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Nicole Hagen

Teilhabe erfahren und Selbstbestimmung leben – Karl-Schütze-Heim feierte Jubiläum

Merkendorf. Behutsamer Wandel, geprägt von fachlicher Kompetenz und liebevoller Betreuung - so könnte man die Entwicklung des Karl-Schütze-Heims in Merkendorf auf den Punkt bringen. Am letzten Samstag feierte die Einrichtung des Hamburger Lebenshilfe-Werkes ihr 50-jähriges Bestehen. In Kombination mit dem alljährlichen Sommerfest erlebten Gäste, Bewohner und Mitarbeiter einen Tag voller Freude und interessanter Geschichten und Geschichte.
 
Viele Gäste staunten nicht schlecht über den Werdegang des Hauses und den verschiedenen konzeptionellen Ansätzen in diesem halben Jahrhundert. Das Heim für Menschen mit Behinderung war zum Beispiel in den Anfängen vom anthroposophischen Gedankengut beseelt. Fernsehen und Radio waren tabu, stattdessen gab es Morgen- und Abendsingen, Eurythmie und biologisch-dynamische Landwirtschaft. In den 70er Jahren erhielt die Sonderpädagogik Einzug. Paare konnten zusammenwohnen, es gab Fernseher und erste Werkstätten, in denen die Bewohner arbeiteten. „Heute hat sich viel geändert. Inklusion und Personenzentrierung sind nur zwei Begriffe. Wir machen diese Riesenschritte hier immer mit“, sagte Einrichtungsleiterin Babett Ritzen im Gespräch mit dem reporter.
 
Vom privaten Landsitz zum Karl-Schütze-Heim
Ursprung der Einrichtung ist ein Herrenhaus, das ab 1920 diversen Eigentümern als Landsitz diente, bevor es ab 1937 als Erholungsheim von der Stiftung „Hamburger Erholungsheim Merkendorf“ betrieben wurde. Im Zweiten Weltkrieg stand das Haus dem Hamburger Landesjugendamt zur Verfügung. 50 evakuierte Kinder waren darin untergebracht. Bei Kriegsende beschlagnahmte die britische Besatzungsmacht das Heim, die Kinder aber blieben dort wohnen. 1946 ging das Heim wieder an die Stiftung zurück und wurde Jugenderholungsheim der Stadt Hamburg, welche jedoch 1965 den Mietvertrag kündigte. Der damalige Vorsitzende der Hamburger Lebenshilfe Dr. Karl Schütze eröffnete in dem freigewordenen Herrenhaus eine Einrichtung für behinderte Kinder.
 
Prägend: Heimleitung und gesetzlicher Rahmen
Am 1. März 1966 wurde der Anthroposoph und Heilpädagoge Hubert Schnoor als erster Heimleiter des Karl-Schütze-Heims eingestellt. Im Herbst 1967 kam Hermann Michaelis, dessen Pädagogik von dem Gedankengut Rudolf Steiners geprägt war. 1976 trat der Diplom-Psychologe Nikolaus Müller die Nachfolge an und seit 2008 leitet Babett Ritzen die Einrichtung. Neben neuen pädagogischen Ansätzen änderten sich auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen beständig. „Die Änderungen in den letzten 50 Jahren basieren auf einen gravierenden Bewusstseinswandel in der Gesellschaft gegenüber den Menschen mit Behinderung. Nach Kriegsende war zunächst der Fürsorgegedanke maßgebend. Dann rückten die Bildung und die Förderung der Selbstständigkeit in den Fokus. Und heute geht es darum, die Bildung, die Arbeit und das Wohnen im Sinne von Inklusion zu entwickeln“, erklärte Jürgen Wurst vom Aufsichtsrat des Hamburger Lebenshilfe-Werkes.
 
Wichtig – die Menschen: Mitarbeiter, Förderer, Nachbarn und Bewohner
Dass die Geschichte des Karl-Schütze-Heims lebendig ist, machten am Jubiläumstag viele Menschen deutlich. Zum Beispiel die Bewohner, von denen einige schon viele Jahrzehnte in Merkendorf zuhause sind. „Ich lebe seit 47 Jahren im Karl-Schütze-Heim und fühle mich sehr wohl hier“, erzählte Jutta Seehase. Als Mitglied des Bewohnerbeirates leiht sie all denjenigen eine Stimme, die nicht für sich sprechen können. Vor Kurzem hat sich der Bewohnerbeirat auch mit Bürgermeister Rainer Holtz getroffen, um gemeinsam die Notwendigkeit einer Bedarfsampel an der Bushaltestelle in Merkendorf zu erörtern. „Das ist Inklusion! Der Bewohnerbeirat ist ein ganz wichtiges Gremium“, betonte Babett Ritzen. Wertschätzung erfuhren auch die 100 Mitarbeiter des Karl-Schütze-Heims: „Ihre Arbeit ist etwas ganz Wertvolles und Bedeutendes für die Menschen, die hier leben“, sagte Dr. Martin Schaedel. Auch die Nachbarschaft sei eine wertvolle Unterstützung und der Förderverein des Karl-Schütze-Heims: „Wir sind froh, dass wir den Förderverein an unserer Seite haben. Über viele Jahre hinweg hat er Autos beschafft, Ferienreisen ermöglicht und Therapien finanziert“, so Dr. Schaedel.
 
Karl-Schütze-Heim heute
Zurzeit bietet das Karl-Schütze-Heim in fünf Häusern 134 Wohnplätze für erwachsene Menschen mit Behinderung. Besondere Ausstattungsmerkmale sind das Bewegungsbad, der Entspannungsraum mit Musik-Wasserbett, der Sportraum sowie viel Freiraum auf der idyllisch gelegenen Anlage. Ungefähr die Hälfte der Bewohner arbeitet in einer Werkstatt für angepasste Arbeit. Die Assistenz der Bewohner erfolgt unter dem Leitgedanken der Inklusion. „Die Bewohner sollen Teilhabe erfahren und Selbstbestimmung erleben“, so Babett Ritzen. Besonders freut sich die Einrichtungsleiterin über den guten Beziehungen im Dorf: „Die Bewohner sind in der Dorfschänke Merkendorf gern gesehene Gäste und fühlen sich dort pudelwohl. Auf dem benachbarten Reiterhof sind die Bewohner willkommen, man trifft sich auf Spaziergängen durch das Dorf. Auch die Mehrzweckhalle wird durch unsere Sportgruppen genutzt.“
 
Die Entwicklung geht weiter
Im Karl-Schütze-Heim soll auch in Zukunft auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Bewohner reagiert werden. Wichtige Maßnahme ist dabei die Schaffung zusätzlicher Einzelzimmer. „Wir haben im Heim zurzeit noch zu viele Doppelzimmer. Da ist es manchmal nicht so einfach, die Privatsphäre jedes Einzelnen zu schützen. Da müssen wir ran!“, sagte Babett Ritzen. Die Einrichtungsleiterin hat auch schon eine Idee, denn einige Bewohner würden lieber in einer lebhafteren Umgebung leben und sind gerne in Neustadt. „Für diese Menschen wäre es toll, wenn wir auch eine Wohnmöglichkeit in Neustadt anbieten könnten. Wenn dann einige umziehen wollen, könnten wir hier in Merkendorf die Doppelbelegung von Zimmern abbauen.“ Diese Idee soll nun erst einmal mit dem Kreis und mit der Stadt Neustadt besprochen werden. Ritzen: „Eines ist für die Mitarbeiterin jedenfalls klar: 50 Jahre Tradition sind kein Ruhekissen. Wir werden kreativ bleiben und Neues ausprobieren, damit Menschen mit Behinderungen noch besser selbstbestimmt am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen können.“ (he)


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