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Reporter Eutin

Ein Jahr auf Bewährung für Christoph Gehl

Eutin (aj). Die Strafe fiel mild aus für den Mann, der so viele Hoffnungen zerstört hat – die seiner Partei SPD (in der er nicht mehr Mitglied ist) und vor allem die der Eutinerinnen und Eutiner, die ihm am 20. März 2022 ihre Stimme bei der Bürgermeisterwahl gegeben hatten. Christoph Gehl setzte sich damals gegen den Amtsinhaber Carsten Behnk durch und sollte ins Rathaus einziehen.


Doch nur wenige Wochen nach der Wahl offenbarte sich, dass er als Schatzmeister der Kreis-SPD zwei Jahre lang Geld vom Parteikonto abgehoben hatte – für eigene Zwecke. Vom 4. Februar 2020 bis zum 9. April 2022 hat er insgesamt 43.911,20 Euro veruntreut: Um seinen Lebensstandard aufrechtzuerhalten, wie er in einer Erklärung darlegt, die sein Rechtsanwalt Friedrich Fülscher eingangs der Verhandlung am vergangenen Mittwoch verlas.

Die Anklage lautet dann auch auf Gewerbsmäßige Untreue in 110 Fällen. Staatsanwalt Jens Buscher verlas die Anklageschrift auf Wunsch der Verteidigung komplett, listete alle Taten mit Datum auf. Christoph Gehl, der als Letzter den Saal betreten und damit die Begegnung mit den etwa 20 Interessierten und den Pressevertreter*innen vermieden hatte, wirkte gefasst und in sich gekehrt. Mit leiser Stimme beantwortete er die Frage nach Wohnort und Berufstätigkeit, überließ ansonsten seinem Rechtsbeistand das Reden und vermied den Blick in die Zuschauerreihen. Er habe die genannten Abhebungen vorgenommen.

Während seiner Berufstätigkeit für einen Betriebsmedizinerservice habe er zwischen 2.300 und 3.000 Euro verdient. Um seinen gewohnten Lebensstandard aufrechtzuerhalten bediente er sich, nachdem er zum Leistungsempfänger geworden war, am Parteikonto. Zunächst mit dem Vorsatz, das Geld jeweils im nächsten Monat zurückzuzahlen: „Ich muss eingestehen, mir das eingeredet zu haben”, hieß es in der Erklärung. Tatsächlich verfügte Gehl gar nicht über die Mittel, die entnommenen Summen aus eigener Kraft zu ersetzen.

Als im Frühjahr 2021 eine reguläre Kassenprüfung anstand, habe er Tacheles reden und vor dem Kreisvorsitzenden Niclas Dürbrook reinen Tisch machen wollen. Dieser aber habe den Rechenschaftsbericht ohne Prüfung auf dem Parkplatz vor seiner Wohnung unterschrieben. „Erstaunt, aber auch erleichtert” sei er gewesen, ließ Gehl verlesen. Und er machte weiter wie bisher, hob dreistellige und zweimal auch vierstellige Summen ab, bis er durch einen Zufall aufflog – und seine private und berufliche Existenz von einem Tag auf den anderen in Scherben lag.

Durch ein Privatdarlehen der Mutter seiner Lebenspartnerin konnte er das Geld zwar umgehend zurückzahlen. Das Amt aber und alle Lebensträume waren und sind verloren.


Heute lebt Christoph Gehl in Kiel, arbeitet in einer Tankstelle, wenn er sich etwas gönne, dann von dem Geld, das er für regelmäßige Plasmaspenden erhalte. Seine Lebensgefährtin hat sich seinerzeit nach 19 Jahren Beziehung von ihm getrennt, seine sechsjährige Tochter sieht er nur am Wochenende, sie werde immer noch auf die Handlungen des Vaters angesprochen, war in der Erklärung zu hören. An diesem Punkt fällt Gehl schwer, Contenance zu wahren: „Ich bereue unheimlich, was ich getan habe. Ich habe alles verloren, was mein Leben ausgemacht hat”, ließ er erklären.

Im Anschluss an die Erklärung zogen sich Rechtsanwälte und Staatsanwalt zu einem Rechtsgespräch zurück. Ergebnis: Christoph Gehl räumt den Anklagevorwurf ein, eine Beweisführung ist damit nicht mehr notwendig, die Befragung der geladenen Zeug*innen entfällt. Gehl habe vor allem seiner ehemaligen Schwiegermutter die Aussage ersparen wollen, wurde später angemerkt.

Während Staatsanwalt Buscher für eine Haftstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, plädierte, beantragten die Verteidiger Friedrich Fülscher und Dennis Bock ein Jahr auf Bewährung. Hintergrund: Während Haftstrafen von bis zu einem Jahr nach zehn Jahren aus dem Bundeszentralregister gelöscht werden, ist das bei Strafen von mehr als einem Jahr erst nach 15 Jahren der Fall. So könne sein Mandant Gehl schnellstmöglich wieder Fuß fassen auf dem Arbeitsmarkt, begründete Dennis Bock das beantragte Strafmaß von einem Jahr: Er attestierte seinem Mandanten eine „selten anzutreffende Vielfalt mildernder Umstände”.

Auch der Staatsanwalt hatte eine günstige Sozialprognose gestellt und zudem unterstrichen, dass ihm die Taten durch die mangelnden Kontrolle seitens der SPD leichtgemacht worden seien. Gleichwohl unterstrich Jens Buscher, dass Gehl nicht aus einer Notlage heraus gehandelt habe: „Sie hätten einfach kürzertreten müssen”, stellt er fest.

Richter Jan-Hendrik Labusga verhängte schließlich eine Strafe von 1 Jahr auf Bewährung, die Bewährungsfrist setzte er auf zwei Jahre fest. In seiner Begründung fasste er alle genannten Punkte zusammen, die für den Angeklagten sprachen und bescheinigte ihm: „Sie sind tüchtig, Sie sind fleißig, bemühen sich, Ihr Leben in den Griff zu bekommen.”


„Er hätte sich hier entschuldigen können”


Einige der Anwesenden hatten mehr erwartet. Nicht an Strafe, aber an offen gezeigter Reue. Warum sie gekommen war, beantwortete Angelina Pieper bereitwillig: „Ich bin Eutinerin und ich habe ihn gewählt. Als ich damals gehört habe, was er getan hat, bin ich vom Glauben abgefallen!” Dieser Vertrauensverlust wiegt auch für Regine Jepp schwer. Als Mitglied der SPD, das seine Kandidatur unterstützt und den Wahlerfolg natürlich gefeiert hat, hat sie Christoph Gehl während der Verhandlung genau beobachtet: „Ich wollte ihm ins Gesicht sehen, ob man spürt, dass er weiß und bereut, was für eine Riesenenttäuschung er für die Wählerinnen und Wähler gewesen ist.” Ein persönliches Wort aus seinem Mund hätte es dafür gebraucht. Das empfindet auch Angelina Pieper so: „Er hätte sich hinstellen und sich hier entschuldigen können!”


Christoph Gehl selbst verließ das Gebäude eilig, während die Journalist*innen die Verteidigung befragten. „Du schaffst das”, flüsterte ihm ein Eutiner auf der Treppe Richtung Ausgang zu. Und Gehl selbst? Ist er erleichtert, nun vielleicht abschließen zu können mit diesem Kapitel? „Ja!”, sagte er und huschte schnell über den Parkplatz.


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