Raisdorf und Klausdorf: Schwentinental vor 800 Jahren
Raisdorf / Schwentinental (los). Zwei Dörfer, fünf Urkunden, 800 Jahre Geschichte: In seinem Vortrag am 30. Januar in Raisdorf, hat Professor Detlev Kraack die Ursprünge Schwentinentals näher beleuchtet. Zu der Auftaktveranstaltung im Jubiläumsjahr berichteten wir am 7. Februar (archiv.der-reporter.de/ploenpreetz/). Mehr zur Historie der ehemaligen Klosterdörfer folgen nun im zweiten Teil.
Die Nachrichten aus der Vergangenheit sind spärlich. „Wir müssen versuchen den Kontext auszuleuchten von der Zeit vor 800 Jahren“, verdeutlichte Kraack. Relevante Informationen lieferten insbesondere fünf Urkunden, die das Kloster Preetz betreffen. In einem dieser Schriftstücke tauchen die Klosterdörfer erstmals auf. Diese Urkunde wurde am 9. Dezember 1224 unterzeichnet.
Bischof Bertold zu Lübeck ließ das Schreiben 1224 aufsetzen. Unter namentlich genannten Zeugen präzise ausformuliert war die Ausstattung des Klosters Preetz mit dörflicher Wirtschaftskraft damit rechtsgültig vollzogen.
Die Urkunde benennt eine Reihe von Dörfern in einem ehemals von einer slawischen Bevölkerung bewohnten Gebiet. Dieses war im Zuge einer gewaltsamen Landnahme und Christianisierung für einen wirtschaftlich motivierten Landesausbau annektiert worden. Die auch Wenden genannten Slawen leisteten Widerstand. Kraack verweist auf Pfarrer Helmold von Bosau, der ein paar Jahrzehnte vorher die Slawenchronik verfasste. Die Chronik gilt als das erste schriftliche Werk zur Geschichte Wagriens und der deutschen Ostsiedlung. Helmold ist ein Zeitgenosse des Missionars Vicelins, der die Klostergründungen in Segeberg und in Neumünster veranlasste. Die lagen zu seiner Zeit noch im Randgebiet zum slawischen Herrschaftsbereich Wagrien. Die abgelegene Festung Starigard war mehrere Jahrhunderte das slawische Machtzentrum gewesen. Nachdem die Slawen weitgehend besiegt waren, erneuerte Vicelin 1149 in deren alter Burg das Bistum Oldenburg, das aufgrund des slawischen Widerstands seit 1066 nicht mehr besetzt worden war. Rund 78 Kilometer von Neumünster entfernt gelegen, würde Vicelin auf schlechten Wegen Oldenburg in bestenfalls fünf Tagemärschen erreicht haben. Praktisch also, dass er das slawische Dorf Bosau am Großen Plöner See zu Sicherung seiner Einkünfte erhielt, das etwa in der Mitte von Wagrien lag. Dass er und Helmold den Wasserweg Schwentine kannte, ist anzunehmen: Von dort aus paddelnd nach Preetz und zur Kieler Förde zu gelangen, oder flussaufwärts nach Malente und Eutin zu gelangen, war allen Anrainern sicher ebenso geläufig wie die Verbindung von Preetz über die Alte Schwentine nach Bornhöved. Oder von der Schwentinemündung über die Kieler Bucht bis zum Oldenburger Graben...
Furten und Fließgewässer, Handels- und Hude-Orte
Bischof Bertolds Urkunde von 1224 zeigt auf, dass die genannten Dörfer einen gemeinsamen Nenner haben: Fahrbare Fließgewässer. Historiker Detlev Kraack griff diesen Punkt auf. Unter dem Aspekt der Mobilität seien gerade Flüsse wie die Schwentine oder auch Bäche wie die Nettelau (mit damals höherem Wasserstand) von zentraler Bedeutung gewesen. Eine größere Bedeutung dürften daher flache Boote gehabt haben (wie schon das rund 8500 Jahre alte „Paddel von Duwensee“ anzeigt).
Die Flur-, Gewässer- und Personen- und Ortsnamen seien bei solchen Überlegungen eine wichtige Quelle, so Kraack, etwa mit Blick auf Furten als überquerbaren Flachstellen der Flüsse. Beispiele sind die Eider-Orte Voorde (bei Flintbek), Steinfurt (bei Kiel) und Königsförde (bei Rendsburg).
Die Urkunde des Lübecker Bischofs Bertold von 1224 zeigt Bezüge zur Eider auf, deren Mäander im 20. Jahrhundert im Kieler Bereich begradigt und sogar Altarme beseitigt wurden, sowie auch zur Schwentine. So benennt das historische Schriftstück Morse, Drachse und Hertesse (Moorsee, Drachensee, Hassee).
Der Drachen- und der Hassee, heute Vorderer Russee genannt, sind durch die Speckenbeker Au beziehungsweise Kuhfurtsau, wie sie im weiteren Verlauf heißt, mit der Eider verbunden.
Auch der Moorsee könnte einen Verbindungsgraben zur Eider gehabt haben (so die „Topographie der Herzogthümer Holstein und Lauenburg“, 1855). In der Urkunde des Bischofs Bertold tauchen die Begriffe fossa (latein: Graben, Kanal) und eidra auf.
Der Moorseer Sumpf dehnte sich von Boksee bis zum in neuerer Zeit trockengelegten Moorsee, vom Schlüsbeker- bis zum Kleinflintbeker Moor aus. Der Speckhörner Bach beginnt im Kleinflintbeker Moor, durchfließt diese Niederung und wird im Verlauf zum Schlüsbek, dessen Bett zwecks Entwässerung in den 1950-er Jahren vertieft wurde.
Der Bach entwässert schließlich in den Wellsee, fließt aus diesem heraus als Wellsau an Elmschenhagen vorbei, als Neuwührener Au durch den Klosterforst, und bei Pohnsdorf in den Postsee. Der Postsee entwässert über die Alte Schwentine, die in Preetz mit der Bungsberg-Schwentine vereint Richtung Kieler Förde abbiegt, wo Raisdorf und Klausdorf liegen. Auch die Nettelau, die ebenfalls in den Postsee mündet, ist an das Gewässersystem Schwentine angebunden und verbindet Preetz mit Nettelsee. Nahe Nettelsee liegt zudem das Quellgebiet der Eider.
„Ein anderes Raisdorf“
Die Urkunde erwähnt Radwardesthorp, das Dorf von Radwart, das später Raisdorf heißt. Doch nicht am Unterlauf der Schwentine, sondern auf Höhe von Kühren, und damit nahe der Alten Schwentine, habe es sich befunden, erläutert Kraack. Und auch im Bereich Sophienhof, wo sich der Trentsee und die Lehmkuhlener Stauung befinden, habe ein Radwardesthorp existiert. Bischof Bertolds Urkunde zählt Torente (Trent) auch gleich nach Radwardesthorp alias Raisdorf auf. Dann Wahlesthorp (Wahlstorf) und „Kuren; item (lat.: auch) Kuren“. Zwei Orte Kühren also.
Eine Dopplung von Ortsnamen sei häufig für die Zeit der Landnahme, als die Dörfer nach ihren Bewohnern entweder wendisch oder deutsch waren. Zusätze von Groß und Klein (Großbarkau und Klein Barkau, Groß- und Kleinflintbek, Groß- und Kleinvollstedt) haben sich daraus ergeben. Auch wurde der Zusatz Wendisch benutzt: so hieß Großbarkau Wendisch-Brocowe. Radwardesthorp bezeichne somit „ein anderes Raisdorf“, unterstreicht Kraack.
Neben diesem Ort Radwardesthorp führt die Bischofsurkunde den Mündungsbereich Swentinemunde an der Ostseite der Kieler Förde sowie (unter anderem) das Dorf Vruwenhuthe auf, das von der Mündung rund vier Kilometer entfernt flussaufwärts liegt. Gegenüber befindet sich Oppendorf, das ebenfalls in der Urkunde vermerkt wurde. Vruwenhuthe könne dem Ortsnamen nach ein Anlandeplatz für Boote (Hude) und kleiner Handelsplatz an der Schwentine gewesen sein, so Kraack, dies auch mit Blick auf Hohenhude und Flemhude an der oberen Eider bei Kiel.
„Landnahme“ - unter der Regie Dänemarks fortgesetzt
Siedler sind von den sogenannten Lokatoren zur „Landnahme“ angeworben worden, auch zu dänischer Zeit: Dänemark ist es 1202 gelungen, sich die Herrschaft zu sichern - diese endete erst mit der Entscheidungsschlacht 1227 bei Bornhöved.
Graf Albrecht von Orlamünde hatte als Statthalter (da Neffe) des dänischen Königs Waldemar einen Gefolgsmann, Marquard von Stenwer mit der Landnahme beauftragt. Urkundlich verbrieft sei, so Kraack, dass Orlamünde im Jahr 1216 seinem Lokator als Lehen ein Gebiet bis zu den Salzwiesen an der Ostsee überließ, das erst in späterer Zeit „Probstei“ heißt. Dieser Bereich gehörte zu diesem Zeitpunkt noch nicht dem Preetzer Kloster (das sich auch noch nicht an seinem heutigen Platz befand), sondern als Lehen jenem Marquard, der das Land mit Hilfe angeworbener Arbeitskräfte erschließen sollte. Mit guten Aussichten auf gutes Einkommen: „Abgaben waren für einen Adeligen das A und O.“
1222 hatte Orlamünde eine weitere Urkunde ausgestellt: Das Nonnenkloster erhält die westlich von Preetz gelegenen „Walddörfer“. Diese Stiftung zeigt eine Besitzerweiterung für einen bereits bestehenden Konvent auf.
Und 1224 stellte Bischof Bertold von Lübeck am 9. Dezember jene Urkunde aus, in der er den Benediktinerinnen „den Zehnten an den von Albrecht von Orlamünde verliehenen Besitzungen schenkt“ - es handele sich um die Ersterwähnung der Schwentine-Dörfer, hebt Kraack hervor.
Marquard geht leer aus
Ein weiteres Dokument unterzeichnete 1226 Graf Adolf IV von Schauenburg, der inzwischen den Hut aufhatte, da die dänische Herrschaft bereits bröckelte. Das Besondere: Adolf IV „erneuert in der Urkunde die Klosterstiftung“, die auf Orlamünde zurückgeht, erläutert Kraack. Die rühmliche Tat soll die Nachwelt allerdings nur dem Schauenburger zuordnen können: Deshalb verzichte Graf Adolf IV darauf, seinen Kontrahenten Albrecht von Orlamünde als vorherigen Stifter auch nur zu erwähnen. Und dessen Gefolgsmann, der Lokator Marquard von Stenwer, ist nun auch sein Lehen los: Die Besitzungen vermacht Adolf IV in der Urkunde nämlich den Preetzer Nonnen.
Eine Kapelle an der Schwentine
Eine fünfte Urkunde ist erhalten, die erst sechzig Jahre später verfasst wurde: „1286 stellte Propst Konrad Bocholt die Preetzer Besitzungen in einem Register zusammen“, so Kraack zur historischen Bedeutung der fünf Quellen. Sie lieferten wichtige Anhaltspunkte. Etwa, zu solchen Ortsnamen, die hier wiederholt vorkommen, so wie Vrouwenhuthe.
Dort an der unteren Schwentine wird 1233 eine Kapelle errichtet, die dem Heiligen Nicolaus, Schutzpatron der Seefahrer, geweiht ist. So auch der ersten Kieler Kirche, die ein paar Kilometer weiter am Westufer der Förde errichtet wird. Graf Adolf IV gründete dort zwischen 1233 und 1242 eine neue Stadt. St. Nikolai wurde auf einer wasserumflossenen Halbinsel gebaut und der Ort „To dem Kyle“ erhielt 1242 das Lübsche Stadtrecht. Der Graf hoffte auf hansischen Aufschwung an dieser Stelle, die vielleicht schon vorher ein kleiner Handelsort war.
Adolf IV wurde Franziskanermönch. Er starb 1261 im Kieler Marienkloster, das er gestiftet hatte. Im gleichen Jahr hatte auch der Benediktinerinnenkonvent seinen endgültigen Platz in Preetz gefunden. Und Vrouwenhuthe wurde nach dem Heiligen Nicolaus zu Klausdorf.