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Reporter Eutin

„Er kann so nicht Bürgermeister werden!”

Bild: A. Jabs

Eutin (aj). Einen Stilwechsel hatte er angekündigt, Transparenz versprochen, Vertrauen genährt. Jetzt ist klar: Christoph Gehl, Ortsvorsitzender der Eutiner SPD und der neugewählte Bürgermeister der Stadt steht vor dem Scherbenhaufen dieses (Selbst-)Bildes: Als Schatzmeister des SPD-Kreisverbandes hat er seit 2020 nach bisherigen Erkenntnissen 43 911,93 Euro vom Parteikonto abgehoben - für private Zwecke.

Es war Zufall, dass diese fortgesetzte Untreue am letzten Samstag ans Licht kam und die Erschütterung über die Täuschung sitzt tief beim Kreisvorsitzenden Niclas Dürbrook, seiner Stellvertreterin Gabriele Freitag-Ehler und dem Fraktionsvorsitzenden Uwe Tewes. In einem Pressegespräch erklärten sie am Mittwoch, was über die Vorgänge bekannt ist und formulierten die Forderung nach einem Verzicht Gehls auf das Amt des Bürgermeisters, das er am 1. August 2022 antreten würde.
 
„Am Samstag, den 9. April stellten wir bei der Durchsicht von Kontoauszügen Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in den Buchungen des SPD-Kreisverbandes für 2021 fest“, berichtete Dürbrook. Ein postalisch zugestellter Kontoauszug war Auslöser für den prüfenden Blick auf die Auszüge gewesen, die normalerweise vom Schatzmeister Christoph Gehl selbst in der Filiale abgeholt würden. „Wir haben ihn damit konfrontiert, und der Schatzmeister Christoph Gehl räumte am Sonntag, den 10. April ein, in den vergangenen Jahren rund 44.000 Euro vom Konto des Kreisverbandes abgehoben und privat verwendet zu haben“, so Dürbrook.
 
Christoph Gehl stellte in Aussicht, die volle Summe schnellstmöglich zurückzuerstatten. Er hat zwischenzeitlich 42.678,99 Euro an den Kreisverband überwiesen: „Damit ist der überwiegende Teil des finanziellen Schadens ausgeglichen“, konstatierte Dürbrook. Die Gründe für den Missbrauch seiner ehrenamtliche Aufgabe habe Christoph Gehl nicht genannt, eine finanzielle Notlage scheine ihm persönlich unwahrscheinlich, so Dürbrook, weil Gehl nach Aufforderung die Summe umgehend erstattet habe. Von seinem Amt als Schatzmeister ist Christoph Gehl am Montag zurückgetreten.
 
Es ist nicht die einzige Rücktrittsforderung: „Für uns ist klar: Mit dieser Vorgeschichte kann Christoph Gehl sein Amt als Bürgermeister von Eutin nicht wie vorgesehen am 1. August antreten. Wir fordern ihn daher auf, auf dieses Amt zu verzichten. Es erklärt sich von selbst, dass Christoph Gehl auch nicht Vorsitzender der Eutiner SPD bleiben kann“, so Dürbrook. Sollte Gehl am Bürgermeisteramt festhalten, läuft wohl alles auf eine Abwahl hinaus, legt er das Amt nieder, gibt es Neuwahlen. Das Ausmaß des Schadens auf politsicher und menschlicher Ebene ist immens: „Wir sind als SPD, aber auch persönlich als Kreisvorsitzende massiv getäuscht worden. Das erschüttert uns. Es ist bitter für die SPD Ostholstein. Und es ist noch bitterer für die Eutinerinnen und Eutiner, die Christoph Gehl am 20. März mit deutlicher Mehrheit ihr Vertrauen als neuer Bürgermeister geschenkt haben“, betont Gabriele Freitag-Ehlers.
 
Umgehend hat die Parteispitze die notwendigen Schritte in die Wege geleitet: Am Mittwoch hat eine Revision durch Mitarbeiter des Parteivorstandes stattgefunden. Dabei wurde eine Summe von 43.911,20 festgestellt. Demnach wurden in 2020 19.403,95 Euro, in 2021 14.726,60 Euro und in 2022 9.780,65 Euro entwendet. Diese Zahlen werden jetzt der Bundestagsverwaltung mitgeteilt. Die Bundestagsverwaltung wurde bereits am Dienstag informiert, weil davon auszugehen ist, dass für 2020 ein fehlerhafter Rechenschaftsbericht abgegeben wurde.
 
Die privaten Abhebungen waren nicht früher aufgefallen, weil der Rechenschaftsbericht 2020 coronabedingt von den Revisoren nicht geprüft werden konnte: „Das ist aus heutiger Sicht eine Schwachstelle, entsprach aber den damaligen Regelungen, die nicht nur für uns galten“, erläutert Dürbrook. Christoph Gehl wurde im August 2019 zum neuen Schatzmeister des Kreisverbandes gewählt. Als Schatzmeister war er alleinverfügungsberechtigt für die beiden Konten des Kreisverbandes. Anders als in anderen Parteien ist der hauptamtliche Mitarbeiter bei uns in Ostholstein nicht mit Kontoangelegenheiten betraut. Normalerweise erfolgt mit dem jährlichen Rechenschaftsbericht eine gründliche Überprüfung der Kassenführung durch die Revisoren. Der erste Rechenschaftsbericht in seiner Verantwortung für 2019 ist ohne jede Beanstandung gewesen: „Wir haben ihm vertraut“, sagt Niclas Dürbrook. Empfohlen hatte Uwe Tewes den Genossen für das Amt: „Ich bin geschockt“, sagt der Fraktionsvorsitzende. Man habe als SPD viel Energie in den Bürgermeisterwahlkampf gesteckt. Als Folge des Skandals hat die SPD unmittelbar die Zugänge bei der Sparkasse umgestellt. Künftig gibt es Onlinebanking mit mehreren Verantwortlichen, die direkten Einblick in die Konten haben.
 
Niclas Dürbrook unterstreicht: „Unsere Revisoren sind hochgradig kompetent und verantwortungsbewusst. In normalen Zeiten wäre ein solcher Vorfall über mehrere Jahre definitiv nicht möglich gewesen.“ Die Partei hat gegen Christoph Gehl Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft Lübeck gestellt: „Diese Entscheidung haben wir uns menschlich nicht leicht gemacht. Sie ist aber mit Blick auf den Umfang, über den wir sprechen, alternativlos.“


Das sagt Christoph Gehl
Auf reporter-Nachfrage möchte sich Christoph Gehl zum laufenden Verfahren erst nach juristischer Beratung äußern. Im Gespräch betont er: „Ich verstecke mich nicht und ich stehe zu meinen Fehlern. Gleichzeitig tue ich alles, um meine Familie zu schützen. Ich erhalte aber in Begegnungen in der Stadt auch Zuspruch und ich werde um das Amt des Bürgermeisters kämpfen.“ Eine ausführliche Stellungnahme werden Sie in der Mittwochs-Ausgabe des reporters lesen.


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