Marlies Henke

Männer, die auf Ziegen reiten – Notgeld zeigt die Geschichte Neustadts mal anders

Neustadt in Holstein. Über 5.000 Notgeldscheine hat Kurator Ralf Rodehau-Reichel in den letzten drei Jahren gesichtet, sortiert und kategorisiert. Das Ergebnis seiner mühevollen Arbeit ist nun in einer Sonderausstellung im zeiTTor-Museum zu sehen.

Die Ausstellung „Notgeld in Schleswig-Holstein. Kunstvoll – humorvoll – satirisch – kritisch“ ist eine besondere Zeitreise durch die Geschichte unserer Region. Die aufwendig gestalteten Scheine spiegeln nicht nur politische Ereignisse und kulturelles Erbe wider, sondern auch den patriotischen Zeitgeist und den Humor vergangener Generationen. Ergänzt werden viele Darstellungen durch teils volkstümliche, teils satirische Kommentare.

So zeigt ein 75-Pfennig-Schein von 1921 eine Reihe Männer, die auf Ziegen zur Neustädter Burg reiten, begleitet von der plattdeutschen Erklärung, dass das gegen Kinderlosigkeit helfen soll. Auf einem anderen Exponat für 50 Pfennige ist das Rathaus zu sehen mit der Bemerkung: „Wenn man vun’t Rathus kümmt, is man klöker, as wenn man hingeiht.“

Kurios ist auch ein Schein für 25 Pfennige, der die historischen Verhandlungen zwischen Deutschland und Dänemark mit den Worten „Durch starkes Drängen und Drücken wird Schleswig-Holstein übergeben“ zeigt – symbolisiert durch eine Szene im Wirtshaus, wo ein Gast sein soeben verspeistes Mahl erbricht.

Rund 450 solcher Scheine aus Schleswig-Holstein werden in der Ausstellung präsentiert, unterteilt in 11 Themenwelten, begleitet von erklärenden Texttafeln. Wer mehr sehen will, kann weitere 4.500 Scheine aus ganz Deutschland auf einem Monitor in Endlosschleife betrachten.

Notgeld: Erst Zahlungsmittel, dann begehrtes Sammlerobjekt

Während des Ersten Weltkrieges und der Hyperinflation war reguläres Geld entwertet. Es fehlte nicht nur an Kapital, sondern auch an Kleingeld, also Münzen, da die Rüstungsindustrie Metall benötigte. Rund 1.400 Städte und Gemeinden in Deutschland druckten daraufhin lokales Notgeld. Dieses verlor 1922 seine Gültigkeit, blieb aber beliebtes Sammelobjekt. „Die Scheine wurden attraktiver gestaltet. Sie erzählten Geschichten und wurden in Serien herausgegeben. Die Gemeinden profitierten vom Notgeldhandel, da die Sammler die Scheine behielten und nicht einlösten. Einige wurden mit rückdatierten Ausgabedaten versehen, um ihren Sammlerwert zu steigern. Etwa 12.000 Notgeldscheine sind in der Fachliteratur gelistet“, berichtete Rodehau-Reichel.

Vom Dachboden zur Ausstellung: Die Reise der Notgeldscheine ins zeiTTor

Die Sonderausstellung im zeiTTor bringt ein besonderes Kulturgut buchstäblich ans Tageslicht. Rodehau-Reichel entdeckte die Notgeldscheine in einem alten, verstaubten Koffer auf dem Dachboden seiner Schwiegereltern. Deren Großeltern wiederum arbeiteten bei der Sparkasse. „So sammelte sich einiges an“, erzählte er. Genau 5.024 Scheine ordnete er nach Ortschaften und Regionen, „begleitet von einem angenehm süßlichen Duft“ des vergilbten Papiers, wie der Kurator bei der Eröffnung der Ausstellung am Dienstag berichtete. Das sei zeitintensiv, lehrreich und spannend gewesen. „So spannend“, wie er später im Gespräch mit dem reporter verriet, „dass meine Familie manchmal schon die Augen verdrehte, wenn ich wieder ein besonders Exemplar zeigen wollte. Aber ich hab das für Neustadt getan.“

Entdeckungen und Erkenntnisse: Stimmen zur Ausstellung

Bürgermeister Mirko Spieckermann lobte die Vielfalt der Sonderausstellungen im zeiTTor-Museum und betonte: „Man wird immer wieder von den Ideen, Themen und Möglichkeiten überrascht. Genau das macht unser zeiTTor-Museum aus und trägt zum breiten kulturellen Angebot unserer Stadt bei.“

Uwe Muchow, Vorsitzender des Fördervereins, verdeutlichte mit einem persönlichen Geständnis die Bedeutung von Kultur und Geschichte. Die Druckstöcke der Neustädter Notgeldscheine befanden sich einst in der Druckerei seines Vaters, die er 1975 übernahm: „Ich habe sie entsorgt, ohne zu wissen, was sie bedeuteten. Damals dachte man: Das Alte muss weg, das Neue muss kommen. Umso mehr freue ich mich heute über diese Ausstellung, die unser Motto unterstreicht: ‚Du musst die Geschichte kennen, sonst kannst du die Zukunft nicht gestalten.‘“

Auch der Museumsleiter Dr. Frank Wilschewski war von der Ausstellung und dem großen ehrenamtlichen Engagement begeistert. Er hob den partizipativen Charakter hervor: „Im Museum ist es uns wichtig, dass jeder mitgestalten kann. So können wir unsere Geschichte nicht nur lernen, sondern einfach Spaß an ihr haben.“

Genau das ist mit dieser Ausstellung gelungen. Wer die kleinen papiernen Schätze entdecken möchte, sollte allerdings etwas Zeit mitbringen.

Die Ausstellung kann noch bis zum 14. Juli dienstags bis Samstag von 10.30 bis 17 Uhr, sonn- und feiertags von 14 bis 17 Uhr sowie nach Absprache besucht werden. Der Eintritt beträgt 4 Euro, ermäßigt 3 Euro und ist für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei. (he)


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