

Neustadt. Mit einer Kranzniederlegung und einer Andacht wurde am vergangenen Sonntag auf dem Gelände und im Pastorat der Ameos Einrichtung der Euthanasie-Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Seit vielen Jahren findet diese Veranstaltung am 27. Januar statt, dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
Es ist ein düsteres Kapitel der deutschen Geschichte, in dem es auch um die Ermordung von etwa 250.000 psychisch kranken und behinderten Menschen geht. Allein in Neustadt ließen die Nationalsozialisten die damalige Heil- und Pflegeanstalt räumen und etwa 1.000 Patienten in Tötungsanstalten bringen.
„Wer im rechten Moment keinen Retter fand, wurde abtransportiert und ermordet“, berichtete der evangelische Krankenhausseelsorger Pastor Stefan Kramer. Dabei sei Rettung durchaus möglich gewesen: „Sie gelang nicht in allen Fällen, aber doch in den meisten. In den allermeisten Fällen aber wurde sie gar nicht erst versucht. Man wollte dem bösen Märchen vom gnädigen Tod glauben. Außerdem hat der Staat hinter der Maßnahme gestanden, also hinterfragte man sie nicht.“
Es gab keine Lobby für die Pfleglinge, Rettung war vor allem Familienangelegenheit. Mit Einwänden rechneten die Vordenker der Aktionen. „Sofern tatsächlich einmal Widerstand auftrat, reagierte die politische Führung sensibel und beschwichtigend. Man wollte keinen öffentlichen Skandal“, erläuterte Pastor Kramer. Häufig wurden die Patienten dann verschont. Dennoch habe es weniger Proteste gegeben als erwartet. In Neustadt sei kein einziger Fall überliefert.
Damit das damalige Unrecht nicht in Vergessenheit gerät, wurde der Opfer mit Musik und in der Stille gedacht. Zudem ging Pastor Stefan Kramer anhand verschiedener utopischer Geschichten der Frage „Was wäre, wenn?“ nach.
Als Beispiele führte Pastor Kramer eine Traumsequenz aus dem umstrittenen Kinofilm „Korczak“ an, in der Waisenkinder kurz vor der Ankunft im Vernichtungslager wundersam gerettet werden. Oder den Roman „Die Blechtrommel“ von Günter Grass, in dem sich der Vater weigert, seinen Sohn, dem Sonderling und Außenseiter Oskar, zur Euthanasie an die Nazis auszuliefern. Zudem trug Kramer eine eigens erfundene „Fantasie“ vor über einen Bauersohn aus Groß Schlamin, der durch das energische Handeln seines Vaters in letzter Sekunde vor dem Abtransport und seiner Ermordung gerettet werden konnte.
„Man möchte Geschichten erfinden, weil die Geschichte so unfassbar ist“, sagte Kramer. Er betonte: „Auch utopische Momente haben ihre Berechtigung. Denn dass sie schön sind und dass sie nicht wahr sind, macht die Fallhöhe so ungeheuerlich und unsere Traurigkeit um so größer.“ (he)