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Reporter Eutin

Schlaglichter auf eine abwechslungsreiche Landes- und Regionalgeschichte

Bild: L. Schneider

Plön (los). Wenn die Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte (GSHG) ihre Zeitschrift (ZSHG) herausgibt, erwartet die Leser ein ebenso kompaktes wie informatives Werk. So bietet auch die jüngste Ausgabe als 147.-ster Band der ZSHG mit 480 Seiten neun historische, auf das Land und die vergangenen 1200 Jahre bezogene Beiträge, die von „Historischer Gerechtigkeit“ bis hin zum „Contergan-Skandal“ reichen. Zahlreiche Informationen, die als Rezensionsteil mit kritischen Würdigungen aktueller Veröffentlichen Hintergründe, Arbeitsweisen und Richtlinien umfassend beleuchten, runden den Inhalt ab. Der Plöner Historiker Prof. Detlev Kraack stellt den aktuellen Band vor.
Die GSHG hat sich der Geschichtswissenschaft verschrieben. Ihr Ziel ist die Publikation von Ergebnissen. So richtet ihre Zeitschrift Schlaglichter auf neue Erkenntnisse in der historischen Forschung. Ihr Arbeitsfeld: Das Land zwischen den Meeren. Dabei verkörpert die 1833 in Kiel gegründete GSHG selbst ein Kapitel schleswig-holsteinischer Kultur- und Bildungsgeschichte. Ihre Anfänge beschreiben ein Kapitel dänisch-deutscher Geschichte. Erster Schirmherr war der dänische König Friedrich VI. (1768-1839, reg. seit 1808). Und so hat die GSHG zunächst „Schleswig-Holstein-Lauenburgische Gesellschaft für vaterländische Geschichte“ geheißen. Seit 1870 hat sie ihre Vereinszeitschrift herausgegeben, die damalige „Zeitschrift der Gesellschaft für die Geschichte der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg“. Bereits König Friedrichs Nachfolger, König Christian VIII. (1786-1848, reg. seit 1839), hatte keine Ambitionen mehr gezeigt, sich für die GSHG einzusetzen. Zu Plön, seiner Sommerresidenz, hatte der dänische Monarch jedoch einen besonderen Bezug. Das 1633 bis 1636 erbaute ziegelrote Backsteinschloss erhielt um 1840 seine weiße Fassade mit dunklem Schieferdach.
Die thematische Vielfalt der ZSHG verspricht viel Abwechslung und Lesespaß. So bietet eine Reihe von Gedichten auf ein fürstliches Hochzeitspaar, das in Dresden feierte, ungewöhnliche Einblicke in eine politisch motivierte Ehebeziehung im Barockzeitalter. Und dass Eheverträge keine brandneue Erfindung sind, zeigt sich in einem Beitrag zur Ehe Friedrich Christians II. von Augustenburg mit einer dänischen Prinzessin im 18. Jahrhundert.
Ein Aufsatz über Uwe Jens Lornsen (1793-1838), seinerzeit ein dänischer Beamter, wirft ein Licht auf das damalige Rechtsverständnis. Lornsens Vergehen: „Er denkt darüber nach, wie der damals die Herzogtümer Schleswig und Holstein umfassende dänische Gesamtstaat besser zu organisieren wäre“, schildert Detlev Kraack das Drama. Lornsens Lebenslauf entwickelt sich tragisch: „1830 wird er wegen seiner Veröffentlichungen gefangen gesetzt, weil er sich über die Verfassung Gedanken gemacht hat.“ Lornsen muss die harten Folgen ertragen. Von schweren Depressionen gezeichnet begeht er bei Genf Suizid.
Schleswig-Holstein war nach dem deutsch-dänischen Krieg preußische Provinz geworden. In diesem Staatsapparat wurde das „Amt des Landeshauptmanns“ geschaffen, das es heute nicht mehr gibt. Die beiden letzten ihrer Zunft, Otto Röhr und Dr. Wilhelm Schow, stellt die ZSHG vor. Und es gibt weitere „Personalien“: Der Öko-Landwirt Baldur Springmann (1912-2003), Sohn eines Industriellen, „war in allen möglichen Parteien, Initiativen und Bewegungen“, erläutert Detlev Kraack. „Ein Grüner der ersten Stunde.“ – einerseits. Die andere Seite, das wurde im Text ausgearbeitet, offenbare eine Art völkisches, „fast faschistoides Denken“. Grundlage des Aufsatzes bilden unter anderem verschiedene Interviews sowie das Bundes- und das NDR-Archiv.
Der Beitrag zum Contergan-Skandal bildet ab, wie schwer es den staatlichen Akteuren ganz offenbar fällt, sich grotesken Fehlleistungen im Gesundheitswesen und zugrunde liegenden Unsachen in Arzneimittelentwicklung und –vermarktung zu stellen. „Die Betroffenen wurden bis heute nicht adäquat entschädigt“, unterstreicht Detlev Kraack. Mit dem Beitrag sei die Contergan-Geschichte „und wie man damit umgegangen ist“ für Schleswig-Holstein zum ersten Mal gründlich aufgearbeitet worden, etwa in Bezug auf Geld, Schule und Ausbildung. Der Arzneimittelskandal wurde 1961/62 aufgedeckt. Die Einnahme des Mittels Contergan durch Schwangere führte zu schwersten Fehlbildungen bei Säuglingen, die zum Teil ohne Gliedmaßen geboren wurden. Es gab zahlreiche Totgeburten. Dokumentiert ist auch, dass es im Vorfeld Versuche mit Kindern gegeben hat (ARD, 18. August 2020).
Für das Titelblatt ihrer Zeitschrift hat die GSHG ein historisches Bild von Helgoland gewählt. Der dazugehörige kommentierte Bericht Detlev Kraacks ist 1806 angesiedelt.
Ein Gruppe Schleswig-Holsteiner, alte Studienfreunde, unternehmen von Husum aus eine „Visitationsreise“ auf die Hochseeinsel. „Es ist eine Art Freizeitreport von damals“, erläutert Kraack, der auf die Persönlichkeiten näher eingegangen ist. Gerade in der Authentizität des damals beschriebenen Erlebten liege der Wert der Information, die einen unverfälschten Einblick in die damalige Welt ermögliche. So besteht die Chance als Leser mitzuwandern um den „großen Felsen“ und dieser prickelnden Herausforderung nachzuspüren. Denn nur für kurze Zeit lässt der Tidenhub dieses Abenteuer zu. Aber auch die gefährliche Anreise mit dem Segelboot über die Nordsee, Ärger mit ungünstigen Windrichtungen und Andeutungen über die Liebesbeziehung einer „Haushälterin“, die auf dem Törn für die Verköstigung des Männertrupps sorgt, heben den Aufsatz als lebensnahe Schilderung in besonderer Weise heraus. Durch die Augen der Reisenden wird deutlich, wie es um die Mentalität der Helgoländer, ihre Konflikte und Gepflogenheiten bestellt ist.
Das Titelbild, ein Stich von 1713 aus der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek, zeigt Helgoland mit deutlich größeren Ausmaßen als heute. So sind Reste des Weißen Kliffs im Bereich der Helgoländer Düne erkennbar. Dass es verschwand, ist regem Tagebau zu verdanken: „Vor allem die Hamburger haben ihre Stadt mit Mörtel vom Witte Kliff erbaut“, erzählt Detlev Kraack.
Den Anlass für das Thema Helgoland liefert der „Big Bang“ vor 75 Jahren. Nach dem Krieg versuchten die Briten, die Bunkeranlagen auf der Insel mit einer gewaltigen Ladung Sprengstoff in die Luft gehen zu lassen. Deshalb hatten alle Helgoländer 1947 ihr Zuhause verlassen müssen. Helgoland gehört seit 90 Jahren zu Pinneberg. Mit 61,3 Metern über NN ist die Insel sogar die höchste Erhebung des Landkreises. Dieser „Pinneberg“ ist im übrigen dem „Big Bang“ zu verdanken, da durch die Exlosion aufgeworfenes Material ihn am Rand des Sprengkraters formte. Erst1952 kehrten die Insulaner zurück.
Dem Thema „Historische Gerechtigkeit“ hat sich der Kieler Rechtshistoriker Prof. Dr. Ino Augsberg verschrieben. Er beschäftigt sich u.a. mit dem weitsichtigen Sozialdemokraten Gustav Radbruch (1878-1949). „Radbruch war von den Nationalsozialisten als erster deutscher Professor aus dem Staatsdienst entlassen worden“, erzählt Detlev Kraack. Zuvor lehrte der Jurist in Kiel und Heidelberg und hatte zudem als Reichsminister der Justiz 1919-1926 großen politischen Einfluss gehabt. „Radbruch war seiner Zeit voraus“, so Kraack weiter, „er hatte die Zeichen der Zeit erkannt“.
Auf Schleswig-Holstein bezogen beginnt Geschichtsschreibung im Wesentlichen in fränkischer Zeit, so dass die Zeit vom frühen Mittelalter bis in die jüngste Vergangenheit den chronologischen Rahmen für die Beiträge in der ZSHG bilden. Ein Aufsatz beschäftigt sich auf dem Gebiet der Namensforschung mit dieser Epoche vor rund 1200 Jahren, aus der es nur wenige schriftliche Quellen gibt. Doch Namen förderten die hiesigen örtlichen Bezüge zur Karolingerzeit zutage. So sind die Namen Cuxhaven, Otterndorf und Esesfeld (bei Itzehoe) fränkischen Ursprungs. In dem Gebiet existierten im frühen Mittelalter drei Gaue nördlich der Elbe, die von den Karolingern im Rahmen der Eroberung Sachsens in ihre Herrschaft einbezogen wurden. Die genutzten Wasserwegenetze werden auf der Karte nachvollziehbar: „Der Zugang der Karolinger nach Nordelbingen erfolgte über Elbe und Stör“, erläutert Kraack. Stade, das ein bedeutender Knotenpunkt gewesen ist, liegt fast gegenüber der Mündung der Stör in den Elbfluss. Karl der Große ließ die Burg Esesfeld 809 n. Chr. an der Stör erbauen. Denn auch gegen skandinavische Krieger mussten die Karolinger und ihre Verbündeten sich behaupten. Entsprechende Abgrenzungsfragen stellten sich bezüglich des slawischen Siedlungsraums, so Kraack. Der nur locker bzw. unbefestigte „Limes saxoniae“, eine wenig besiedelte Ödland- und Niederungszone, teilte als „sächsische Grenze“ das Frankenreich von den östlichen slawischen Gebieten ab. Sie verlief laut Adam von Bremen (Hamburger Kirchengeschichte, um 1075 n. Ch.) unter anderem entlang der Alten Schwentine zwischen Bornhöved und Preetz.
Mit der Eroberung Sachsens hatte Karl der Große bereits 772 begonnen. Während das im Gebiet südlich der Elbe nach zähem Ringen gelungen war, blieb die Lage nördlich des Flusses schwierig. Nach Auskunft der fränkischen Reichsannalen besiegten die Franken im Bunde mit den in Teilen bereits zum Christentum übergetretenen slawischen Abodriten im Jahr 798 die heidnischen nordelbischen Sachsen auf dem „Sventanafeld“, dem Schwentinefeld bei Bornhöved.
Der fränkische Burgenbau an der Stör könnte Karls Pläne zur Ausdehnung seiner Herrschaft bis an die Eider andeuten. Sowohl die Hammaburg (Hamburg) als auch die Burg Esesfeld bei Itzehoe gelten überdies als bedeutsam für die Durchsetzung der christlichen Missionierung nördlich der Elbe seit dem 8. Jahrhundert. Am Großen Plöner See ist diese erst im 12. Jahrhundert durch Bischof Vicelin erfolgt.


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