Leser retten alte Pflanzensorten

Reporter Eutin 564

Preetz/ Kreis Plön (los). Eine Art grünes Bonbon wird den Nutzern der Fahrbücherei 10 im Kreis Plön derzeit schmackhaft gemacht: Zum ersten Mal bietet der Bücherfuhrpark aus der Preetzer Gasstraße 5 im Rahmen der „Mobilen Saatgutbibliothek“ nicht nur die Ausleihe ausgewählter Lieblingslektüre, sondern auch von Saatgut ausgewählter Nutzpflanzen an. Wer seinen grünen Daumen testen und das Gemüse in den kommenden Monaten kultivieren möchte, muss im Herbst nur etwas zurückgeben: nämlich selbst gewonnenes Saatgut. Teilnehmer hegen in dieser Zeit einen grünen Schatz: Denn die ausgegebenen historischen Gemüsesorten sind unmittelbar vom Aussterben bedroht.
 

„Ziel ist es, die alten Sorten so zu erhalten“, erläutert Fahrbücherei-Leiterin Susanne Stökl. Aus diesem Grund ernteten Nutzer von ihren aufgezogenen Gemüsepflanzen nicht nur die Früchte, sondern auch die Samen, die eingetütet und in der Fahrbücherei in rund acht Monaten wieder abgegeben werden sollen. Im nächsten Jahr gelangt das „ausgeliehene“ Saatgut nach der Idee des Teilens und Wiederverteilens erneut in Umlauf. Mit wachsender Fan-Gemeinde, so die Hoffnung, werde es so gelingen, die Kulturpflanze mit ihren spezifischen Eigenschaften sortenrein für künftige Generationen zu erhalten. Eine unkomplizierte Kulturanleitung wird mitgegeben, sodass auch Anfängern gute Erfolgsaussichten beschert sind. Zur Verfügung stehen alte Bohnen-, Erbsen-, Radieschen- und Tomatensorten als Gemüsearten, die für alle Garten-Neulinge gut geeignet sind. Der bundesweit aktive Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) steht hinter dem Projekt. Die Organisation wurde vor 35 Jahren ins Leben gerufen. Die VEN Regionalgruppe Nord (www.nutzpflanzenvielfalt.de), die sich auch seit der Landesgartenschau 2016 im Eutiner Küchengarten im Schlosspark mit alten Gemüsesorten präsentiert, ist Kooperationspartner der „Mobilen Saatgutbibliothek“ und hat das Saatgut zur Verfügung gestellt. Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht ist der Schirmherr des mit Mitteln der Bingo! Umweltlotterie geförderten Projekts.
Gärtnerische Erfahrungen sind nicht Voraussetzung für die Teilnahme, jedoch die Zugehörigkeit zur Leserschaft der Fahrbücherei, erklärt Susanne Stökl. Wer mitmachen möchte, profitiert daher nicht nur beim praktischen Gärtnern und späteren Genießen der Früchte seiner Arbeit, sondern kann etwaige Wissenslücken mit informativer Gartenlektüre für umfangreicheres Know-how in erfolgreicher Gemüseaufzucht schließen. Die Fahrbücherei hat passende Literatur zum Thema zusammengestellt. Einen Schritt weiter können diejenigen Leser gehen, die sich ergänzend noch aus dem Bereich fridays for future etwas aussuchen, lautet Susanne Stökls Tipp. Hier geht es um weiterführende Informationen zu Klimawandel und –rettung, die unmittelbar landwirtschaftliche Aspekte betreffen. So sei das Thema Nutzpflanzenerhaltung auch an dieser Stelle verankert. Im rechtlich-politischen Zusammenhang sind die alten Sorten ebenfalls zu betrachten: Denn gerade die Hybridzucht und die Vermarktung der sogenannten F1-Hybriden sorgte für ihren Rückgang – schließlich konnte zuvor jeder ganz frei und unabhängig sein eigenes Saatgut gewinnen.
Das Problem: Pflanzen aus Hybridsaatgut taugten selbst nicht zur Vermehrung, erklärt Susanne Stökl. Da sie aus Kreuzung zweier verschiedener Inzuchtlinien entstanden sind, hätten ihre Nachkommen ganz unterschiedliche Eigenschaften. Zudem werden die Hybridsamen durch bestimmte Methoden so bearbeitet, dass eine weitere Vermehrung unmöglich wird. (Der gesetzliche Sortenschutz verbietet es ohnehin). Das ist ganz im Sinne der Saatgutkonzerne, die jährlich ihr beim Bundessortenamt patentiertes Saatgut in den Handel bringen und daran verdienen wollen.
Die vom Aussterben bedrohten alten Sorten sind gewissermaßen die samenfeste Konkurrenz der Hybriden, denn sie bringen Nachkommen mit exakt den gleichen Eigenschaften der vorigen Generationen hervor. So kann jeder, der sie anbaut, in Eigenregie sein eigenes Saatgut gewinnen. Tauschen und Teilen alter Sorten unter privaten Gärtnern ist zudem nicht verboten.
 

Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) seien rund 90 Prozent aller Kulturpflanzen, die es einmal gegeben hat, bereits verloren, erklärt Susanne Stökl. Dabei sind diese Schätze eigentlich so etwas wie die grünen Zeitzeugen unserer Geschichte. In Jahrhunderte währender Auslese entstanden samenfeste Sorten mit lokaltypischen Eigenschaften, die sie für die jeweilige Region mit ihren spezifischen Böden und Klimazonen besonders brauchbar machten. Nicht jede Wärme liebende Buschbohne hat sich etwa im windigen norddeutschen Küstenklima behaupten können. Andere brachten trotzdem gute Erträge, wurden selektiert und weitervermehrt. So sind nur die sprichwörtlich „Harten in den Garten“ gekommen. Ein weiterer Pluspunkt, der sie auch aus kulinarischer Sicht erhaltenswert macht: Die robusten, an klimatische Veränderungen häufig besser angepassten alten Sorten gelten auch als besonders aromatisch. Daher eignen sich mitunter für ganz bestimmte Rezepte, sodass neben dem Garten oder Balkon auch die Küche als neues Experimentierfeld entdeckt werden darf.
„Saatgut ist Kulturgut und sollte allen Menschen in gleicher Weise zur Verfügung stehen“, zitiert Susanne Stökl den Ansatz von VEN. Und nur durch aktives Gärtnern werde es möglich sein, auch das Wissen um Anbau und Vermehrung zu bewahren, da neben den alten Sorten auch der über Generationen gesammelte Erfahrungsschatz rund um das Gärtnern verloren zu gehen droht. Umso wichtiger ist es, auch die Jüngsten mit einzubeziehen, und nicht nur im Privaten. Deshalb können Schulen und Kindergärten über die Fahrbücherei speziell zusammengestellte Saatgut-Mischungen und dazu passende Sachbücher erhalten.
 

Insgesamt sind 13 Fahrbüchereien im Land unterwegs, 7 davon auch als „Mobile Saatgutbibliothek“. Die Büchereizentrale Schleswig-Holstein verwaltet und koordiniert die bibliothekarische Arbeit der Fahrbüchereien und ist für das Projekt „Mobile Saatgutbibliothek“ verantwortlich. Im Plöner Landkreis fährt die Fahrbücherei 10 insgesamt 71 Gemeinden mit 294 Haltepunkten an, außerdem Kiel-Wellsee und einige angrenzende Gemeinden aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde. Bestellungen können die Leser der Fahrbücherei 10 im Kreis Plön telefonisch unter 04342-5981 oder per Email unter info@fahrbuecherei10.de aufgeben. Das Angebot erscheint online unter www.fahrbuecherei10.de, aktuelle Berichte, Informationen und Tipps zum Projekt unter www.mobilesaatgutbibliothek-sh.de. Weitere Informationen sind unter www.nutzpflanzenvielfalt.de zu finden.