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Bloß nicht an den Tisch kommen

Ernst-Johann Seidels Tochter Julia Freese führt durch die ihrem Vater gewidmete Ausstellung "Made in Ostholstein

Ernst-Johann Seidels Tochter Julia Freese führt durch die ihrem Vater gewidmete Ausstellung "Made in Ostholstein

Eutin. Das erste Plakat für die Eutiner Festspiele stammt aus seiner Feder, Kinoplakate, Werbung für die Schwartauer Werke, für die Fahrschulen der Region ebenso wie für die Dräger Werke – und die berühmte Straßenkarte der Sparkasse: Johann-Ernst Seidel, 1920 in Plön geboren und 1973 in Malente gestorben, gehörte zu den bekanntesten Grafikdesignern seiner Zeit im norddeutschen Raum. Ihm widmet sich das Ostholstein-Museum in seiner Winterausstellung im Dachgeschoss. Die bildhafte, bunte, informative und regionale Ausstellung zeigt einen repräsentativen Querschnitt aus dem reichen Schaffen Johann-Ernst Seidels und vermittelt auf nachdrückliche Weise die zeitaufwendigen Arbeitsprozesse in der Gestaltung von grafischen Erzeugnissen. Noch nachdrücklicher allerdings als nur anhand der Exponate zeigt sich Seidels Schaffen durch die Erzählungen und das Fachwissen seiner Tochter, der Malenterin Julia Freese, die am vergangenen Mittwoch rund 60 Besucher durch die Ausstellung im Dachgeschoss führte. Mit Humor und reicher Kenntnis der Arbeitsweisen und -techniken ihres Vaters führte sie durch Seidels Leben und sein umfangreiches Schaffen – bis heute findet man seine Spuren in Firmenlogos, Straßenkarten, alten Werbeplakaten. Und während heute das Schaffen der Grafikdesigner vorwiegend am Computer stattfindet, Kreativität per Tastendruck gelebt wird, war es in Seidels Zeiten Handwerkskunst, die künstlerisches Talent, Ideenreichtum und Liebe zur Kleinstarbeit erforderte. Schon als Kind hat Ernst-Johann Seidel gemalt und gezeichnet, mit einer Konzentration, Akkuratesse und Begabung, die wegweisend für sein weiteres Leben war – 1920 geboren überraschte ihn der Krieg im besten Ausbildungsalter, er leistete seinen Dienst und wurde zu Kriegsende gefangengenommen. Aber auch während der Kriegsgefangenschaft malte und zeichnete Johann-Ernst Seidel, „und das hat sein Überleben garantiert“, ist sich Julia Freese sicher. Nach dem Krieg widmete er sich dann dem Studium des Grafikdesigns – und schon 1949 erschienen die ersten Werke Seidels. Wie die Motorradtouren rund um den Kellersee. „Was heute mit ein paar Tastenklicks funktioniert“, so Julia Freese, „war damals Handarbeit. Jede Farbe mussten einzeln angelegt und dann übereinander kopiert werden.“ 1951 entwarf er dann in der allerersten Festspielzeit auch das erste Plakat für die neuen Eutiner Sommerspiele – Motiv war die Totenmaske Carl Maria von Webers – jede einzelne Linie wurde mit der Hand gezeichnet. Denn auch wenn der Druck in seinen verschiedenen Techniken immer gängiger wurde und der Grafikdesigner den Neuheiten der Technik auch aufgeschlossen und neugierig gegenüber stand, arbeitete Ernst-Johann Seidel weiter auch mit der Feder, gestaltete Plakate und Broschüren, sogar Urkunden per Hand. „Bloß nicht an den Tisch kommen hieß es dann“, lacht Julia Freese, „denn wenn nur ein Zacken drin war, musste er alles neu machen.“ In einer Vitrine zeigt die Ausstellung sein Handwerkszeug – Feder, Zirkelkasten, einer davon gehörte sogar seinem Vater, „er hatte aber auch eine Phase, in der er mit Kreide arbeitete, mal mit Linolschnitt und sogar mit Airbrush.“ Heute geht das alles am Computer – Seidel war mit Druckluftflasche am Werk. In den 70er Jahren dann probierte er sich sogar mit den Filzstifte aus. „Er war wahnsinnig wissbegierig“, erinnert sich Julia Freese, „und hat wirklich alles ausprobiert, was neu aufkam.“ Vor allem in der Region war Seidel tätig, der Hausgrafiker vieler Ostholsteiner Firmen – entwarf Logos und Werbung für Unternehmen und Tourismus-Büros der Region von Bosau bis Grömitz, zeichnete mit viel Liebe zur Region Landkarten und Broschüren. „Vieles hat er so gezeichnet, wie er das fühlte“, erzählt Julia Freese – und konnte die Motive der Region auf diese Weise mit dem Auge des Betrachters emotional vermitteln. Wie die Werbebroschüre für Malente, die man auch heute noch genauso verwenden könnte. Und auch wie die 1957 entstandene Esso-Karte, die erste Auflage noch komplett handgemacht. Auf einer durchgepausten Straßenkarte zeichnete er mit der Feder Orte, Sehenswürdigkeiten, Straße, Wiesen, Tiere ein, die die Landschaft lebendig werden ließen. Etwa ein halbes Jahr hat er dafür gebraucht – und ein echtes Kunstwerk geschaffen. Wie es etwas später auch seine Schleswig-Holstein-Karte der Sparkasse war, die heute zwar nicht mehr ganz aktuell, aber eine echte Zierde ist, die Erinnerungen in den Betrachtern weckt. Einer seiner prominentesten Kunden waren die Schwartauer Werke – lebensechte Früchte, fruchtig-lustige Etiketten, fröhliche Bildchen, die das Image des Unternehmens unterstrichen. „Für uns Kinder waren die Pakete an Weihnachten am wichtigsten“, schmunzelt Julia Freese, „mit den ganzen Produkten, mit Bonbons, Süßigkeiten, Marmelade.“ Damals habe es schlicht nicht so viele Grafikdesigner gegeben, die Aufträge wurden in der Region vergeben – an Grafikdesigner, die bekannt für ihre gute Arbeit waren. Später dann wurden auch die Dräger Werke auf ihn aufmerksam und betrauten ihn mit Aufträgen – im Mai 1973 setzen sie ihn als Chefgrafikdesigner ein, leider war dieser Tag auch sein Todestag. „Wir freuen uns sehr über das große Interesse, das diese Ausstellung weckt“, strahlt Barbara Rudat aus dem Team des Ostholstein-Museums, „sie ist etwas ganz Besonderes, etwas aus der Region. Und viele der Exponate sind noch ganz präsent – die Etiketten der Schwartauer Werke, aber auch die Schleswig-Holstein-Karte kennt man einfach.“ Und eben das ist auch das Echo der Besucher: „Guck mal“, strahlt eine Malenterin, als sie sich über eine Vitrine mit Seidels Motiven aus der Region beugt: „Alles Bekannte.“ Die nächste Führung mit Julia Freese durch die aktuelle Sonderausstellung „Made in Ostholstein" – Der Grafikdesigner Johann-Ernst Seidel. findet am Donnerstag, dem 14. Januar 2016 um 19 Uhr Im Dachgeschoss des Ostholstein-Museums statt. Interessierte sind herzlich willkommen. Wer die Ausstellung ohne Führung besuchen möchte, ist im Winter von Mittwoch bis Freitag von 15 bis 17 Uhr und am Wochenende von 11 bis 17 Uhr herzlich willkommen – von Montag bis Mittwoch von 11 bis 15 Uhr ist das Museum „on demand“ geöffnet. Wer rein möchte, klingelt und bekommt geöffnet.


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