„Jede Kippe auf der Straße ist eine zu viel“ -Neustadt kämpft gegen Kippenflut
Neustadt. Mit Fragen wie: „Heute schon gelacht?“, „Würden Sie gerne in die Vergangenheit reisen?“, „Fahren Sie regelmäßig mit dem Zug?“ oder „Gibt es genug Lieblingsplätze in der hafenheimat?“ sollen Raucher auf kreative Art und Weise dazu animiert werden, ihre Glimmstängelreste nicht am Strand oder auf der Straße zu entsorgen, sondern im Abstimmaschenbecher.
„Jede Kippe auf der Straße ist eine zu viel“, so die Stadtverordnete Katrin Körting. Aus genau diesem Grund stellte sie als Fraktionsmitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen unabhängig von Melanie Hosse vom Tourismus-Service die Idee zu den Abstimmaschenbechern Mitte Juni dem Neustädter Tourismus-Ausschuss vor. „Nach der positiven Abstimmung im Tourismus-Ausschuss konnte die Idee rechtzeitig zur touristischen Hochsaison realisiert werden“, so Vera Heß, Werkleiterin des Tourismus-Service Neustadt-Pelzerhaken-Rettin. Vom Antrag bis zur Umsetzung dieses Projektes habe es lediglich vier Wochen gedauert.
Vorbild der 3.000 Euro teuren Kampagne „Tippen statt Kippen“ ist Großbritannien. Dort hätten Gemeinden bereits gute Erfahrungen mit der Installation solcher Ascher gemacht, wodurch über 40 Prozent weniger Müll durch weggeworfene Zigarettenkippen anfällt.
Doch wie funktionierten die Abstimmaschenbecher? - Ganz einfach: Die individualisierbaren Aschenbecher verfügen über zwei Glasschächte, über denen sich eine auswechselbare Tafel befindet, auf der Fragen zum Thema Nachhaltigkeit, aber auch unterhaltsame oder andere Fragen gestellt werden. Mit dem Einwurf des Zigarettenstummels entscheidet der Raucher, ob er die Frage mit Ja oder Nein beantwortet. „Wir wollen der Wegwerf-Mentalität etwas entgegensetzen“, so Bürgermeister Mirko Spieckermann.
Standorte der Ascher
Im Kampf gegen die Kippen wurden im Ostseebad Rettin, auf dem Markplatz, an der Seebrücke in Pelzerhaken, auf der Hafen-Ostseite und in der Nähe der Ostsee-Lounge erste Abstimmaschenbecher aufgestellt. Der Sechste ist in Bahnhofsnähe geplant. Zusätzlich verteilen die Tourismus-Agentur Lübecker Bucht (TALB), die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und das Neustädter Stadtmarketing aktiv kleine, kostenlose Taschenaschenbecher für den Strand und unterwegs. Darüber hinaus werden in den kommenden Monaten die Mülleimer im gesamten Stadtgebiet gegen Abfallbehälter mit einer Einwurföffnung für Zigaretten ausgetauscht.
Hintergrund der Maßnahmen ist die Auseinandersetzung darüber, wie Gemeinden die Flut von achtlos weggeworfenen Zigarettenstummeln eindämmen können. „Zigaretten sind giftig. Sie belasten uns, unsere Kinder und sie haben einen direkten Einfluss auf die Verschmutzung unserer Umwelt. Allein in Deutschland gibt es 20 Millionen Raucher, das entspricht etwa einem Viertel der Bevölkerung. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr rund 74 Milliarden Glimmstängel konsumiert, von denen zwei Drittel in der Umwelt landeten“, unterstrich Stefanie Sudhaus, Meeresschutz-Referentin beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). An der Ostsee liegen Zigarettenstummel nach Plastik auf Platz zwei der häufigsten Müllfunde.
Gefahren des hochgiftigen „Sondermülls“
Laut dem Tourismusausschuss-Vorsitzenden Dirk Cremer werden pro Tag statistisch gesehen fast 50.000 Zigaretten allein in Neustadt und Umgebung geraucht. „Das noch junge Projekt mit ernstem Hintergrund soll zu einem langfristigen wachsen. Es ist wichtig, fortwährend auf dieses Problem aufmerksam zu machen“, betonte er und mahnte: „Das Problem, vor allem am Strand ist, dass die Zigarettenstängel ins Wasser gelangen können. In Verbindung mit Salzwasser dauert ihre Zersetzung mehrere 100 Jahre. Zudem verschmutzt allein ein Stummel bereits 40 Liter Wasser.“
„Kleinkinder können sich diese in den Mund stecken und unter Umständen verschlucken, Passivraucher, die die giftigen Inhaltsstoffe wie Arsen, Blei, Chrom, Kupfer, Cadmium, Formaldehyd und das Nervengift Nikotin ungefiltert einatmen, werden vier Mal mehr belastet als Aktivraucher und Fische verwechseln die Kunststofffilter oft mit Nahrung, sodass ihre Mägen bei größeren Mengen verstopfen und sie bei lebendigem Leibe verhungern müssen. Die Giftstoffe aus den Filtern reichern sich somit schnell in der Nahrungskette an und landen bei uns auf den Tisch“, verdeutlichte die BUND-Referentin.
Forderungen nach Nichtraucherstränden wurden bereits laut. Ginge es nach Umweltverbänden wie BUND und Naturschutzbund Deutschland (Nabu) würde ein generelles Rauchverbot am Strand eingeführt werden.
Illegale Müllentsorgung
Was viele Raucher nicht wissen ist, dass das Wegschnippen von Kippen als illegale Müllentsorgung gilt und eine Ordnungswidrigkeit ist, die in Extremfällen mit einem Bußgeld von bis zu 100.000 Euro belangt werden kann. Doch davon sehen die Gemeinden an der Lübecker Bucht bislang ab. „In der Praxis lässt sich das Fehlverhalten nur schwer kontrollieren. Außerdem wollen wir nicht mit dem Zeigefinger auf die Menschen zeigen. Doch wir möchten das Bewusstsein wecken und an den Verstand appellieren“, so Katrin Körting. (inu)