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Reporter Eutin

Geschichte nicht vergessen sondern daraus lernen

Bild: hfr

Ahrensbök (ed). Sie kommen aus ganz Deutschland, aus der Ukraine, Belarus, aus Hongkong, Polen und aus dem Niger – sie haben komplett verschiedene Geschichten und Hintergründe, aber eines haben sie gemeinsam: Sie wollen mehr wissen über die dunkle Zeit deutscher Geschichte und dafür sorgen, dass sie nicht vergessen wird.
Seit 1999 findet immer im Sommer das JugendCamp an der Gedenkstätte Ahrensbök statt und ist seither nur dreimal ausgefallen – „Crossing Borders“ lautet das Motto und damit sind nicht nur die Landesgrenzen der Teilnehmenden gemeint, auch die gedanklichen Grenzen und die des eigenen Schattens. Vorträge zur Geschichte der Ahrensböker Gedenkstätte gehören ebenso dazu wie zur Ausstellung, zu Zwangsarbeit, die Geschichte eines Zeitzeugen wird gehört, ein Ausflug zum Cap Arcona-Friedhof steht auf dem Programm, aber die Jugendlichen hinterlassen auch ganz praktische Spuren. In diesem Jahr wurde der Mangel an Bänken behoben – „wir haben festgestellt, dass wir keine vernünftigen Sitzgelegenheiten hier draußen haben“, schmunzelt Sebastian Sakautzki, der Leiter der Gedenkstätte, „also haben wir welche gebaut.“ Breit, stabil, gemütlich und viel besser als die Biertischgarnituren, die bisher genutzt wurden. Früher sei der praktische Teil viel ausgeprägter gewesen, erzählt Dr. Ingaburgh Klatt, die Vorsitzende des Trägervereins Gedenkstätte, in den ersten Camps hatten die Jugendlichen bei der Sanierung der Gedenkstätte geholfen, unter anderem das Fundament mit ausgebessert, Wände verputzt…das weiß auch Sara aus Köln, denn ihre Mama hat vor knapp 20 Jahren an einem der ersten JugendCamps hier teilgenommen. „Sie hat immer viel davon erzählt, dass sie beim Aufbau mitgeholfen hat“, erzählt die junge Frau, „sie hält immer noch Kontakt hierher – und hat mich ermutigt, auch hierher zu kommen.“ Ein bisschen Angst habe sie gehabt, niemanden zu finden, mit dem sie sich versteht – aber da hatte sie nicht mit Hanna, Pheline und Josefine gerechnet. „Wir haben uns gefunden, und da bleiben bestimmt Freundschaften.“ Das Beste aber sei, dass es so international hier sei – „alle sind total offen und alle achten aufeinander.“ Und wer denkt, es habe Konfliktpotential, dass Jugendliche aus der Ukraine und Belarus in einem Camp sind, liegt ganz falsch – Lera aus Belarus, Varyna und Yura aus der Ukraine sind auch hier, weil sie wussten, dass sie sich nach einem Camp vor zwei Jahren hier wiedertreffen würden. Und das ist ein kleines Stückchen Hoffnung: Für Varyna und Yura spielt die politische Nähe zwischen Russland und Belarus keine Rolle: „Only the presidents are friends“, sagt Varyna, die Menschen in Belarus hätten damit nichts zu tun. Sie sind hier, um verschiedene Perspektiven auf die Geschichte kennenzulernen – „wir waren überrascht, dass man sich in Deutschland überhaupt mit der Geschichte beschäftigt und Jugendliche dazu ermutigt“, erzählt Yura, deshalb sei es ein „great job“, den man hier an der Gedenkstätte leiste, „es ist wichtig, nicht zu vergessen.“ „Uns hat es erstaunt, dass es immer noch schwierig sein kann, dass man jüdisch ist“, sagt Varyna, „bei uns ist das egal.“ Umso wichtiger sei es, mehr über die Geschichte zu wissen, um Parallelen ziehen zu können zwischen Damals und Heute.
Nathan kommt aus dem Niger und hat das französische Schulsystem durchlaufen – er sagt, dass ihm in der Schule nur die französische, die Sicht des Gewinners auf den Krieg vermittelt worden sei, er aber wissen wollte, was wirklich passiert ist. Also meldete er sich für das JugendCamp in der Gedenkstätte an, um die deutsche Seite kennenzulernen und die Erinnerung wach halten zu können – „man kann es nicht korrigieren, aber man kann dafür sorgen, dass die Vergangenheit nicht ignoriert wird, das bedeutet Erinnern.“
Calvin aus Hongkong ist schon zum zweiten Mal beim JugendCamp in der Ahrensböker Gedenkstätte – er studiert in Marburg und sieht es als Verpflichtung, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, um zu verhindern, dass sie sich in der Zukunft wiederholt. „Aber Geschichte wiederholt sich immer, nur in anderer Form.“ Er findet, dass man die Vergebung der Opfer erlangen muss, um weitermachen zu können – das entfacht eine Diskussion unter den Teilnehmenden, denn es gebe Dinge, die man nicht vergeben könne. Und das ist es, was das Camp auch ausmacht – verschiedene Blickwinkel kommen zusammen, werden ausgetauscht, Horizonte erweitert, Wissenslücken gefüllt und aufgetan. Zwangsarbeit ist ein solches Thema, das kaum an die Öffentlichkeit kommt – oder der Widerstand. Auch vermeintlich kleinere Begebenheiten, die Opfer forderten, werden hier erörtert.
Ein JugendCamp an einer Gedenkstätte – an einem Ort, der das Gehörte, Gesehene eindringlicher, nachdrücklicher wirken lässt: „Das ist hier mehr als Gedenken, es ist aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte, denn jede Generation muss ihren Umgang damit finden“, sagt Sebastian Sakautzki, „denn Geschichte, Rassismus, Antisemitismus ist nichts, was vorbei ist. All das ist im Alltag präsent.“ So sind alle vom Treffen mit Rebecca, einer jungen jüdischen Frau aus Hamburg, beeindruckt, die von antisemitischen Erlebnissen ihrer Familie und Freunde berichtet – ihr Hauptziel solcher Gespräche mit Jugendlichen sei es, erzählt Teamerin Tamina, zu bewirken, dass es ganz normal ist, in Deutschland jüdisch zu sein. „Ja, dass man das gar nicht mehr so krass mit dem Holocaust verbindet“, ergänzt Finley, „sondern dass es ganz normal ist, denn jüdisch zu sein ist viel mehr als das.“
Hanna, Sara und Pheline sind sich einig, dass Geschichte nicht vergessen werden darf, damit man daraus lernen kann – „es gibt eine Verantwortung dafür, dass sowas nicht wieder passiert“, sagt Pheline. Denn: „Ja, es ist lange her, aber damals wurde so vielenMenschen das Leben genommen, diese Opfer müssen weiter geehrt werden“, sagt Sara und Hanna ergänzt: „Dass es lange her ist, das ist keine Rechtfertigung dafür, es einfach zu vergessen. Die Namen der Menschen dürfen nicht vergessen werden.“ Und das JugendCamp sorgt dafür, dass einige der Namen und Begebenheiten nicht vergessen werden und dass die Menschen sich weiter erinnern, ein kleiner Baustein dafür, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.


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