Kerstin von der Decken den Info-Pavillon von „NichtGenesen“ besucht.
Lauterbach sprach über vom Ministerium angestoßene Punkte, wie die G-BA-Richtlinie, welche die Versorgung bundesweit regelt und damit die Behandlung dieser Patientengruppe rentabler wird für Kliniken und Ärzte. „Die Länder sind jetzt in der Verpflichtung, die Strukturen und Kapazitäten für die Umsetzung der G-BA-Richtlinie zu schaffen und auch finanziell zu fördern.“
Außerdem thematisierte der Bundesgesundheitsminister die Off-Label Liste des BfArM. Diese soll Medikamente für Long Covid, ME/CFS und Post-Vac-Betroffene abrechnungsfähig machen, welche für den ein oder anderen Symptomlinderung schaffen können.
„Wir freuen uns, dass Professor Lauterbach mit dem Bundeskanzler im Gespräch ist über die Unterstützung eines neuen Wirkstoffes, welcher sich für ME/CFS in der frühklinischen Phase befindet. An dieser Stelle gilt es zu betonen, dass Prof. Lauterbach sich über seine Ministeriengrenze hinweg einsetzt, da die Förderung von klinischen Studien und Wirkstoffen eigentlich Aufgabengebiet des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist. Leider zeigt sich dieses Ministerium mit der Bundesforschungsministerin Frau Stark-Watzinger bisher ziemlich knauserig bei der Vergabe von Fördermitteln. Und dass, obwohl es für 2,5 Millionen Betroffene in Deutschland und mehrere hundert Millionen weltweit noch keine wirksamen Medikamente gibt,“ so die Bundessprecherin von „NichtGenesen“, Mareike Mitschele. (rk)