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Reporter Eutin

Das Rätsel um den Roland, der keiner sein kann

Eutin (ed). Der Lockdown hält an, das Wetter ist nicht so dolle und es wird noch dauern, bis wir wieder etwas erleben, wieder in Museen gehen, Kultur genießen können. Und weil wir eben zum Beispiel nicht ins Schloss gehen können, haben wir uns überlegt: Wir bringen das Schloss zu Ihnen. Dazu haben wir uns mit Historikerin und Schlossführerin Tomke Stiasny getroffen, die alles weiß, was man über das Schloss wissen kann. Sie hat uns die spannendsten, lustigsten, traurigsten, romantischsten und erstaunlichsten Geschichten erzählt – und diese Schlossgeschichten werden wir nun ab sofort Ihnen erzählen, um die Zeit zu überbrücken, um von den Besonderheiten zu berichten, um die eine oder andere Anekdote über Ihr Schloss zu erzählen, die Sie vielleicht noch nicht kennen. Wie die Geschichte um den Roland, der keiner sein kann. Wer auf der Schlossbrücke steht und seine Blicke nach links oben übers Schlosstor wandern lässt, sieht ihn, den rätselhaften Herrn.
Ein Roland steht zum Beispiel in Bremen auf dem Markt – und dafür, dass in dieser Stadt die Bürger einen Markt abhalten dürfen. Mit Schild und Schwert verteidigt er die Marktgerechtigkeit – Roland wird er genannt, weil Roland einst ein tapferer und aufrechter Ritter war, sinnbildlich für Ritterlichkeit und Gerechtigkeit steht. Ritter also tragen Schild und Schwert. Ein Schwert hat der Herr da oben – er ist übrigens „nur“ eine Replik. Das Original wurde zu seinem Schutz abgenommen und ins Schloss gebracht – es ist nun direkt vor dem Eingang zur Schlosskirche zu finden, links oben an der Wand.
Hier sieht man es fast noch ein bisschen besser: Ein Roland kann er kaum sein, dagegen spricht auch sein Platz an der Außenseite des Schlosses, steht der Roland doch für das bürgerliche Marktrecht. Und auf seinem Kopf trägt er eine prächtige Krone, er ist gehüllt in einen reich verzierten Mantel und gekleidet ist er in eine römische Uniform. In der linken Hand hält er die Weltenkugel, was auch immer er in der rechten Hand hatte, ist verloren gegangen, es könnte aber ein Szepter gewesen sein. Die Rolandsstatuen, die man so finden kann, ob in Bremen oder in Quedlinburg, tragen alle Schild und Schwert sowie Kleidung und Schuhe eines Ritters. „Allein das weist darauf hin, dass es gar kein Roland sein kann“, sagt Tomke Stiasny, „vielmehr muss es ein Kaiser sein, so wie er gekleidet und ausgestattet ist. Auch Krone und Weltenkugel deuten darauf hin. Ebenso wie der lange, dichte Bart, der eines Kaisers würdig wäre. So wie er hier steht, so stellte man damals einen Kaiser dar.“ Aber der Haken: Man könnte meinen, der Herr sei barfuß – „und einen Kaiser ohne Schuhe abzubilden, das wäre niemals in Frage gekommen.“ Schaut man genauer hin, erahnt man zwar Zehen, man kann aber auch an seinem rechten Bein eine Art Schienbeinschoner finden. Der könnte sehr gut ein Teil einer römischen Wickelsandale sein, die prima zu seiner Uniform passen würde – damals war es schick, sich in der Mode römischer Kaiser portraitieren zu lassen. Also ganz barfuß scheint er nicht zu sein. Vielleicht hat die Wickelsandale der Zahn der Zeit schon abgenagt, bevor der Herr ins Schlossinnere gerettet werden konnte.
Wir können also immerhin feststellen: Ein Roland ist der Herr mit dem Bart nicht (allein weil Ritter zu dieser Zeit keinen Bart trugen, total unpraktisch beim Reiten und Kämpfen). Ein Kaiser könnte er sein, wenn die Sandalen einfach nur abhanden gekommen sind. Dafür spricht auch, dass es schon damals üblich war, sich seinen Chef an die Wand zu hängen (so wie in Filmen immer zu sehen ist, dass die englische Polizei und die Minister ihre Queen Elizabeth an der Wand hängen haben). Und da der Fürst des Fürstentums Lübeck ein reichsunmittelbarer war, also über seinen eigenen Staat herrschte und über sich nur den Kaiser als Reichsoberhaupt hatte, wäre das eine logische Erklärung.
Geht man davon aus, dass die in den Fuß der Statue eingemeißelte Jahreszahl die richtige ist, dann müsste der dargestellte Kaiser Rudolf II sein. Rudolf II von Habsburg (1552 - 1612) war römisch-deutscher Kaiser und (da aber Rudolf V) König von Böhmen sowie (als Rudolf VIII) auch Erzherzog von Österreich. Am spanischen Hof seines Großvaters aufgewachsen wurde er als Kaiser ein bedeutender Förderer von Kunst und Wissenschaft, als Herrscher aber zu Beginn zwar zielstrebig, bald jedoch eher unbeständig und bald auch in einem geistigen Zustand, der ihm das solide Herrschen unmöglich machte. Heute würde man sagen, dass er schizophren und alkoholkrank war – damals setzte man ihn zugunsten seines jüngeren Bruders Matthias ab, ein Streit, der heute der „Bruderzwist im Hause Habsburg“ genannt wird. Sollte unser Herr mit der Krone und dem Bart also Rudolf II sein, war er ein Mann mit einer traurigen Geschichte. „So ganz können wir das Rätsel wohl nicht lösen“, so Tomke Stiasny, „aber umso wertvoller ist er uns.“


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