Frische Melonen auch in Norddeutschlands Fürstengärten

Reporter Eutin 540

Plön (los). „... zum Schluss fehlt nie die Kalte Sophie” – schon wegen der Eisheiligen Mitte Mai, von denen die „Kalte Sophie“ am 15. Mai das Schlusslicht in der Reihe bildet, ist die Gartenglocke eine gute Erfindung gewesen. Nicht um bei Schauerwetter Alarm zu schlagen, sondern als Schutz für junge, grad neu gesetzte Pflanzen, die Wetterkapriolen noch nicht standhalten. Museumsleiterin Julia Meyer hat ein solches Exemplar im Inventar des Kreismuseums stehen, das aus dem 19. Jahrhundert stammt. Mit über 50 Zentimetern Durchmesser und 30 in der Höhe ist dieser Museumsschatz ein großer Vertreter seiner Art. Die Glasglocke aus farblosen Glas ist mit einem Knauf ausgestattet, der das einfache Anheben der schweren Last ermöglicht. „Es waren damals aber auch solche aus farbigem Glas üblich“, weiß die Kunsthistorikerin, die ein französisches Pendant in der Glassammlung des Plöner Kreismuseums stehen hat.
Als große Gewächshäuser noch nicht Standard waren, waren die exklusiven Blumen- oder Blumenkohlglocken, wie sie auch genannt wurden, äußerst nützliche Utensilien. Denn „sie halfen, eventuelle Ausfälle in den frisch gesetzten Gemüsekulturen zu vermeiden und das Wachstum zugunsten einer früheren Reife zu beschleunigen.“ Ein echter Museumsschatz also, bedenkt man die Exklusivität solcher Dinge, die zu früheren Zeiten äußerst aufwendig hergestellt werden mussten. Wer es sich leisten konnte, schaffte sie an: So seien unter anderem auch in der Plöner Schlossgärtnerei Gartenglocken eingesetzt worden. „Und das spätestens seit dem 18. Jahrhundert“, weiß Julia Meyer.
Die Glasmacher haben sich jedoch schon weitaus länger darauf verstanden, Glasglocken zu blasen. Das bezeugt zum Beispiel eine Wandmalerei der Kirche Heiliger Kanzian in Nötsch im österreichischen Gailtal. Sie soll bereits um 1500 entstanden sein.
Auch der in Marburg gebürtige Botaniker, Naturforscher und Arzt Adam Lonitzer (latinisiert Adamus Lonicerus) präsentierte in seinem „Kreuterbuch“ Destillierapparate aus Glas, die zu seiner Zeit im 16. Jahrhundert – während der Renaissance – offenbar verbreitet Verwendung fanden. Teil des Konstrukts war ein helmförmiges Ding, ähnlich einer Glocke mit Griff , das sich für Frühtreiberei eignete und offenbar auch so genutzt wurde.
Etwa zur gleichen Zeit lebte Olivier de Serres, der als „Vater der französischen Landwirtschaft“ auf einer Art gartenbaulichen Versuchsanstalt, einem „Mustergut“ experimentierte und seine Ergebnisse im Handbuch „Kompendium Landwirtschaft und Ackerbau“ zusammenfasste.
Serres hat den Einsatz von Glasglocken in der Melonenkultur beschrieben, die nur in Verbindung mit viel Wärme gelingt. Er empfahl zur weiteren Verstärkung Pferdemist, dessen organische Umsetzung durch Mikroorganismen besonders viel Bodenwärme erzeugt. Denn diese Wärme regt die Wurzelbildung der Pflanzen an und wirkt sich auf das Kleinklima um sie herum aus.
Gleichzeitig erhalten die Gewächse während der Umsetzung des organischen Materials ein reichliches Stickstoffangebot, das die Bildung von viel Blattmasse und in folge des höheren Photosynthese-Umfangs kräftiges Wachstum zur Folge hat. Auch wenn Olivier de Serres die chemischen Prozesse wohl noch nicht nachvollziehen konnte, so hat er den Effekt auf die Pflanzen sehr genau beobachtet und seine Kulturempfehlungen entsprechend ausgearbeitet.
In Deutschland stellten reisende, weil Wald rodende Glasbläser bald in Böhmen, Thüringen und Lothringen Glocken in großer Zahl her. „In Schleswig-Holstein wurden sie nachweislich im Jahre 1844 in den fünf Glashütten im Prinzenmoor südwestlich von Rendsburg hergestellt“, erzählt Julia Meyer. Die Glashütte war im übrigen nicht auf die Gartenglocken spezialisiert, sondern stellte noch andere Gegenstände wie gläserne Dachpfannen, Korb- und normale Flaschen sowie Glas-Apparate her.
Glasglocken als mobiles Treibhaus im Kleinen waren exklusives Zubehör und sicher nicht für jeden erschwinglich. Für historische Gärten wie in Plön sind sie verbrieft und wurden zur Frühtreiberei verwendet. Gerade in den herrschaftlichen Anlagen wurde die Kultur exotischer Pflanzen mit allem Knowhow betrieben, das seinerzeit zur Verfügung stand.
So hat sich etwa der Gärtner Jean-Baptiste de la Quintinie, der von 1626 bis 88 lebte, einen Namen gemacht: Er gilt als einer der ersten, die dank findiger Feigenkultursteuerung Früchte im Juni ernten konnten. Auch Erdbeeren im März zu ernten, ist ihm gelungen, was Ludwig XIV sicher freute: Jean-Babtiste arbeitete in seinem Potager du Roi am Versailler Schloss, dem königlichen Küchengarten.
Jean-Babtiste de la Quintinies Techniken wurden auch in Schleswig-Holstein adaptiert. Im Küchengarten von Schloss Eutin gelang es etwa dank ausgeklügelter Kulturtechnik Melonen-, Feigen-, Pfirsich- und sogar Ananasfrüchte zu produzieren. Und zwar auch außerhalb ihrer eigentlichen Saison und höchstwahrscheinlich auch unter Verwendung der Gemüseglocken.
Schon das durch hohe Mauern windgeschützte Areal, in dem sich die Sonnenwärme fängt, bietet Pflanzenkulturen dort ein rund ums Jahr günstiges Klima. Steinmauern speichern zudem die Wärme. Darüber hinaus hat es aber noch die Orangerie sowie Ananashäuser sowie ein Weinhaus gegeben, in dem die Ananasfrüchte und Tafeltrauben in geschütztem Raum früher reifen konnten.
Der Küchengarten des Sonnenkönigs wurde ein Vorbild vieler Anlagen: Auch er war von drei Seiten mit einer hohen Mauer eingefasst, die empfindliche Pflanzenarten gedeihen lassen. Für König Ludwig wurden zum Beispiel Melonen, Gurken, Erdbeeren, sowie Feigen, Frühkirschen, Pfirsiche und Nektarinen kultiviert. Im Zentrum des Gartens befand sich ein Wasserbecken, um das herum Beete mit großen Gemüsearten als „Jardin des gros légumes“, dem Garten der großen Gemüse gepflegt wurden. Den Eutiner Küchengarten um- und durchfließt analog dazu ein kleiner Bachlauf beziehungsweise Kanal und es gibt extra angelegte Teiche, die das nötige Gießwasser ohne lange Wege verfügbar machen, sowohl beim Orangeriehaus als auch an der Südseite.
Mit Hilfe dieses ganzen Aufwands und Erfindungen wie der Glasglocke waren die historischen Küchengärten gegen Wettereinbrüche oder eine klimatisch ungünstige Sommersaison gut gewappnet. Als preisgünstigere Vorläufer der heutigen Gewächshäuser, bevor diese allgemein erschwinglich waren, zählten sie zu den meistgebrauchten Utensilien. Vor allem in Frankreich, wo Gärtnereibetriebe im 19. Jahrhundert zum Teil mehrere Zehntausend im Einsatz gehabt haben sollen. Verbreitet waren sowohl die geblasenen Glasglocken als auch Hauben aus kleinen bleiverglasten Scheiben.
Als Gewächshäuser erschwinglich wurden, verloren die Glocken und Glashauben gänzlich an Bedeutung. Allerdings sind inzwischen wieder originalgetreue Repliken aus Glas im Angebot. Für alle, die zu Hause oder im Kleingarten Gemüse anbauen, eine gute Idee: Sie schützt die Jungpflanzen vor Nachtfrösten und ist dabei umweltfreundlicher als ein ausgedienter Folientunnel. Vom ästhetischen Wert ganz zu schweigen.
Nötig und sinnvoll sind Schutzeinrichtungen und ein Auge auf das Wetter allemal, wenn Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius und Sofie im Anmarsch sind. Nach den Bauernregeln sind sie in dieser Reihenfolge vom 11. bis zum 15. Mai zu erwarten. Nach ausgewerteten Statistiken ist aber noch bis zum 27. Mai mit Nachtfrösten zu rechnen. Denn selbst wenn sich der Boden schon erwärmt hat – die Meere sind noch kalt. Und sie haben maßgeblichen Einfluss auf das Klima. Kurzzeitige Kälteeinbrüche sind also durchaus weiterhin möglich. Davon zeugt auch die sogenannte „Schafskälte“, meistens um den 11. Juni, die durch eine aus Nordwesten einströmende kühl-feuchte Luft entsteht und namentlich Bezug auf die Schafschur in dieser Jahreszeit nimmt. So ist es gut, auch dann noch eine Glasglocke bereit stehen zu haben, um bereits ausgetriebene Bohnen- oder Kürbispflänzchen schützen zu können. Bleiben Sie gespannt auf die nächsten Museumsschätze.