

Neustadt. Im Kreis Ostholstein werden ab sofort nur noch werdende Mütter ab
der 32. Schwangerschaftswoche oder mit Kindern, deren erwartetes Geburtsgewicht
bei mindestens 1500 Gramm liegt, in einer Klinik aufgenommen. Die Versorgung
sogenannter Frühchen, also Kinder mit geringerem Geburtsgewicht, ist damit im
gesamten Kreisgebiet nicht mehr gegeben. Nachdem 2014 die Sana-Klinik in
Oldenburg die Geburtshilfe eingestellt hatte, zog nun die einzig verbliebene
Geburtshilfestation, die der Sana-Klinik in Eutin, mit der Absenkung des
Perinatal-Status nach. „Die Nichtversorgung von Frühchen und werdenden Müttern
im Kreisgebiet kann für die Kinder und ihre Familien eine Katastrophe
darstellen“, erklärt Martin Liegmann, Kreisgeschäftsführer des Deutschen
Kinderschutzbundes (DKSB) in Ostholstein.
„Mit einem eigenen Pkw und sozial integriert mag man ja auch von Kirchnüchel
oder Grömitz nach Lübeck kommen und beispielsweise den Klinikaufenthalt des
Neugeborenen über sechs oder acht Wochen bewältigen können – pendelnd zwischen
Wohnort und Universitätsklinikum“, gibt Martin Liegmann zu bedenken. Doch für
Familien mit verschiedenen Problemlagen wie psychische Erkrankungen, schlechter
sozialer Integration, Arbeitslosigkeit, Gewaltkreisläufen und ohne eigenen Pkw
sei es schlicht nicht möglich, die Versorgung von Geschwisterkindern
sicherzustellen, den lebensnotwendigen Kontakt zum Frühchen zu halten und die
evtl. notwendige medizinische Versorgung der Mutter zu gewährleisten. „Damit
sind diese Familien überfordert und es gibt kein Netz, das sie auffangen kann“,
macht der DKSB-Geschäftsführer die Situation der betroffenen Familien klar.
Das Kieler Sozialministerium hat für den Kreis Ostholstein das sogenannte
Boarding-Konzept übernommen: Schwangere sollen 14 Tage vor dem erwarteten
Geburtstermin in unmittelbarer Nähe zur Geburtsklinik unterkommen,
Geschwisterkinder und Lebenspartner sollen dabei sein können. „Leider ist diese
Idee in der Umsetzung nicht zu Ende gedacht worden. Benötigen weitere
Familienmitglieder sozialpädagogische oder andere Hilfen und gehen die
Geschwisterkinder zur Schule, stehen die Familien und auch die
Hilfeinstitutionen vor häufig unlösbaren Schwierigkeiten“, berichtet Martin
Liegmann aus der Praxis.
Der Kinderschutzbund ist im Kreisgebiet Träger von vier der sieben
Familienzentren. Weil im Kreisgebiet zu wenige Hebammen ambulant arbeiten,
bieten die Familienzentren zentrale Hebammen-Sprechstunden an. Das besondere
Vertrauensverhältnis von Hebamme zu werdender Mutter ist für einen wirksamen
Kinderschutz von großer Bedeutung, weil der Zugang zu unterstützungsbedürftigen
Müttern und ihren Familien schwierig ist. „Die zentralen Sprechstunden sind auch
als Türöffner für Hilfsangebote gedacht“, betont Silke Hüttmann,
DKSB-Bereichsleiterin für die vom Kinderschutzbund getragenen Familienzentren,
den präventiven Ansatz. Der Ausbau der Frühen Hilfen im Kreisgebiet ist aus
Sicht des Kinderschutzbundes sehr gut vorangekommen. „Und in den Familienzentren
sehen wir die Auswirkungen für die betroffenen Kinder und Mütter sowie ihre
Familien durch die Klinikschließung in Oldenburg und den abgesenkten
Perinatal-Status in Eutin sehr deutlich. Die Versorgung muss dringend wieder
verbessert werden“, zeigt sich Silke Hüttmann sehr besorgt.
„Aus unserer Kinderschutzarbeit wissen wir, dass Frühe Hilfen wie
beispielsweise die Hebammen-Sprechstunde im Familienzentrum eine sehr wichtige
Prävention zum Schutz der Kinder ist. Daher ist der Kinderschutzbund
Kreisverband Ostholstein gemeinsam mit den DKSB-Ortsverbänden Heiligenhafen und
Eutin Träger von Familienzentren. Doch bestehende Hilfen können für sehr junge
Mütter oder Mütter mit einer komplexen Problemlage die nun entstandene Situation
nicht ausgleichen, darüber muss man dringend reden“, so Martin Liegmann.
Die Anzahl der neugeborenen Kinder ist im Kreis Ostholstein in den
vergangenen Jahren dramatisch gesunken, in der Folge begann ein institutioneller
Rückbau von (Hilfs-)Angeboten für Kinder und Jugendliche im Kreisgebiet. Die
Entwicklung kehrt sich jedoch seit 2014 um, das Statistische Bundesamt meldet
steigende Geburtenraten, weil nun die Kinder der sogenannten
Babyboomer-Generation Familien gründen. „Wir weisen mit großem Nachdruck darauf
hin, dass einmal eingestampfte Angebote fast nicht wieder herstellbar sind, weil
die Fachleute abwandern und die notwenige Infrastruktur zerstört ist. Das Land
soll den Kernsatz ‘gleiche Lebensbedingungen überall in Schleswig-Holstein‘
ernst nehmen, und die Versorgung für Frühchen und werdende Mütter vor der 32.
Schwangerschaftswoche auch in Ostholstein mit Finanzhilfen oder auf einem
anderen, praktikablen Weg ermöglichen“, fordert Martin Liegmann. (red)