Pilotprojekt für Munitionsbergungen in der Lübecker Bucht startet am 15. Juli
Neustadt in Holstein. Den Altlasten des Zweiten Weltkrieges, die seit fast 80 Jahren in der Lübecker Bucht vor sich hinrosten, soll es bald an den Kragen gehen. Noch in diesem Sommer startet ein wegweisendes Pilotprojekt. 100 Millionen Euro gibt es dafür vom Bund.
Die Experten nennen es „Meeres-Offensive“: Vor Pelzerhaken und Haffkrug starten am 15. Juli (Sondierungsphase) die bereits im vergangenen Jahr angekündigten Bergungsarbeiten von Weltkriegs-Munition, die dort im Oktober 1945 versenkt worden ist. In einer kurzfristig angekündigten Informationsveranstaltung des Bundesumweltministeriums in Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium Schleswig-Holstein wurden die Planungen am vergangenen Dienstagabend im Neustädter Theatersaal der Öffentlichkeit vorgestellt.
Das Interesse von den Bürgerinnen und Bürgern war mäßig, bei Vertreterinnen und Vertretern der Politik dagegen groß. Landrat Timo Gaarz, Kreispräsidentin Petra Kirner, Touristiker von OHT und TALB, Bürgermeisterin Bettina Schäfer (Scharbeutz), Bürgermeister Sven Partheil-Böhnke (Timmendorfer Strand) sowie Bürgermeister Udo Gosch (Sierksdorf) waren nur einige der Gäste. Der Meeresbeauftrage der Bundesregierung Sebastian Unger gab nach einer kurzen Begrüßung durch Bürgermeister Mirko Spieckermann den Anwesenden einen ersten Überblick über das Vorhaben.
1,6 Millionen Tonnen Kriegsmunition lagern demnach noch in Nord- und Ostsee, davon allein 50.000 Tonnen in der Lübecker Bucht. Die Bomben und Granaten rosten teilweise und setzen auch Schadstoffe frei, was man in Muscheln und Fischen nachweisen könne, wie Sebastian Unger erklärte. Das mit 100 Millionen Euro von der Bundesregierung finanzierte „Sofortprogramm Munitionslasten in Nord- und Ostsee“ sei eine wichtige „Meeres-Offensive“, um diese Probleme in Angriff zu nehmen. Ziel des Pilotprojektes ist es, neueste Technologien zur Erkennung und Bergung von Kriegsmunition zu testen und weiterzuentwickeln. Damit sollen Erkenntnisse gewonnen werden, wie verschiedene Arten an Munition möglichst effizient und schnell aus den Meeren geborgen werden können. Diese sollen für zukünftige großflächige Munitionsbergungen und in die Entwicklung einer mobilen und schwimmenden Entsorgungsanlage einfließen.
Umweltminister Tobias Goldschmidt bezeichnete die Ostsee als eines der krankesten Meere der Welt, der Patient müsse multilateral wieder gesund gepflegt werden: „Wir freuen uns über die 100 Millionen Euro, aber es ist nur ein Anfang. Die 1,6 Millionen Tonnen in den Meeren werden bald zum Problem. Nach acht Jahrzehnten ist Eile geboten“, so der Umweltminister.
Über die nun konkret anstehenden Schritte und den Zeitplan informierte Projektleiter Wolfgang Sichermann von der Firma „Seascape“. Demnach geht es ab dem 15. Juli mit der Sondierung (Identifizierung und Klassifizierung der Sprengstoffe) los. Was liegt wo, wie ist der Zustand, welche Gefahren lauern bei der Bergung? All das wird geklärt, bevor ab 15. August vor Pelzerhaken-Nord (hauptsächlich Bomben) und Haffkrug (hauptsächlich Heeresmunition/Granaten) die Bergung beginnt. Pelzerhaken-West folgt im Anschluss Mitte September. Bis Mitte/Ende Oktober will man in der Lübecker Bucht fertig sein. Zunächst sollen aber nur rund 50 Tonnen Munition aus einer Wassertiefe von 18 bis 20 Metern geborgen werden. Diese werden über den Landweg vom Neustädter Marinehafen nach Munster verbracht und dort vernichtet. Auch die Crew-Transporte laufen über Neustadt. Langfristiges Ziel ist der Bau einer schwimmenden Anlage ab 2026, damit die Munition noch vor Ort schadstoffarm verbrannt und entsorgt werden kann, da der Transport vieler Munitionsarten auf dem Landwege zu unsicher sei, wie Sichermann betonte. Ein Räumschiff wird also ab dem 15. August ständig vor Ort sein, circa zwei Kilometer vom Ufer entfernt.
Nicht intakte Munition wird bereits unter Wasser in Behälter verbracht, um eine Gefährdung der Natur auszuschließen. Während der Bergungsarbeiten soll ein Sicherheitsbereich von 300 bis 500 Meter auf dem Wasser und bis zu zwei Meilen unter Wasser eingerichtet werden. Ab Windstärke 6 aus Ost sollen die Arbeiten pausieren. Mit chemischen Kampfstoffen sei in der Lübecker Bucht nicht zu rechnen, so die Experten. (ab)