Pläoyer gegen den Missbrauch von Sprache: Universitätsgesellschaft Plön zeigt Nazi-Gift im Vokabular auf

Reporter Eutin 487
Plön (los). Zuhören im Stehen – alle Plätze besetzt. Die Akualität überrollte die Veranstaltung. So konnte sich die Universitätsgesellschaft Sektion Plön über viel Zulauf zu ihrer Vortragsveranstaltung „Nazi-Sprache gestern und heute“ freuen. Germanist Prof. Jörg Kilian von der Christian Albrechts Universität zu Kiel ging in einem anschaulichen Brückenschlag auf die derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen ein.
Sprache ist ein entscheidendes Rädchen im gesellschaftlichen Getriebe: Dies wurde bei Jörg Kilians Vortrag am Donnerstag im Plöner Bahnhof schnell deutlich, ebenso die kollektive Verantwortung im Umgang mit Sprache. Sie verlangt jedem ein gutes Maß an Reflexion und einen geschärften Sinn für Ausdrücke, Begriffe und Redewendungen ab.
„Sonderbehandlung“, „Abholung“, „Endlösung“ und auch „Lügenpresse“: Vieles aus der Sprache im Nationalsozialismus wirkt bis in den heutigen allgemeinen Sprachgebrauch nach, zeigte Kilian auf, Wortgruppen, belastet „durch den Terror gegen jüdisches Leben und bestimmte gesellschaftliche Gruppen, der dann auch physisch wurde“. Wobei „Abholung“ vor allem bei Juden ein sehr erinnerungsintensives Wort sei.
Bei bestimmten Ausdrücken scheint die Erinnerung aufzuweichen: Welche Verknüpfung wird durch „Mädels“ hergestellt, ein Wort, das im Nationalsozialismus zur offiziellen Bezeichnung für BDM, „Bund Deutscher Mädel“, gemacht wurde? Wer denkt bei „Pimpf“ an die jüngsten in der Hitlerjugend, wer bei „Sonderbehandlung“ an Misshandlung, Erniedrigung, Folter?
Die sprachliche Praxis veränderte sich, so Kilian, etwa „Moin“ anstelle des Hitlergrußes zu sagen, „konnte in der Alltagspraxis zum bedrohlichen Problem werden“.
Die Nazionalsozialisten schufen als Begriff „den Juden“, der als Kollektiv für alle Eingang in den Sprachgebrauch fand, etwa in Aufrufen „meidet den Juden“. „Sie haben sehr geschickt die Sprache zu nutzen gewusst“, so Kilian mit Blick auf die Trennung in „die Deutschen“ und „den Juden“, anschaulich illustriert durch eine Fotografie dieser Zeit, auf der ein Straßenbereich mit einem Verbotsschild das Ausmaß der Spaltung verdeutlicht: „Wohngebiet der Juden – Betreten verboten“.
„Das passierte nach 1933 in aller Öffentlichkeit“, rückte Jörg Kilian den sprachhistorischen Kontext in den Blickpunkt. „Und dass das Ermorden etwas leichter fiel, lag auch daran, dass die Juden schon in der Weimarer Zeit und früher verunglimpft wurden.“
Zudem hätten es die Nazis gut verstanden, „in den verschiedenen Milieus in deren Vokabular Fuß zu fassen“, erklärte er. Das taucht perfide Hintergründe mitunter in rosiges Licht: Noch heute würde vermengt, mit der „Autobahn“ würden doch „Arbeitsplätze geschaffen“, so ein bekanntes Beispiel. „Da sehen wir schon erste Verbindungen bis in die Gegenwart.“
Auch die Assoziation von „Wucher“, „Juden“ und „Geldwirtschaft“ habe überdauert. „Der Zusammenhang ist bei vielen noch bekannt“, so Kilian. Dabei handelte es sich um ein sprachliches Konstrukt der Nazionalsozialisten, die es als Wirklichkeit herausgaben – auf dieser Historie gründeten die Assoziationen. Doch wie damit umgehen?
„Wenn wir etwas nicht verstärken wollen, müssen wir laut dagegen angehen und aufklären“, unterstreicht Jörg Kilian. „Wir können nicht Wörter aus dem Duden nehmen und erwarten, damit die Denkweise abzuschaffen.“
Die Idee der „Political Correctness“ versucht allerdings genau das: „Sie geht davon aus: wenn Wörter aus der Sprache herausgenommen werden, verschwindet die Denkweise.“
Bei so vielen Wörtern, die infrage kommen, sei dies jedoch sprachtheoretisch gar nicht möglich und auch nicht zu kontrollieren. „Und oft binden sich Denkweisen an ein Ersatzwort“, erläutert Kilian. Lediglich das Etikett sei dann geändert. Und somit nichts gewonnen.
Es muss darum gehen, „Sprachgebrauch bewusst zu machen“. So dürfte „Jedem das Seine“ eine andere Klangfarbe entwickeln, wenn jemand mit „Buchenwald“ etwas anzufangen weiß: Der Spruch ist an der Tür dieses Konzentrationslagers zu lesen.
Das Einstreuen von Zweifelwörtern helfe in der Didaktik, eine feinere Antenne im Umgang mit Sprache zu entwickeln. Denn „Sprache führt zu Bildern in unseren Köpfen“, so Kilian. Nur so erklät sich, dass „Unkraut“ mitleidlos herausgerissen wird. „Wir sehen daran, wie Sprache bei den Nationalsozialisten gewirkt hat.“ Es gehe alle an, dem Mißbrauch von Sprache vorzubeugen.