Marlies Henke

Kauft Übersee-Kaffee! – Oder: Wie Werbung glücklich machen kann

Frohe Weihnacht!

Frohe Weihnacht!

Eine Weihnachtsgeschichte von Marlies Henke
 
Ich bin Mitte der 60er Jahre in der Hansestadt Bremen geboren und heute Redakteurin an der Ostsee beim reporter. Mein Geburtsort ist wie Hamburg eine Kaffeestadt. In Bremen gibt es unzählige Röstereien, Kaffeefabriken und -manufakturen, und das nicht erst seit Baristas und komplexe Brühtechniken en vogue sind, sondern seit mehreren Generationen.
 
Es sollen mal über 500 Röstereien existiert haben, hab ich gelesen. Jacobs Kaffee, gegründet 1895, Kaffee Hag (1906), Melitta (1919), Ogo-Kaffee (1928), Lloyd-Kaffee (1930) oder Münchhausen (1935) sind nur einige der Traditionsnamen, die sich ebenso wie der permanente Duft von frisch gemahlenem Kaffee durch meine gesamte Kindheit zogen. In meinen kleinen Ohren klangen Worte wie Verwöhnaroma, Hochgenuss, Goldmocca oder ‚vollmundig vollendet‘ nach verheißungsvollem Erwachsenendasein. Sie mögen meinen beruflichen Weg beeinflusst haben. Und vielleicht kommt daher auch mein Faible für alte Kaffeedosen. Die haben mich jedenfalls schon als kleines Mädchen fasziniert.
 
Alle Tanten, meine Omas, meine Mutter besaßen ganze Sammlungen von solchen Dosen, die schon Vintage waren, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Jedes Jahr brachten die Röstereien Sondereditionen in neuen Formen mit zauberhaften Mustern, Bildern und Farben heraus. Und wenn der Kaffee aufgebraucht war, blieben die Dosen als Vorratshüter für andere Leckereien weiter in Gebrauch. Wir Kinder waren ganz wild darauf, unsere Nasen in die mit Weihnachtsgewürzen gefüllten Blechdosen zu stecken. Oder am Samstagnachmittag mit einer Dose voller Kekse in Tante Mariechens Stube auf die nächste Folge Daktari zu warten, während die Alten nebenan Zigarren rauchten und Kaffee mit Cognac tranken.
 
Kurz: Ich liebte diese alten Dosen und tue es immer noch. Wenn mir heute eine auf dem Flohmarkt oder beim Trödler ins Auge springt, muss ich sie einfach haben. So, wie vor einigen Wochen, als ich eine im Internet entdeckte. Eine rote Schatulle der Marke Übersee-Kaffee. Der alte Werbeslogan „Der Kenner aber lächelnd spricht: Übersee Kaffee - ander‘n nicht!“ erklang in meinen Ohren. Ich schlug zu, überwies online acht Euro und bekam umgehend vom Verkäufer eine Sendungsnummer. Einige Tage später erreichte mich vom Paketdienst per E-Mail die Nachricht: „Paket wurde zugestellt.“
 
Das Problem war nur: Ich hatte das Paket gar nicht bekommen. Es war weder bei mir zuhause, noch bei Nachbarn abgegeben worden. Es gab keinen Zettel im Briefkasten, auf dem man mir mitteilte, wann und wo ich das Paket abholen sollte, noch war es an einem plausiblen Abstellort rund um unser Haus zu finden. Ich rief beim Paketdienst an. Dort sagte man: „Paket wurde zugestellt.“ Ein längeres Nachforschungsprozedere ersparte ich meinen Nerven. Ich war enttäuscht, dachte aber: „Selbst Schuld. Warum musstest Du auch in der Vorweihnachtszeit etwas im Internet bestellen. Das Paket muss irgendwo abgestellt und dann geklaut worden sein. Pech gehabt.“ Nach einer Weile vergaß ich das Ganze.
 
Einige Wochen später, letzten Montag, kam ich spät von der Arbeit nach Hause und ließ mich dann noch eine Weile vom Fernseher berieseln, als mir, keine Ahnung warum, die Dose wieder durch den Kopf ging. Es konnte doch nicht wahr sein, dass das Paket wie vom Erdboden verschwunden war. Guck nochmal nach, dachte ich, schlüpfte in Schuhe und Jacke, griff eine Taschenlampe und ging nach draußen. Es nieselte. Kalte Windböen peitschten ums Haus und ich kam mir ziemlich blöd vor, wie ich da im Dunkeln herumtappte. Plötzlich erschrak ich. Da war ein Rascheln! Ein Schatten! Auch der Hund vom Nachbarn schlug an. Okay, sagte ich mir, jetzt dreh nicht durch, wer kommt schon auf die Idee, sich jetzt hier herumzutreiben. Ich ging beherzt weiter und schwenkte die Taschenlampe wie einen Blindenstock hin und her. Und tatsächlich: An einer abgelegenen Stelle unseres Grundstücks war ein kleiner Klapptisch aufgestellt, den ich im Herbst für den Sperrmüll an den Zaun gelehnt hatte. Und auf diesem Klapptisch lag ein Paket. Für mich! Ich schnappte das vom Regen aufgeweichte Bündel und lief ins Haus.
 
Es war meine Kaffeedose! Ich hielt die kleine rote Schatulle fassungslos und glücklich in meinen zitternden Händen. Auf einmal wieder ein Rascheln. Ganz leise. In der Dose schien etwas zu sein. Ich nahm den Deckel ab und fand ein gefaltetes Stück vergilbtes Pergamentpapier. Ich öffnete es und las den in Sütterlin geschriebenen Aufdruck: „Frohe Weihnacht wünscht Übersee-Kaffee“. Ach, Werbung, dachte ich, was für ein liebenswerter Weihnachtsgruß aus der Vergangenheit. Und was für eine Geschichte. Sie ist übrigens wahr. Und ich finde, sie passt wunderbar in diesen reporter. In diesem Sinne: Frohe Weihnacht!


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