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Marlies Henke

Demokratie: Nix für kleine Kinder? – In der Kita Kunterbunt bestimmt der Nachwuchs mit

Lensahn. „Gebt den Kindern das Kommando“, so besang es einst Herbert Grönemeyer in seinem Lied „Kinder an die Macht“. Im Kindergarten Kunterbunt ist diese Forderung ein Stück weit Realität geworden. Hier entscheidet ein Kind selbst, wieviel, wann und ob es isst. Es hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob es draußen eine Jacke trägt. Und es wird sogar in Personalfragen angehört. Partizipation lautet das Zauberwort, also: Teilhabe im Sinne von Mitwirkung und Mitspracherechten. Und es funktioniert. Die Kinder lernen zu argumentieren, zu diskutieren, andere Meinungen zu respektieren und demokratisch abzustimmen.
 
Der Kindergarten Kunterbunt wurde im letzten Jahr als 11. AWO-Einrichtung vom Institut für Partizipation und Bildung als sogenannte Demokratie-Kita ausgezeichnet. Seitdem gibt es eine Verfassung mit 24 Paragraphen, in denen alle Regeln und Rechte festgelegt wurden. Verfassungsorgane der Kita Kunterbunt sind die wöchentlich stattfindenden Gruppenkonferenzen sowie eine Kindersprechstunde und die Vollversammlung. „Wir möchten die Kinder teilhaben lassen und auf ihre Bedürfnisse achten, damit sie sich ernst genommen fühlen“, erläutert Einrichtungsleiterin Christin Paulsen. Die Kinder sollen spielerisch lernen, in die demokratische Gesellschaft hineinzuwachsen und sich für ihre Interessen einzusetzen.
 
Mittwochmorgen, 8.30 Uhr: Auf der Vollversammlung trägt Delegierter Luca-Elias die Anschaffungswünsche für das Außengelände vor, die seine Gruppe zuvor zusammengetragen hat. Auf seiner Liste stehen ein Pferd, eine große Schaufel, Schmieröl und eine Katzenkuchenbackform, alles von den Kindern selbst gemalt. Routiniert wird abgestimmt. Jedes Kind hat dafür zwei Klebepunkte, mit denen es seine Favoriten markieren kann. Ähnlich wurde die Ausstattung der neuen Kinderküchen gemeinsam beschlossen. Staubsauger, Toaster, Topflappen, Geschirr standen auf der Wunschliste. Das Budget war allerdings begrenzt. „Die Kinder haben Kataloge geblättert, sind miteinander ins Gespräch gekommen und haben dabei eigentlich schon begonnen, demokratisch abzustimmen“, erzählt Christin Paulsen. Für Wünsche, die nicht mehr ins Budget passten, fanden die Kinder andere Lösungen, beispielsweise eine Oma, die dann für alle Topflappen häkelte.
 
Ein weiterer Wunsch war ein Bällebad, zu dem die Kinder ganz klare Vorstellungen hatten. Blaue Wände sollte der Raum haben, so wie in einem Pool. Ein tiefes Becken zum Verstecken und mit Wasser gefüllt sowie eine Dusche lauteten weitere Wünsche. „Beim Thema Wasser kamen die Kinder dann selbst ins Wanken. Da müsste man ja einen Bademeister einstellen. Wasser und Strom sind gefährlich – so kamen die Kinder untereinander ins Gespräch und wir haben gemeinsam überlegt, welche der vielen Wünsche wir umsetzen können. Jetzt gibt es ein großes, tiefes Bällebad mit blauen Wänden,“ berichtet Christin Paulsen.
 
Eine Herausforderung für die Großen
Vieles habe das Mitarbeiterteam anfangs vor Herausforderungen gestellt, angefangen beim Schreiben einer Verfassung über das Gestalten von Partizipationsprojekten und bis hin zur Haltung gegenüber den Eltern, berichtet Paulsen. Regelmäßig geht es hierbei zum Beispiel um die ‚Jackenfrage‘. „Wir haben dazu eine ganz klare Regel: Jedes Kindergartenkind hat das Recht, selbst zu entscheiden, wie es sich bei trockener Witterung ab 13 Grad kleidet“, erklärt Paulsen. Im Rahmen der Fürsorgepflicht könnten die pädagogischen Mitarbeiterinnen allerdings eingreifen und bestimmen, dass die Jacke angezogen wird. „Mittlerweile können das bei uns aber schon die Dreijährigen sehr gut selbst einschätzen."
 
Und wie sieht es bei Personalfragen aus? Auch da dürfen Kinder mitreden. Erst kürzlich sei der Fall eingetreten, dass die Kinder zu einer potenziellen neuen Mitarbeiterin befragt wurden. „Das finde ich wichtig. Kinder können zwar keine Fachlichkeit beurteilen, aber sie können Menschlichkeit beurteilen. Mir würde es Bauchschmerzen bereiten, wenn ich wüsste, dass die Kinder einen neuen Mitarbeiter überhaupt nicht akzeptieren“, so Paulsen.
 
Insgesamt habe die Verfassung vieles leichter gemacht. „Wir erleben das ganze Gruppengeschehen heute viel entspannter“, sagt die Pädagogin. Und auch das Feedback der Eltern ist positiv. Elternvertreterin Kirsten Richter gibt einen Eindruck: „Meine Tochter ist durch dieses Konzept viel selbstbewusster geworden. Sie hat gelernt, sich mit Argumenten zu behaupten, aber auch, ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustecken.“ Sandra Franke, ebenfalls Elternvertreterin, macht ähnliche Erfahrungen. „Mein Sohn hat ganz bestimmte Vorstellungen, wenn es ums Essen und Freizeitgestaltung geht, was dazu geführt hat, dass auch wir als Eltern lernen mussten, mehr und besser zu argumentieren.“ Manchmal sei es aber doch schwierig, den Kindern klar zu machen, dass zuhause nicht alles selbst entschieden werden kann, zum Beispiel bei der Frage, wann es ins Bett geht, räumen die Mütter lachend ein.
 
„Wir erhoffen uns, dass unsere Kinder selbstbewusster durch die heutige Welt kommen, dass sie ihre Argumente vertreten können, dass sie sich trauen, nein zu sagen und dass sie ihren Weg selbstbestimmt gehen können“, betont Kirsten Richter und Christin Paulsen ergänzt: „Gelegentlich gibt es die Befürchtung, alles würde hier aus dem Ruder laufen, weil die Kinder ALLES selbst entscheiden dürfen. Nein: das dürfen sie nicht! Aber es gibt schließlich große Unterschiede zwischen selbstbestimmt, mitbestimmt und fremdbestimmt.“ (he)


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