

Plön (los). Was sagt der Taurus über unserer Selbstbehauptungsfähigkeit? Brauchen wir mehr U-boote? Die Wehrpflicht?
Als Experte sprach Politikwissenschaftler und Hochschullehrer Professor Carlo Antonio Masala am vergangenen Mittwoch (18. Juni) vor zahlreichem Publikum in der Mehrzweckhalle der Marineunteroffiziersschule (MUS) am Plöner See. Auf dem Programm: brandaktuelle Fragen der Sicherheit. An den Vortrag schloss sich die Gelegenheit für Fragen an.
Der Schul-Kommandeur Kapitän zur See Edgar Behrends begrüßte mehrere hundert Soldaten, Führungskräfte sowie geladene Gäste, Vertreter der umliegenden Kreise und Gemeinden. Auf dem Podium saß auch der Inspekteur der Marine und oberster truppendienstlicher Vorgesetzter der Seestreitkräfte der Bundesrepublik, Vizeadmiral Jan Christian Kaack.
In den knapp einstündigen Ausführungen skizzierte Wissenschaftler Masala zunächst das geopolitische Kaleidoskop der Konflikte, an denen sich die derzeitigen globalen Verschiebungskräfte ablesen lassen, am Horizont eine andere Weltordnung. Das Zeitalter der Polykrisen hat es in sich: Zwar habe es global ein Nebeneinander verschiedener Krisen auf unterschiedlichen Ebenen immer gegeben. Neu sei jedoch, dass die Staaten sie zu verbinden versuchten, erläuterte Masala. Ein Beispiel sei Nordkorea, da Kim Jong-un eigene Soldaten nach Russland zu entsenden bereit war, um dessen Angriffskrieg auf die Ukraine zu unterstützen.
Und einen Tag nach der Vortragsveranstaltung an der MUS wird die Zunahme der Zusammenarbeit von Pjöngjang und Moskau noch einmal deutlicher: 5000 nordkoreanische Bausoldaten wolle Nordkorea nach Kursk nahe der ukrainischen Grenze schicken (Schweizer Fernsehen SRF am 19. Juni 2025), dies habe ein Sekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrats mitgeteilt. Erstmals kommunizierten die beiden Länder offen ihre Zusammenarbeit, zeigt der Bericht auf.
Ein anders gelagertes Beispiel des Vortrags Carlo Masalas: Die Aktivitäten der neuen Bundesregierung gegen irreguläre Migration. „Dabei ist die Ursache der Klimawandel“, zeigte Masala die Verstrickung dieser zwei Krisen auf. „Die Menschen flüchten vor unlebenswerten Lebensbedingungen.“ Dies könne zu noch stärkeren Migrationsbewegungen führen, nahm Masala auf die aktuelle Forschung Bezug. So sei ein Szenario entworfen worden, das auf dem Ausbleiben des Monsuns in Indien beruhe – in Zeiten des Klimawandels keine Utopie, sondern eine Entwicklung, mit der zu rechnen sei. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes wäre das mit 1,4 Milliarden Einwohnern bevölkerungsreichste Land, die größte Demokratie der Welt und aus 28 Bundesstaaten bestehende Republik betroffen. Zusammengefasst: „Wir treten ein in einer Welt der Polykrisen, die Konfliktregelungen extrem schwierig machen...“
Deutschland erlebe gerade die Schattenseiten der Globalisierung, erläuterte Masala in einer Revue auf die 1990er Jahre. Damals habe das exportorientierte Land, seine Wohlstandschancen im Blick, Kurs auf ein weltweites Ausnutzen und Handeln mit Ressourcen genommen, und seine Möglichkeiten in jedem Winkel der Erde exzessiv auszunutzen begonnen. „Daher sind wir von jedem Konflikt in dieser Welt betroffen.“
So zum Beispiel durch den Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Nägel etwa, die beim Zusammenbau der überall im Güterverkehr anzutreffenden Europaletten benötigt wurden, seien in einem einzigen Betrieb in der Ukraine hergestellt worden – bis zu dem Zeitpunkt, als Russland die Firma zerstört habe. Einen Ersatzproduzenten habe es zu dem Zeitpunkt dieses Ereignisses mit weitreichendem Bremseffekt nicht gegeben. „Und so wurden Nägel zum Problem für die Volkswirtschaft“, erklärte Masala.
Auch müsse die Handelsschifffahrt das Rote Meer umfahren, seit der Engpass durch den Jemenkonflikt und von Angriffen durch die Huthi-Rebellen betroffen ist. Diese bewaffnete schiitische Gruppierung hat enge Bezüge zum Iran, aber auch zu Russland: Söldner aus dem Jemen sollen Russland helfen, berichtete die Tagesschau (www.tagesschau.de, 25. November 2024).
Die Folgen des Umfahrens dieser Route: teurere Transporte, dadurch teurere Ware, dadurch Schwächung der Konkurrenzfähigkeit – ein Nachteil im weltweiten Handelsgeflecht. „Wir sind durch den Konflikt im Jemen als Volkswirtschaft direkt betroffen!“, betonte Masala. Und auch am Beispiel der in China produzierenden pharmazeutischen Industrie würden die „Schattenseiten der Globalisierung“ erkennbar.
Das Problem dahinter: China habe in den vergangenen Jahren mit Russland Communiqués verabschiedet, die auf eine ganz neue Weltordnung zielten.
Diese Gemengelage hat insgesamt betrachtet viel zu bedeuten: „Spätestens seit der russischen Aggression ist der Traum, dass Europa so etwas wie eine gigantische Schweiz werden könnte, und das Konfliktmanagement würden die USA machen, ausgeträumt“, fasst Masala zusammen. Zwar teile man mit den Amerikanern „ein gewisses Maß an Werten, die unsere Beziehungen zusammenhalten“. Jedoch seien die transatlantischen Beziehungen nie konfliktfrei gewesen. Und die Amerikaner seien nun auch „nicht mehr Garant für konventionelle Sicherheit“.
Das steht ganz im Gegensatz zu ihrer bisherigen Rolle: Die USA waren der stärkste Träger dieser liberalen Weltordnung gewesen. Aber „das Problem war, dass die liberale Weltordnung nicht so liberal gelebt wurde, wie sie den Anschein gab zu sein.“
Die Beziehung zu den USA sei dennoch ein wichtiger Pfeiler der Verteidigung „in einer Zeit der konkreten Bedrohung vor unserer Haustür“, zudem Teil eines Weltordnungskonfliktes. Denn was würde aus souveränen Ländern wie zum Beispiel Taiwan werden, sollte sich herausstellen, „dass der Alte Westen nicht Willens war, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie als freies Land bestehen kann?“ Erst vor wenigen Tagen habe der Bundesnachrichtendienst (BND) erklärt, die politische Einheit der NATO (North Atlantic Treaty Organization, Nordatlantikpakt-Organisation) könnte getestet werden, weist Masala auf die sehr konkrete Bedrohungslage des Territoriums der verbündeten Staaten. „Wenn dann nicht reagiert wird, ist sie politisch-militärisch am Ende.“ Russland würde dann gewonnen haben - nämlich sein nicht erst gestern anvisiertes Ziel einer Dominanz über den Europäischen Kontinent.
Alle Fragen und Forderungen des Miteinanderredens seien „an sich“ nicht falsch, „aber wir müssen es aus einer Position militärischer Stärke tun“, unterstrich Masala, „das ist die Basis, damit man überhaupt in eine Verhandlung mit Russland treten kann“. Denn die gewichtige Frage bezüglich der globalen Verschiebungskräfte lautet: Wer wird künftig die Wege zu Handelszentren und Ressourcen kontrollieren? Man denke an den Blick auf Grönland oder auf Panama. „Die neue Seidenstraße ist ebenfalls der Versuch, die Warenströme umzuleiten“, zählt Masala auf. „Die Frage ist, wie globale Lieferketten politisiert werden.“ Und welche dieser Lieferketten die Position der großen Mächte stärkten, denkt man an die Kontrolle von Lieferungen und -mengen. Die der Seltenen Erden etwa, welche zum Beispiel China abbaut. Die Verarbeitung dieses Materials zu KI-Gerätschaften aller Art und die Frage, wie KI einsetzbar ist, hat dazu direkten Bezug. Allem voran: wer hat die meisten KI-Patente? Daran zeige sich, welche Macht welche Staaten haben, macht Masala deutlich. „Und das sind auch da die USA und China – nicht wir“.
Auf die militärische Bedrohung durch Russland werde immer noch „wie zu Friedenszeiten“, nicht Krisenzeiten, und primär „mit mehr Angst vor dem Bundesrechnungshof“ als vor der russischen Bedrohung geschaut, konstatiert Masala kritisch. „Wir müssen realisieren, und die Politik ist da zögerlich das zu kommunizieren, dass wir einen anderen Krieg in der europäischen Gesellschaft haben.“ Desinformation, Sabotage, Unterstützung und Finanzierung von extremen Parteien: Dieses gefährliche innergesellschaftliche Gemisch ziele darauf, das Vertrauen auf den deutschen Verfassungsstaat zu untergraben.
Der große Zuspruch der prorussischen Parteien AfD und BSW sei ein „riesiger Erfolg russischer Desinformation und Destabilisierung“, verweist Masala auf die vergangenen Landtagswahlen im Osten der Bundesrepublik.
Dies zeige: Da draußen gebe es „ein viel zu geringes Bewusstsein dafür, dass die Demokratie verteidigt werden muss“. An diesem Bewusstsein fehle es, „weil das alte Westdeutschland Opfer seines eigenen Erfolges“ geworden sei, die Strukturen immer funktioniert hätten. So habe niemand gemerkt, „dass die Demokratie massiv angegriffen worden ist“.
Die psychisch-mentale Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft gegenüber Krisen wird als Resilienz bezeichnet. Masala stellt sie in den Kontext klarer politischer Führung. Im vergangenen Jahrhundert seien es aber stets die Demokratien gewesen, die „den Faschismus herunter gerungen“ hätten, verweist er auf deren Erfolge in der Geschichte. Es komme somit auf den Selbstbehauptungswillen an, der wiederherzustellen sei: „Das wird Aufgabe der nächsten Regierung sein“. Mit eingepreist: „Je weniger resilient die Gesellschaft, desto schwieriger die Frage nach der Wehrpflicht.“ Wollte man in dieser Frage den gesellschaftlichen Konsens herstellen, „warten wir bestimmt auf den Sankt Nimmerleinstag“, prognostizierte Masala.
Diese Selbstbehauptungsfähigkeit stand auch im Kontext mit der Frage nach dem Taurus. „Seit der Sowjet-Zeit hat Russland versucht, Strategien und Voraussetzungen zu schaffen, dass jemand Entscheidungen zu seinen Gunsten trifft.“ Das erfolgreiche Mittel der Wahl: Die Angst vor Eskalation zu bedienen, „das bespielen die Russen fantastisch“