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Reporter Eutin

„We are the flintstones!“

Plön (los). Rund um den Lebensstil der Steinzeitmenschen hat das Plöner Kreismuseum zahlreiche Artefakte gehortet, sortiert und nach Entstehung und Erschaffungsphase so anschaulich präsentiert, dass Besucher sich auf eine Art Zeitreise einlassen können. In dieser Ausgabe stehen die Flintsteine als Wochenschätze im Mittelpunkt. Sie ermöglichen Einblicke in eine vergangene Welt, die nach der letzten Eiszeit einer klimatischen Wandlung unterlag und ihr Gesicht dabei veränderte. Die Ausläufer der bis zu drei Kilometer dicken Gletscher hatten in Schleswig-Holstein bis zum „Geestrücken“ gereicht und formten im Abschmelzen die „Holsteinische Schweiz“, die sich hoch über einem Süßwassersee, der damals noch isolierten Ostsee, aufwölbte. Im Geschiebe der Gletscher befanden sich die Flintsteine, die Menschen lange Zeit im Ensemble mit Pyritstein und Zunder, einem Baumpilz, als dreiteiliges Feuerzeug begleitet haben. Denn mit Pyrit als Aufschlagfläche für den Flint fliegen Funken, deren Hitze ausreicht, um zum Anfeuern mit dem leicht entzündlichen Pilz eine Flamme zu erzeugen. Auch die Rinde von Birke, einem der Pioniergehölze nach der Eiszeit, ist leicht entflammbar.
Flint wurde zu vielen Werkzeugen verarbeitet und ist im Museum des Kreises Plön mit norddeutscher Glassammlung in vielerlei Gestalt zu sehen. „Er war von existenzieller Bedeutung“, unterstreicht Museumsleiterin Julia Meyer. Dies spiegeln die Grabbeigaben der „Megalithkultur“. Typisch sind deren landläufig „Hünengräber“ genannte Großraumgräber. So habe Familie Flintstone ihre Verstorbenen mit Wertgegenständen wie Tongefäßen, Bernstein und aus Flint hergestellten geschliffenen Beilen ausgestattet.
Dabei lebte sie selbst in vergleichsweise unsoliden Häusern: „Diese bauten sie nur mit Pfählen, Flechtwänden und Reetdächern auf“, erzählt Julia Meyer.
Die Werkzeugherstellung war in der Steinzeit so umfangreich, dass aus Flintstein Beile – die älteren dünnnackig, solche aus jüngeren Phasen dicknackig gebaut – sowie Hohlbeile, Meißel, Äxte und Doppeläxte entstanden. Keramiken der sogenannten Trichterbecherkultur verraten Kenntnisse des Materials Ton, seiner Fundorte, über die Verarbeitung sowie des Festigungsprozesses durch Brennen. Dänische Archäologen bewiesen, dass Bäume mit Feuersteinbeilen zur Holzgewinnung gefällt worden sind.
Dünnnackige Beile fanden sich zum Beispiel in Kühren sowie in Ascheberg. Steinzeitliche „Tüdelbänder“ halfen, die Werkzeuge am Stiel zu befestigen, zeigt ein Blick in die Museumsvitrinen. Die steinzeitliche „Seilerei“ nutzte unter anderem die Große Brennnessel, die mit scharfen Flintsteinklingen geschnitten werden konnte.
Rund um die Pflanzenverarbeitung müssen schon lange tief reichende Kenntnisse vorhanden gewesen sein: So haben Untersuchungen von Stärkeresten an Mahlwerkzeugen aus Tschechien sowie auch Russland und Italien ergeben, dass Menschen bereits vor 30.000 Jahren Mehle, in dem Fall aus geeigneten Schilfrohrarten und Wurzeln bestimmter Farne, gemahlen haben. Die Einreise des modernen Menschen von Afrika nach Europa hat da noch nicht lange zurückgelegen, wie die Untersuchung eines tschechischen Schädelfundes ergab. Jene Frau war vor rund 45.000 Jahren gestorben. Ihr Erbmaterial enthielt drei Prozent Neandertalergenom.
Auch das Verfahren der biologischen Degummierung – Fasergewinnung mit Mikroorganismen - gilt als so alt wie die Menschheit. Klebstoffartige Substanzen, vor allem Pektine werden von diesen aus der Bastfaser gelöst, die erst dann verarbeitet werden kann. Netze knüpfen und flechten sowie Stricken sind Techniken der Steinzeit. Von Bedeutung war dabei die Brennnessel. Deren Fasern fanden sich auch bei einem 2800 Jahre alten Grabtuch in Dänemark (Lusehøj). Jene Brennnesseln, aus denen das Gewebe bestand, waren jedoch in der Steiermark gewachsen, das Tuch also ein Import. Fischgräten und spitze Knochen gelten als die ersten Nähwerkzeuge, um Textilstücke zusammenzunähen. Die ältesten Vertreter sollen 25.000 Jahre alt sein.
Flint-Pfeilspitzen befestigten die Steinzeitleute mit Nesselfäden an den Schäften, Birkenpech diente dabei als eine Art Klebstoff. Wegen der guten Festigkeit war die Brennnessel ebenso das Material für Fischernetze und Stricke.
Mindestens 30.000 Jahre alt sind auch die gesponnenen und gefärbten Flachsfasern, die in der Dzudzuana-Höhle in Georgien gefunden wurden. 28.000 Jahre alte Funde, die auf Flachsbearbeitung weisen, wurden in Mähren in der Höhle Dolní Vestonice entdeckt. Bei rund 5000 Jahre alten mitteleuropäischen Webteppichen ermittelte man neben Wolle und Flachs auch Rindenbast. Die Fasern finden sich etwa bei Linde und Korbweide.
Als frühe bäuerliche Kultur sei für die Nahrungsmittelerzeugung der Gerste-Anbau, die Kultivierung zweizeiligen Weizens sowie Hirse nachgewiesen, erzählt Julia Meyer. Gepflügt wurde in der Region bereits vor rund 4600 Jahren. Eschenholzspaten und Hakenpflug kamen im steinzeitlichen Gartenbau zum Einsatz.
Viele Werkzeuge und Materialien sind in die Mittelsteinzeit übernommen und weiterentwickelt worden, wie zahlreiche Museumsexponate zeigen. Holz, Knochen und Feuerstein blieben wichtige Werkstoffe, Pfeil und Bogen gebräuchliche Jagdwaffen.
Werkzeuge wie Sichel, Pflug oder Mahlsteine, die mit Pflanzenanbau in Verbindung stehen, erweiterten das Spektrum. Buschhecken sowie Zäune begrenzten die Äcker.
Die Erfindung des vierrädrigen Wagens gilt als jungsteinzeitliche Idee. Häuser wurden solider gebaut. Für die mitteleuropäischen Langhäuser sind Längen von sogar 60 Metern ermittelt worden.
In der Jungsteinzeit wanderten nachweislich Menschen anderer Kulturen ein. Sie brachten etwa ihre Idee von Einzelgrabanlagen in den Norden, in denen Verstorbene stets mit angezogenen Beinen positioniert wurden. Mit ausgereifter Handfertigkeit hergestellte Flintbeile und -messer zählten neben ihrer „Schnurkeramik“ zu deren Grabbeigaben. „Ein kultureller Wandel“, verdeutlicht Julia Meyer.
Mit Blick auf die Vielfalt der Flintwerkzeuge ist es gar nicht so verwunderlich, dass der Ort Flintbek nach einem Bach voller Feuersteine benannt wurde, basierend auf dem altsächsichen vlint und bek. Karperbek bei Dörnick oder Fockbek bei Rendsburg deuten ebenfalls auf Bäche hin.
Uralte Siedlungsspuren sind zwischen 1977 und 1996 im Bereich Flintbek gefunden worden. So ackerten und wirtschafteten Bauern bereits um 4300 v. Chr. in der Region. Die alten Flintbeker bewegten sich offenbar am Puls ihrer Zeit: So haben die archäologische Untersuchung sogar eine Radspur zutage gefördert. Diese stammt aus dem vierten vorchristlichen Jahrtausend. Es soll sich dabei um die weltweit Älteste handeln: vor 6000 Jahren rollte das Gefährt dort voran. Darüber hinaus wurden Hakenpflugspuren entdeckt.
Die steinzeitliche Fahrzeugspur beweist befahrbare Routen in der Region, prähistorische Verbindungsstrecken, die Gewässerfurten kreuzten und Orte vernetzten.
Schließlich wird auch die Entstehung des alten Ochsenwegs beziehungsweise der sogenannten Heerstraße schon in der Bronzezeit vermutet.
Laut Veröffentlichung des Landes Schleswig –Holstein (Umweltdaten.landsh.de) war „die Landschaft entlang des Eidertales ... bereits in vor- und frühgeschichtlicher Zeit von Bauern, Fischern und Jägern besiedelt.“ Siedlungsspuren hätten sich im Eiderverlauf bis in die Steinzeit (9000 v. Chr.) nachweisen lassen.
Auch im Vorfeld der Bauarbeiten an der B 404 haben Grabungen bei Nettelau Siedlungshinweise aus der Mittleren Steinzeit ans Licht gebracht. Fleißige Steinmetze haben sich demnach dort intensiv mit Flintsteinen beschäftigt, um unter anderem Beile herzustellen, wie festgestellt wurde. Ihr Arbeitseinsatz liegt lange zurück: Die zahlreichen Bruchstücke aus der Steinbearbeitung sind zwischen 9000 bis 6000 v. Chr. zu Boden gefallen.
Die „Au der Nesseln“, so die Verknüpfung zur niederdeutschen Wort „Nettel“, macht sich ganz in der Nähe der Quellbäche der Eider auf den Weg. Wie der Flurname Flintbek auf die Feuersteine deutet dieser aussagekräftig auf das Nesselgewächs als wichtige Faserpflanze – etwa um Steinbeile befestigen zu können.
Die Namen gehen vermutlich auf deutsche Kolonisten zurück, die vor nicht einmal 1000 Jahren in den Norden gezogen waren. Denn Nesseln und Flint waren damals nach wie vor wichtige Rohstoffe.
Als der erste Nettelauer Handwerker 9000 v. Chr. vor sich hinhämmerte, waren noch die Rentierjäger in der Region on Tour. Die arktische Tundra, in der die Eider floss, war nicht nur baum- sondern auch brennnessellos. Erst als das Klima bald darauf wärmer wurde, war der Weg für den Wald frei.
Schleswig-Holstein war zunächst mit Skandinavien verbunden. In anderer Richtung reichte das Festland bis Großbritannien. Das Doggerland dazwischen durchschnitt die Elbe. Nachgewiesen ist ein Elbezufluss nördlich von Helgoland, der der Eider zugesprochen wird. Die Kreis-Plöner hätten auf dem Fluss somit problemlos bis Doggerland paddeln können oder kamen womöglich von dort. Helgoland hätten sie als rotfarbigen Buntsandstein-Berg aus der Steinzeitlandschaft herausragen sehen. Ein weißer Kreidefelsen, später verbrieft als „Witte Klippe“, befand sich auf seiner Ostseite. Mangels Meer hob sich noch viel weiter westlich Großbritannien über dem Land. Denn als die letzte Eiszeit vor rund 10.000 Jahren zu Ende ging, hat der Meeresspiegel im Norden Europas noch mehrere zig Meter unter dem heutigen Normalnull gelegen.
Auch Funde von rotem Helgoländer Flint, den es nur hier gibt, deuten auf die frühen Transportsysteme und Handelswege ab Beginn des 4. bis zum 1. Jahrtausend v. Chr.. Dass Menschen sich auf Helgoland aufhielten, ist nicht nur durch Funde, sondern auch durch mehrere große Grabhügel belegt. Drei konnten der Bronzezeit zugeordnet werden. Nachweise für die Nutzung des Helgoländer Feuersteins gibt es aber auch bereits für die Hamburger Kultur vor rund 14.300 Jahren.


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