

Neustadt in Holstein. Wer das Kremper Tor besucht, lässt den Alltag ein paar Schritte hinter sich. Seit über hundert Jahren ist es das Eingangstor zu einer Reise durch Jahrtausende Stadt- und Menschheitsgeschichte, seit 15 Jahren mit einem modernen Konzept unter dem Namen Zeittor.
Was 2010 begann, hat sich längst zu einem lebendigen Mitmachmuseum entwickelt. Eines, in dem nicht nur geschaut, sondern auch ausprobiert, angefasst und erlebt werden darf. Bohren mit steinzeitlichen Werkzeugen, Getreide mahlen wie vor 6.000 Jahren oder dem Alltag früherer Generationen ganz nah kommen: Im Zeittor ist Geschichte nichts Abstraktes, sondern greifbar.
Rundgang – Von der Steinzeit zum Marktplatz
Ein Schwerpunkt liegt auf der Archäologie direkt vor der eigenen Haustür. Einzigartig sind die Funde vor der Neustädter Hafeneinfahrt: gut erhaltene steinzeitliche Objekte vom Grund der Ostsee, die zeigen, wie Menschen hier lebten, als sie sesshaft wurden, Ackerbau betrieben und Vieh hielten. Diese frühen Spuren menschlichen Alltags bilden den Auftakt eines Rundgangs, der von der Jungsteinzeit über die Metallzeiten bis ins Mittelalter führt. Waffen, Schmuck und Werkzeuge aus Bronze- und Slawenzeit, der Schalenstein von Braak oder ein nachempfundener Grabhügel schlagen den Bogen zur regionalen Geschichte.
Im mittelalterlichen Stadttor selbst geht es um Neustadts Befestigungen, um Waffen, ein nachgebautes Kettenhemd und um einen echten Silberschatz. Spätestens im Dachgeschoss wird deutlich, wie nah das Museum an der Stadtgeschichte ist: Ein Marktplatz mit Handwerksbetrieben, ein Biedermeierzimmer, die alte Zahnarztpraxis von Doktor Axt samt furchteinflößendem Bohrer, eine Bänkelsängerstation oder das Halseisen vermitteln einen Eindruck vom Leben auf und rund um den Neustädter Marktplatz. Sogar Themen wie Müll oder eine der wohl ältesten Geschwindigkeitsbegrenzungen finden hier ihren Platz.
Das 20. Jahrhundert mit seinen politischen Brüchen nimmt ebenfalls breiten Raum ein, angefangen bei der Kaiserzeit über die Weimarer Republik und die NS-Diktatur bis zur Nachkriegszeit. Direkt durch das Kremper Tor führt der Weg zudem weiter ins Museum Cap Arcona, das bis 2027 um ein modernes Dokumentationszentrum erweitert wird.
Zeitschleife – Mitmachaktionen, Ausstellungen und interaktive Angebote
Was das Zeittor seit 15 Jahren besonders auszeichnet, sind aber nicht nur die Exponate, sondern auch die vielen Ausstellungen mit direktem Neustadt-Bezug. Ob alte Stadtansichten, der Wandel des Handels, Feuerwehr-, Fischerei- oder Vereinsgeschichte, Theaterleben, Stadtjubiläen oder Ausstellungen zu gesellschaftlichen und politischen Themen: Immer wieder wird Neustadts Vergangenheit aus neuen Blickwinkeln beleuchtet. Einen festen Platz hat dabei auch die Ausstellungsreihe „Ins Nähkästchen geschaut“, bei der Neustädterinnen und Neustädter ihre privaten Sammlungen zeigen können. Auch Bildarchivar Thomas Schwarz, vielen als „Fotogedächtnis der Stadt“ bekannt, prägt mit seinen Ausstellungen und dem beliebten Bilder-Klönschnack das Programm maßgeblich.
Mitmachen ist im Zeittor nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. So werden in der „Archäologischen Sprechstunde“ Fundstücke bestimmt oder beim „Bilder-Klönschnack“ in gemütlicher Runde Erinnerungen ausgetauscht, Kinder werden „Fit für Flint“ gemacht oder entdecken „Neustadt für kleine Leute“. Sagenführungen, Bürgermeisterführungen, Hafen- und Radtouren, GPS-Schatzsuchen oder mittelalterliche Schaukämpfe sorgen dafür, dass Geschichte Spaß macht.
Zeitgerecht – Barrierefreiheit und Zertifikate
Im Zeittor sind fast alle Räume rollstuhlgerecht, ein Aufzug verbindet alle Etagen, ein WC ist rollstuhlgerecht, und Rollstuhl sowie Rollatoren können kostenlos ausgeliehen werden. Öffentliche Parkplätze liegen direkt neben dem Museum. Führungen für Menschen mit Sinneseinschränkungen sind auf Anfrage möglich, dazu kommen kostenlose Audioguide-Führungen, seit 2017 sogar auf Plattdeutsch.
Das Zeittor ist zudem ein zertifiziertes Haus: seit 2015 von der Museumsberatung Schleswig-Holstein und seit 2021 mit dem NUN-Zertifikat für Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Zeitpunkte – Kleine Auswahl bemerkenswerter Momente
Auch abseits der Ausstellungen und hinter den Kulissen ist viel passiert. Seit 2017 gibt es eine heimatkundliche Präsenzbibliothek, aktuell wird eine Fotothek aufgebaut. Draußen gehört der riesige Adventskalender am Zeittor längst zur Vorweihnachtszeit, drinnen wurden schon Hochzeiten gefeiert. Und regelmäßig kommen aus privaten Nachlässen, aus dem Stadtarchiv oder aus aktuellen Projekten neue Schätze hinzu, sodass Neustadts Geschichte im Zeittor immer wieder neu entdeckt werden kann.
Öffnungszeiten: November bis März: Samstag und Sonntag 14 bis 16 Uhr sowie nach Vereinbarung; April bis Oktober: Dienstag bis Samstag 10.30 bis 17 Uhr, Sonn- und Feiertage 14 bis 17 Uhr; im Juli, August und Oktober auch montags geöffnet. (he)

