Reporter Eutin

„Es gibt Parallelen zwischen Gestern und Heute“

Eutin (aj). Die Aufmerksamkeit auf Kapitel der Stadtgeschichte zu lenken, die bislang im Dunkeln lagen – mit diesem Ansatz haben Schüler*innen des 13. Jahrgangs des Beruflichen Gymnasiums der Beruflichen Schule des Kreises in Eutin Quellen studiert, den Inhalt eingeordnet und für eine Ausstellung aufbereitet. In der Projekt-Arbeitsgemeinschaft „Wider das Vergessen“ arbeiteten 30 junge Menschen intensiv daran, die Jahre der Nazidiktatur vor der eigenen Haustür in den Blick zu nehmen: „Unsere Motivation ist, der allgemein gesellschaftlichen und politischen Gleichgültigkeit im Hinblick auf Diskriminierung und Rassismus entgegenzuwirken“, erklären die Lehrkräfte Julia Thessmann und Kerstin Schröder. Dass eine große Zahl von Schüler*innen diese Haltung nicht nur teilt, sondern dafür auch aktiv werden will, zeigt der Zuspruch, den die AG erfährt: Die 30 Plätze waren binnen Kurzem vergeben und es gab eine weit höhere Nachfrage.
In Arbeitsgruppen befassten sich die Teilnehmenden mit konkreten Diskriminierungsfällen in der Stadt und in der Region. Fachliche Begleitung und Anleitung kam unter anderem von der Gedenkstätte Ahrensbök und vom Regionalen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus Lübeck. „Im Eutiner Stadtarchiv haben wir Akten zum Thema einsehen können“, berichtet Calvin Winston Rüter. Gemeinsam mit Merna Hasan und Tessa Jolie Hartmann hat sich Calvin intensiv mit der Diskriminierung homosexueller Menschen befasst. Zwei konkrete Fallbeispiele stellen sie auf einer großen Stellwand vor, die Anfang Mai in der Kreisbibliothek präsentiert wurde und nun in der Pausenhalle der Schule zu sehen ist. Ihr Fazit: Es hat sich viel geändert, aber was erreicht wurde, muss beschützt werden, denn: „Es gibt einige Parallelen zwischen Gestern und Heute“, erläutert Tessa: „Es hat angefangen mit einem gemeinsamen Feindbild, auf das sich der Hass der Unzufriedenen richtete. Da macht man sich schon Gedanken.“
Rassistische Beleidigungen hat Sonja En-Hui Lorenz schon in der Grundschule erlebt: „Es braucht eine Menge Selbstbewusstsein, sich davon nicht herabsetzen zu lassen“, weiß sie. Selbstbewusstsein, das nicht alle Heranwachsenden haben (können). Für die AG-Arbeit haben Sonja, Jule Wrobel, Leonie Scheff und Lotta Kischkat die Stellung der Frau unter die historische Lupe genommen: „Wann durfte man sich ‚Frau‘ nennen – und wann nicht, das war unsere Fragestellung“, so Wrobel. Die Recherche in den Akten brachte dazu auch unerwartete Antworten: So ist die herabwürdigende Bezeichnung „Fräulein“ für die jungen Frauen nicht mehr denkbar. Unter dem Strich steht ihr Entschluss, das neugewonnene Wissen „mitzunehmen ins Leben“, wie es Sonja En-Hui Lorenz formuliert. Denn die Geschichte, mit der sie sich in der Tiefe auseinandergesetzt haben, ist noch nicht lange her. Und dass das nicht nur zeitlich, sondern auch ideell zu verstehen ist, ist eine weitere Erkenntnis dieses beeindruckenden Schulprojektes: „Wir sind sehr froh, dass wir die Möglichkeit hatten, dazu arbeiten zu können“, betont Lotta Kischkat.
In ihrer Begrüßungsansprache unterstrich Leonie Scheff zudem, worauf es den AG-Mitgliedern ankommt: „Es geht darum gegen Diskriminierung und Ungerechtigkeit anzukämpfen – mit Wissen und der Weitergabe von Wissen!“ Ein Rezept zu verhindern, dass rechtspopulistische Parteien weiter an Zulauf gewinnen, nannten die Abiturient*innen: „Wählen gehen!“
Dass sie sich dabei der Rückendeckung der aktiven Demokrat*innen sicher sein dürfen, zeigte die Anwesenheit von Kreispräsidentin Petra Kirner, Bürgermeister Sven Radestock und Alexander Kraft, Leiter der Schulgestaltung und Schulaufsicht Allgemein- und Berufsbildende Schulen am Bildungsministerium in Kiel. Wie wichtig die aktive Erinnerung ist, strich Kirner mit einem Beispiel aus der eigenen Biographie heraus: Als sie 1975 in Haffkrug nach der „Cap Arcona“ gefragt habe, sei die Antwort gewesen: „Welche Cap Arcona?“ Kirner: „Es wurde verschwiegen.“ Dieses Verschweigen unmöglich zu machen, dafür braucht es Haltung und Courage. Und dass die Berufliche Schule tatsächlich eine „Schule mit Courage“ ist, zeigt unter anderem die Arbeit der AG „Wider das Vergessen“.
Übrigens: Stadt-Archivar Jakob Sperrle hat noch reichlich Quellen und freut sich auf Wissbegierige.

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