Nichtwissen ist keine Option - Mahnmal gibt Euthanasie-Opfern ihre Namen und ihre Würde zurück
Neustadt. Es herrschte bedächtige Stille bei den zahlreichen
Besuchern des Hans-Ralfs-Hauses für Kunst und Kultur auf dem Gelände des Ameos
Klinikums, als am vergangenen Mittwoch, dem Holocaust-Gedenktag, die
Gedenkstunde zur Übergabe eines besonderen Mahnmals an die Öffentlichkeit mit
einer Tonaufnahme eingeleitet wurde. Zu hören waren die Mitglieder des
Arbeitskreises Cap Arcona Gabriela Bendfeldt, Christine Crohn, Pastor Stefan
Kramer und Sylvia Blankenburg, die abwechselnd die Namen von 206 Patienten der
ehemaligen Landesheilanstalt Neustadt in Holstein vortrugen. Diese 206 Menschen
gehörten zu den mehr als 1.000 Patienten, die zur Zeit des NS-Regimes ab 1940 in
Tötungsanstalten verschleppt wurden, wo man sie vergasen, vergiften oder
verhungern ließ. Psychisch kranke Menschen galten in der NS-Ideologie als
„lebensunwertes Leben“ und „erbkranker Nachwuchs“ sollte vermieden werden.
„Namenlos, degradiert zu Nummern, wurden sie deportiert und in den
Tötungsanstalten ermordet. Namenlos starben sie einen grausamen Tod – namenlos
blieben sie bis heute“, erklärte Sylvia Blankenburg. Mit einem Mahnmal bestehend
aus drei Namenstafeln wolle der Arbeitskreis gemeinsam mit dem Ameos Klinikum
nun 931 Opfern der NS-Euthanasie ihre Namen – und damit auch ihre Würde –
zurückgeben.
Vor drei Jahren habe der Arbeitskreis seine Recherche begonnen, so Sylvia
Blankenburg. Bei der Namenssuche wandte man sich an das Landesarchiv Schleswig,
das 2009 alle Krankenakten aus der fraglichen Zeit vom Ameos Klinikum erhalten
hatte. Der Antrag auf Akteneinsicht sei in Schleswig jedoch mit der Begründung
abgelehnt worden, dass noch lebende Angehörige sich ihrer Verwandten schämen
würden. Diese Unterstellung und vor allem die Verwendung von NS-Ideologie
geprägten Begriffen habe den Arbeitskreis entsetzt: „Wir haben gegen diesen
skandalösen Bescheid Widerspruch eingelegt und in einer mehrstündigen Anhörung
vor dem zuständigen, unabhängigen Schiedsausschuss einen Teilerfolg errungen“,
berichtete Sylvia Blankenburg. So habe der Arbeitskreis Einsicht in die
Transportlisten erhalten und durfte über 1.000 Namen abschreiben, denn kopieren
oder fotografieren war nicht erlaubt. Zuvor sei der Arbeitskreis jedoch vom
Kultusministerium ermahnt worden, nicht die vollständigen Opfernamen zu nennen -
„im Interesse der heute lebenden Angehörigen am Nichtwissen“, zitierte sie eine
E-Mail. Der Arbeitskreis entschied sich, diese Mahnung zu ignorieren, denn
„Nichtwissen scheint uns angesichts des von den Nazis verübten Massenmords an
Patienten keine Option“, betonte Sylvia Blankenburg. Bemüht seien die Mitglieder
allerdings gewesen, die Auflage des Schiedsausschusses einzuhalten, nur die
Opfernamen auf den Gedenksteinen zu zeigen, deren Todesdaten ermittelt werden
konnten. Dies war durch umfangreiche Recherchen in 206 Fällen möglich, doch das
Schicksal von weiteren 725 nachweislich aus Neustadt deportierten Patienten ließ
sich nicht mehr nachvollziehen. Diese Menschen wollte man jedoch nicht einfach
vergessen, weshalb der Arbeitskreis und das Ameos Klinikum sich dazu
entschieden, nicht zwischen Ermordeten und Deportierten zu unterscheiden. Auf
den drei Tafeln stehen deshalb nun die vollen Namen von 931 Opfern der
NS-Euthanasie.
Entworfen wurde das Mahnmal vom Neustädter Designer Hans-Dieter Holtz,
ermöglicht wurde es durch die finanzielle Unterstützung des Ameos Klinikums.
Michael Diekmann von der Ameos-Geschäftsleitung bedankte sich beim Arbeitskreis
Cap Arcona für sein unermüdliches Engagement und betonte: „Jeder Name auf diesen
Tafeln gibt den verschleppten und getöteten Menschen ihr individuelles Gesicht
zurück. Die Namenstafeln sind wichtig und notwendig, um das Leid der vielen
Menschen begreifbar zu machen.“ Mit der Übergabe des Mahnmals an die
Öffentlichkeit ist das Projekt jedoch noch nicht abgeschlossen. Der Arbeitskreis
plant, weitere Informationen zu den Opfern zusammenzutragen und in einem
Gedenkbuch zu veröffentlichen. (kp)