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Reporter Eutin

„Ich will den Besuchern Lust machen auf Vielfalt“

Eutin (ed). Sie tragen klangvolle Namen wie Goldparmäne, Gelbe Bellefleur oder Königin Viktoria, Schöner von Herrnhut oder Ruhm aus Vierlanden – oder sie weisen auf ihre Charaktereigenschaften hin wie die Köstliche aus Charmeux oder der Wohlschmeckende aus Vierlanden, die Oberösterreicher Weinbirne oder die Gute Graue. 120 Sorten sind es, die im Küchengarten wachsen. Äpfel, Birnen, Pflaumen, Quitten und Kirschen – Sorten, die schon vor Jahrhunderten auf der Einkaufsliste der herzoglichen Gärtner standen und im Zuge der Revitalisierung des Küchengartens hier wieder Einzug gehalten haben. „Alle Sorten sind historisch belegt“, freut sich Stephanie Bolz, die Koordinatorin des Küchengartens, „sie wurden unter anderem von Gisela Tietjen in alten Gartenunterlagen gefunden, waren also alle hier schonmal zuhause.“ Nun trägt (fast) jeder Obstbaum zu seinen Füßen ein kleines grünes Schild mit seiner Sorte, deren Herkunft und deren Alter. Schon im letzten Jahr hat die Cornils-Stiftung dem Küchengarten eine Spende von 500 Euro zur freien Verwendung „geschenkt“ – „und weil wir sonst immer so knapp sind für Dinge, die nicht ganz notwendig sind“, erzählt Stephanie Bolz, „habe ich beschlossen, das Geld für die Beschilderung der Obstbäume zu verwenden.“ Jetzt sind die Schilder fertig und „versenkt“ und berichten auf besonders schöne Weise mit der Sorte jeden Baums auch ein bisschen von seiner Geschichte, von Herkunft, Äußerem oder Geschmack.
„Das sind alles Sorten, die seit Jahrhunderten bei uns wachsen“, so Stephanie Bolz, „die sich etabliert hatten, weil sie auch bei uns hier oben super gedeihen, zum Teil hier oben gezüchtet wurden.“ Wie die Vierlandener Äpfel, der Seestermühler Zitronenapfel, der Holsteiner Cox natürlich. Oder auch aus fernen Ländern hergekommen und geblieben waren, weil sie einfach zu gut zum Klima passen. Sorten, die ohne Menschen wie die KüchengärtnerInnen längst in Vergessenheit geraten werden, dabei sind sie viel zu köstlich, viel zu charaktervoll dazu. „Heute gibt es in den Supermärkten vielleicht vier Sorten Äpfel, alle sind schön poliert, schmecken aber nicht mehr sehr nach Apfel“, so Stephanie Bolz, „dabei gibt es zahllose Apfelsorten und jede schmeckt anders. Hier können Menschen mit Garten und ohne diese Vielfalt erleben und sich vielleicht inspirieren lassen.“ Jeder Apfel schmeckt nicht nur anders, sie blühen auch alle unterschiedlich – das ist gerade wunderschön zu erleben, zartrosa oder schneeweiße Blütenwolken, pinkfarbene Knospen zieren den ganzen Küchengarten. „Ich will den Besuchern Lust machen auf Vielfalt“, sagt Stephanie Bolz, „zeigen, dass es so viele alte, wunderbare Sorten gibt, die erhalten werden müssen.“ Deshalb hat hier die Gute Graue ebenso ihren Platz wie die Konstantinopler Apfelquitte, der Schöne aus Nordhausen wie die Signe Tillisch, die Pflaume Königin Viktoria oder die Gelbe Schleswiger Renette.
Fast so vielfältig und geschichtsträchtig wie die Obstsorten sind die Schnitte der Obstbäume, die früher zur Kunst der Gärtner gehörten und zum Ruhm des Garteneigentümers beitrugen – wie natürlich die Kesselbäume, die jede Familie von Rang und Namen in ihrem Garten hatte. Im Küchengarten säumen sie vor allem den Garten, der von den GärtnerInnen des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt angelegt und gepflegt wird. Hier stehen sie in der Einfassung des Nutzgartens aus Kräutern, Stauden, Blumen und Gemüse und bereichern sie im Moment noch mit ihren schneeweißen oder zartrosa Blütenpracht. Fürs Auge und für jede Hummel, die vorbeikommt, ein echter Genuss – und später auch mit Kräutern und essbaren Blüten für Leib und Seele schön. „Diese Kesselschnitte aber hatten auch einen ganz praktischen Nutzen“, erklärt Stephanie Bolz. „Sie bewirken, dass der Baum lichtdurchflutet und immer gut belüftet ist, sodass er reich tragen kann. Und durch seine kompakte, meist niedrige Form lässt er sich prima beernten. Das ist Gartengeschichte.“
Aber auch die Bäume auf der Wiese zwischen Neuholländerhaus und Küchengarten – auf den ersten Blick: Streuobstwiese eben. Aber auf den zweiten Blick sieht das geschulte oder belehrte Auge, dass die Obstbäume in einer bestimmte Formation – zwei, zwei, einer – gepflanzt sind, auch das ist historisch belegt. Und dann Stephanie Bolz’ besonderer Stolz: Die Obstcordons, eine Beeteinfassung der wohl schönsten Art. Auch wenn es wie die Kesselbäume heute seltsam anmuten mag, Beete mit sehr niedrigen Obstbaum“hecken“ einzurahmen, sind die Schnitte der Obstbäumchen historisch belegt. Und erregen den Neid vieler moderner GärtnerInnen, denn welche Beetumrandung trägt schon Obst? Lockt Bienen an? Und sieht so schön aus? Auch hier finden sich ganz besondere alte Sorten wie der Himbeerapfel – „da sind wir sehr gespannt wie er schmeckt“, freut sich Stephanie Bolz – der Kaiser Wilhelm oder der Prinzenapfel, allesamt wie gezüchtet für den fürstlichen Küchengarten.
Mit ihren besonderen Schnitten, den schönen, alten Sorten und mit der neuen Beschilderung, liebevoll gestaltet, sodass sie perfekt zum Bild und Ambiente des Küchengartens passt, erzählen die Obstbäume Gartengeschichte. Und zeigen einmal mehr, was für ein ganz besonderer Ort der Eutiner Küchengarten ist.


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