Gesche Muchow

Gewalt gegen Frauen ist weltweit die häufigste Menschenrechtsverletzung

Der Migrationsbeauftragte des Kreises Uwe Wille informierte im Rahmen der Ausstellung "Frauen in der Migration" in der Eutiner Kreisbibliothek."

Der Migrationsbeauftragte des Kreises Uwe Wille informierte im Rahmen der Ausstellung "Frauen in der Migration" in der Eutiner Kreisbibliothek."

Eutin. Jeder Stuhl war belegt. An die fünfzig Menschen waren gekommen, um den Vortrag zur Ausstellung „Frauen in der Migration“ von Uwe Wille, Migrationsmanager des Kreises Ostholstein, zu hören. Bis auf wenige Ausnahmen handelte es sich bei den Interessierten um Frauen. Und ja, es war die Eutiner Frauenrunde, die zu dieser Ausstellung einlud. Aber ist das Thema „Frauen in der Migration“ tatsächlich ein reines Frauenthema? Eher nicht. Eines machte auch die anschließende Fragerunde klar. Letztlich ging es an diesem Abend um Symptome einer grundlegenden Tatsache: Gewalt gegen Frauen ist weltweit die häufigste Menschenrechtsverletzung. Laut einer EU-Studie aus 2014 erfährt jede dritte Frau (33 Prozent) seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt - und gezählt werden können nur registrierte Fälle. Würde jetzt jede Frau befragt werden, die in den letzten Monaten die Flucht aus ihrem Heimatland wagte, würden die Zahlen dramatisch anders aussehen. Menschen auf der Flucht und in der langen Warteschleife vor und während des Asylantrages bewegen sich als Individuen häufig in einem rechtsfreien Raum - und zahlen müssen die körperlich schwächsten: Kinder, Frauen, Großeltern dann die Männer. Auf zwölf informativen Plakaten wird in der Ausstellung thematisiert, in welche „Fallen“ Migrantinnen hierzulande und auf der Flucht gelangen können: Arbeitsausbeutung, Zwangsprostitution, Entführung, Vergewaltigung. „Frauen in der Migration“ - was bedeutet es für Menschen, mit ihren Familien oder alleine, in einem anderen Land zu leben? Treffend zitiert Uwe Wille ein Zitat aus dem Jahr 1943: „Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren. Wir haben unseren Beruf verloren und damit das Vertrauen eingebüßt, in dieser Welt irgendwie von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktion, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle …“ (Hannah Arendt). Menschen, die ihr Heimatland verlassen, verlieren ihre Wurzeln, die Selbstverständlichkeit zu sprechen und zu handeln ohne darüber nachdenken zu müssen. Missverständnisse und Fehleinschätzungen der sie umgebenden sozialen Interaktionen werden Alltag. Firmen, die ihre Mitarbeiter für einen längeren Zeitraum ins Ausland schicken, bereiten diese auf kulturelle Unterschiede vor, finanzieren ihnen Kurse in Interkultureller Kommunikation, um Selbstwerteinbrüche und den Verlust der Handlungsfähigkeit im zwischenmenschlichen Kontext zu vermeiden. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind dramatisch, treffen sie einen Menschen unvorbereitet und ohne psychische Unterstützung, womöglich noch auf dem Hingrund traumatischer, unverarbeiteter Erfahrungen: Alkohol betäubt Unsicherheit, Gewalt gegen Familienmitglieder und/oder anderer überspielt Orientierungsverlust, soziale und religiöse Verhaltensregeln des Heimatlandes werden im Tunnelblick zur einzigen moralischen Bewertungsinstanz. Zakia, eine syrische Migrantin und Besucherin der Ausstellung, lebt diesen Balanceakt. Für Deutsche, so erzählt sie, ist es zum Beispiel eine Selbstverständlichkeit, sich zur Begrüßung die Hand zu geben. Für sie als Syrierin, kann es Konsequenzen haben, handelt es sich dabei um einen Mann. Bei jeder sozialen Interaktion muss sie bedenken, was die syrische Gemeinde über sie denkt. Klopft ihr ein Mann im Gespräch freundschaftlich auf die Schulter, ist sie diejenige, die sich unehrenhaft ihrem Mann, ihrer Familie gegenüber verhält - je nachdem, wer sie beobachtet und wie die Handlung interpretiert wird. Sensibilisierendes Training wäre für alle hilfreich - für ausländische und deutsche Männer, für ausländische und deutsche Frauen. Ein mögliches Geschenk an all die Ehrenamtlichen, die als erste Kontaktpersonen intensiv Vermittler in beide Richtungen sind. Uwe Wille macht deutlich: Integration gibt es für keinen Beteiligten zum Nulltarif. Integration beginnt mit der Sprache. Um die allgemeine Tendenz „der Mann zuerst“ zu durchbrechen, wird zeitgleicher Sprachunterricht benötigt. Für Frauen von Frauen und mit Kinderbetreuung. So wie Frauen unter anderem über ihre rechtliche Situation in Deutschland aufgeklärt werden müssen, ist eine präventive Praxisarbeit mit Männern notwendig, um einen gleichzeitigen, vorsichtigen Wandel in Verhaltensmustern und Annäherung an ein anderes kulturelles System zu erreichen. Gezielte Treffen auch von Männern für Männer, um Fragen und Verunsicherungen auffangen zu können. Rückblickend auf Jahre der Erfahrung im Frauenhaus ergänzt Christa Feigel: „Auch deutschen Männern würde es guttun, sich mit der Thematik „Respekt und Achtung vor dem weiblichen Menschen“ stärker auseinanderzusetzen. Uwe Wille ergänzt: Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar und zitiert aus dem Positionspapier der LAG Gleichstellung SH: „Ein erklärtes gesamtgesellschaftliches Ziel muss daher sein, alle Frauen vor Diskriminierung und vor geschlechtsspezifischer Gewalt konsequent zu schützen, …, sowie alle Männer, deutsche und Männer mit Migrationshintergrund darauf hinzuweisen, dass Gewalt gegen Frauen und Kinder in Deutschland verboten ist und eine Straftat darstellt“. Am 18. und 19. Februar bietet Uwe Wille Vormittagsveranstaltungen für Schulklassen an, die sich über Migration informieren möchten. Interessierte Lehrkräfte können sich an die Gleichstellungsbeautragte der Stadt Eutin wenden, Tel. 04521/793-104. Die Teilnahme ist kostenlos. Die Ausstellung wird präsentiert von der Eutiner Frauenrunde: Frauenhaus OH, Frauennotruf OH, Ev. Frauenwerk, Sozialdienst kath. Frauen, Familienbildungsstätte, Kreisbibliothek, Kulturbund, Landfrauenverein und die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Eutin.


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