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Aufklärung nach 50 Jahren

Heikendorf (aj). Für die Opfer von sexuellem Missbrauch ist 50 Jahre nach der Tat nichts verjährt. Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Heikendorf hat jetzt einen Fall aus dem Jahr 1972 aufzuarbeiten. Neben der Aufgabe, das Opfer zu begleiten und ihm wo irgend möglich zu helfen, geht es dabei auch um Transparenz. „Im letzten Jahr hat sich der Betroffene, der sich selbst ‚Felix‘ nennt, an die Präventionsstelle der Nordkirche gewandt“, berichtete Almut Witt, Pröpstin im Kirchenkreis Altholstein. Es bedurfte einer Zeit, um Vertrauen aufzubauen. Dann habe „Felix“ von einem erlittenen Missbrauch erzählen können, der ihm auf einer Sommerfreizeit der Heikendorfer Kirchengemeinde angetan worden ist. Am 14. Juli 1972 machte sich eine Gruppe von Jungen im Alter zwischen zehn und 14 Jahren auf den Weg in ein Freizeitheim in der Nähe von Bremen. Auf der dort stattfindenden dreiwöchigen Ferienfreizeit hat sich der ehrenamtliche Betreuer an dem damals zehnjährigen „Felix“ sexuell vergangen. So schildert er es heute und „und er ist absolut glaubwürdig“, betont Almut Witt. Man habe umgehend einen Stab aufgebaut, um die Vorgänge von damals aufzuklären: „Wir haben Strafanzeige gestellt, in den Archiven nachgeschaut und recherchiert“, so Witt. Ein schwieriges Unterfangen, denn es existieren kaum Unterlagen: „Und die Menschen, die damals im Kirchenvorstand Verantwortung getragen haben, sind längst verstorben“, führt der Gemeindepastor Joachim Thieme-Hachmann aus. Über den mutmaßlichen Täter und ehrenamtlichen Leiter der Sommerfreizeit ist nur wenig bekannt, wie Almut Witt erläutert: „Er ist der Polizei namentlich bekannt. Wir können sagen, dass er drei weitere gemischte Freizeiten geleitet hat.“ Zwei Jahre lang habe der Pädagogikstudent in der Gemeinde gearbeitet, noch im Jahr 1972 ist er aus dem Ort weggezogen, danach verliert sich seine Spur.
In ihrem Bemühen um Aufklärung hat sich die Gemeinde an die anderen Teilnehmer der Sommerreise 1972 gewandt. In einem Brief schildert sie die Zusammenhänge und bittet darum, wenn möglich, zur Aufklärung beizutragen. Für den Fall, dass es weitere Opfer gibt, denen Gewalt angetan worden ist, werden Unterstützung und Begleitung zugesagt. „Wir wollen als Gemeinde Verantwortung übernehmen“, unterstreicht Pastor Thieme-Hachmann. Dazu gehört auch Transparenz im Aufarbeitungsprozess: „Wir möchten, dass das Schweigen ein Ende hat - wo auch immer Missbrauch geschieht“, pflichtet Pröpstin Almut Witt bei.
Ebenso wichtig ist die präventive Arbeit: Es ist bislang der erste und einzige Fall dieser Art in der Heikendorfer Kirchengemeinde. Damit Kinder und Jugendliche vor Missbrauch geschützt sind, erarbeitet die Gemeinde aktuell ein Präventionskonzept. Haupt- und Ehrenamtliche müssen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. „Felix“ wird von der Kirche psychologisch begleitet und finanziell unterstützt: „Was ihm angetan wurde, hat sein Leben nachhaltig überschattet“, sagt Almut Witt auf Nachfrage. Diese Aussage lässt das Ausmaß der Erschütterung durch das Verbrechen erahnen. Dass „Felix“ nach so vielen Jahren über das Erlebte sprechen konnte, liegt auch am veränderten gesellschaftlichen Klima: „Die vielen öffentlichen Berichte haben ihm Mut gemacht, sich an die Nordkirche zu wenden“, so Witt. Pastor Thieme-Hachmann setzt darauf, dass eine erhöhte Sensibilität dazu führt, dass sexuelle Übergriffe weniger häufig werden. Auch die Aufarbeitung leistet dazu eine wichtigen Beitrag: Hier steht das Opfer im Mittelpunkt, es geht um Respekt und Würde: „Für ‚Felix‘ war ganz wichtig, dass wir ihm glauben“, sagt Almut Witt. Wenn es Menschen gibt, die etwas dazu beitragen können, Licht ins Dunkel zu bringen, sind diese gebeten, Kontakt zur Kirchengemeinde aufzunehmen.
Und auch, wenn Wiedergutmachung als Wort nicht taugen mag: Die Kirche will „Felix“ mit seinen schmerzlichen Erinnerungen und deren Folgen nicht allein lassen. Nicht nach 50 Jahren und auch in Zukunft nicht.
Hinweise können an Pastor Joachim Thieme-Hachmann, Telefon 0431 - 2487711, pastor.thieme-hachmann@kirche-heikendorf.de, Pröpstin Almut Witt, Telefon 0431 - 2402300, proepstin.kiel@altholstein.de, UNA (Unabhängige Ansprechstelle für Menschen, die in der Nordkirche sexuelle Übergriffe erlebt oder davon erfahren haben), Telefon 0800 - 022 0099, una@wendepunkt-ev.de gegeben werden.


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