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„Eutin in alten Ansichten 2025“ wurde vorgestellt und sorgt für Diskussionen

Regine und Karlheinz Jepp (vorne) stellen zusammen mit Harald Werner (li.) und Sven Radestock ‚Eutin in alten Ansichten‘ für 2025 vor.

Regine und Karlheinz Jepp (vorne) stellen zusammen mit Harald Werner (li.) und Sven Radestock ‚Eutin in alten Ansichten‘ für 2025 vor.

Bild: C. Burgdorf

Eutin (cb). Welche kleinen und größeren Katastrophen hatte Eutin in seiner über 750-jährigen Geschichte zu meistern und wie gingen die Einwohner damit um? Mit dieser Frage beschäftigten sich Regine und Karlheinz Jepp vom Büro für Eutiner Stadtgeschichte, die auch dieses Mal redaktionell von Elke Kock und Aloysius Kroll unterstützt wurden, in der 31. Ausgabe des Kalenders ‚Eutin in alten Ansichten‘.
„Die Eutinerinnen und Eutiner haben es trotz aller Katastrophen immer geschafft, wieder aufzustehen, sich Mut zuzusprechen und zusammenzuhalten“, resümiert Regine Jepp mit einem Blick auf die im Kalender dargestellten Ereignisse.
Es wird über Brände berichtet, die die Stadt im Laufe der Jahrhunderte heimgesucht und erheblich zerstört haben. Dass Eutin Mitte des 19. Jahrhunderts von der Cholera halbwegs verschont geblieben ist, verdankt sie auch einem umsichtigen Amtsarzt. Warum wenig später die Honoratioren der Stadt bei einer verheerenden Sturmflut für viele Menschen aus Haffkrug zur schnellen Hilfe aufriefen, schildern die Autoren im Kalender und berichten über eine entgangene Katastrophe der Eisenbahn und die Havarie eines Wasserflugzeugs. Der erste Weltkrieg bringt viel Leid in die Stadt und in der Zeit danach lassen Inflation und Misswirtschaft bei vielen Bürgerinnen und Bürgern die Träume von einem besseren und sicheren Leben zerplatzen.
Der 30. Januar 1933 gilt als Wendepunkt in der deutschen Geschichte. Eutin spielte dabei eine eher unrühmliche Rolle, hatten doch die Nationalsozialisten schon zuvor Fuß in der Stadt fassen können. Während des Krieges war Eutin jedoch ein Zufluchtsort für viele Menschen, die in Kiel, Hamburg und anderen Städten ausgebombt waren.
Den Abschluss bildet ein Ereignis aus der eher neueren Geschichte. Wer sich noch an die Schneekatastrophe 1978/79 erinnern kann, weiß, wie groß der Einsatz und der Zusammenhalt in der Eutiner Bevölkerung war.
Das alles haben Regine und Karlheinz Jepp im Kalender für 2025 in Wort und Bild im Kalender festgehalten.
Bei dessen Vorstellung war neben Harald Werner, Vorsitzender des Kuratoriums zur Förderung der Kultur und Erwachsenenbildung des Kreises Ostholstein, auch Eutins Bürgermeister Sven Radestock anwesend, der vor vielen Jahren selbst an der Erstellung eines Kalenders beteiligt war. „Daher weiß ich, wie intensiv diese Arbeit ist. In meiner Küche hängt immer der aktuelle, das wird auch im kommenden Jahr so sein“, berichtete der Verwaltungschef. Allerdings wird es für ihn eine Ausnahme geben: „Das Oktoberblatt werde ich überblättern.“
Auf dem Foto wird die mit Hakenkreuzfahnen beflaggte Stolbergstraße dargestellt. „Sicherlich ist das Foto in dem Kontext richtig eingeordnet und rechtlich unbedenklich. Natürlich dürfen wir die Geschichte, die Eutin in der Zeit gespielt hat, nicht leugnen und müssen dafür Verantwortung übernehmen. Ich will mir aber so ein Bild nicht einen Monat lang ansehen müssen. Für mich ist es eine Frage des guten Geschmacks und es macht einen Unterschied, ob so ein Foto in einem Geschichtsbuch zu sehen ist oder an der Wand hängt. Daher wird die Stadt Eutin in diesem Jahr ein anderes Geschenk für Jubilare auswählen, auch wenn die Aussage des Kalenders, sich gegenseitig Mut und Hoffnung zu machen, sehr gut in unsere heutige Zeit passt “, sagte Radestock.
Regine Jepp zeigte dafür wenig Verständnis. „Die Jahre des Nationalsozialismus kann man doch nicht ausblenden. Das Foto illustriert, was auf der Rückseite des Kalenderblattes zu lesen ist. Und wer es nicht sehen mag, springt eben vom September gleich in den November. ‚Eutin in alten Ansichten‘ hat übrigens nie den Anspruch erhoben, ein Schmuckkalender zu sein. Der Kalender ist ein Kompendium der Eutiner Geschichte.“
Diskussionen ähnlicher Art gab es bereits nach der Vorstellung des Kalenders 2019. Auch damals war ein Foto, auf dem eine Hakenkreuzfahne zu sehen war, Stein des Anstoßes, der sogar zu einem Ermittlungsverfahren der Lübecker Staatsanwaltschaft führte.
Die Oberstaatsanwältin Dr. Ulla Hingst attestierte damals: „Es greift die sog. Sozialadäquanzklausel des Strafgesetzbuches […]. Der Inhalt des Kalenders [für 2019 Anmerk. der Redaktion] beruht auf dem Ergebnis historischer Recherchen anhand verschiedener Quellen […]. Bei der Veröffentlichung, auch wenn diese in der Form eines Kalenders erfolgt ist, handelt es sich um das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung.“
Der ehemalige Kreispräsident Harald Werner hob den großen geschichtlichen Wert des Kalenders hervor. „Ich finde es sehr beeindruckend, mit welcher wissenschaftlichen Akribie Regine und Karlheinz Jepp an der Arbeit waren. Die geschichtliche Einordnung ist stimmig und dokumentiert, wie die Bevölkerung mit den kleinen und großen Katastrophen umgegangen ist. Es ist ein schönes Geschenk an Eutins Bürgerinnen und Bürger.“
Für 14 Euro ist der Kalender ab sofort in der Buchhandlung Hoffmann in der Eutiner Peterstraße zu erwerben.


Kommentar
Lächelnd hält Bürgermeister Sven Radestock den Kalender in die Kamera, verschenken aber will er ihn in diesem Jahr nicht. Der Grund dafür findet sich im Oktoberblatt: Zu sehen ist die Stolbergstraße in den 1930er Jahren, beflaggt mit Hakenkreuzfahnen. Ein Anblick, der Unbehagen auslöst, man möchte das nicht sehen. Was aber wäre die Alternative? Einen Straßenzug ohne Nazisymbole heraussuchen? Dürfte schwierig werden – erstens praktisch, denn es gibt aus dieser Zeit wenige Abbildungen ohne diese Belege der Regimeherrschaft, und zweitens vor dem Hintergrund der historischen Genauigkeit, die die Herausgeberin Regine Jepp sehr ernst nimmt. Denn wahr ist: Eutin hat eine braune Vergangenheit. Die zweite Möglichkeit wäre gewesen, die betreffenden Jahre einfach auszuklammern. Und dann? Was wird aus der vielzitierten Verpflichtung: Nie wieder! Was aus der Verantwortung, die Erinnerung wachzuhalten? Der Kalender leistet dazu einen Beitrag als thematisch klar gefasstes Beispiel von sorgfältiger Quellenarbeit. Texte und Fotos ergänzen einander. Er ist eine Plattform für einen bewussten Blick auf die Stadt, eine erste Portion Wissen, die auch einlädt, tiefer zu gehen. Aus der Geschichte zu lernen. Waren nicht auch dafür 2500 Menschen vor zwei Wochen erst auf der Straße?
Aktuell demonstriert es sich gemütlich gegen rechts in Eutin. Es ist keine hundert Jahre her, da verhielt sich das anders. Dies auszuklammern aus einem Kalender zu den Katastrophen der Stadtgeschichte, wäre weit mehr als geschmacklos. Es wäre ein Schritt in Richtung Geschichtsvergessenheit.
Astrid Jabs

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