Marco Gruemmer

„Wir mochten uns vom ersten Tag an“ - Alte Freundinnen hatten sich aus den Augen verloren - Wiedersehen nach über 60 Jahren

Wiedersehen vor der Museumskneipe in Bökenberg: Hilda Revenstorf (lks.) und Christel Suhr.

Wiedersehen vor der Museumskneipe in Bökenberg: Hilda Revenstorf (lks.) und Christel Suhr.

Bökenberg. Von den Erzählungen her ist sie legendär, die Museumskneipe in Bökenberg. In den Nachkriegsjahren Treffpunkt für Generationen, später als Tanzlokal berüchtigt. In diesem Fall allerdings ein Ort für eine rührende Geschichte, die bewegt, die ans Herz geht und vor allem eines hat - ein Happy End.
 
Es ist im Mai 1945, als die damals 11-jährige Christel Suhr, geborene Wellm, in den furchtbaren Zeiten des Krieges mit ihrer Familie aus der Nähe von Danzig über die Ostsee die Flucht aus Ostpreußen antritt. Zunächst fährt das Schiff, an Bord waren neben ihr noch Mutter und Schwester (Vater war noch im Krieg), Bornholm in Dänemark an, dann Neustadt in Holstein. Nach einem dreitätigen Aufenthalt wurde die Familie in einen Zug verladen und nach Lensahn gefahren. Dort standen bereits Bauern mit ihren Pferdewaren bereit, um die ankommenden Flüchtlinge weiter Richtung Manhagenerfelde und Bökenberg zu kutschieren. Wer von den Einheimischen in der landwirtschaftlich gepägten Umgebung Wohnraum und Arbeit zur Verfügung stellen konnte, war bereit zu helfen. Die Familie Suhr allerdings wurde getrennt.
 
Während Christel Suhr bei Familie Hagen in Bökenberg untergebracht war, fanden Mutter und Schwester ein Haus weiter Platz. Als sich kurze Zeit später die Möglichkeit bot, gemeinsam bei Familie Boldt zu wohnen, war die Familie wieder unter einem Dach vereint.
 
Nach gut einem Jahr, Christel Suhr feierte mittlerweile ihren 12. Geburtstag, besuchte sie die Schule in Nienhagen und den Konfirmandenunterricht in Grömitz. Gut erinnert sie sich an das Jahr 1947, als sie als Schulkönigin „regieren“ durfte. In dieser Zeit war sie mit einem Mädchen befreundet, das aus dem nur einen Steinwurf entfernten Schwienhagen stammte. Christel Suhr und Hilda Revenstorf, geborene Buhrmann, lernten sich beim Spielen kennen. „Wir mochten uns gleich, waren sofort auf einer Wellenlänge und hatten viel Spaß miteinander“, erinnert sich Christel Suhr. Zusammen verbrachte man nahezu jede freie Minute.
 
Als auch Christels Vater aus dem Krieg nach Bökenberg kam, folgte für die Familie Suhr ein erneuter, innerörtlicher Umzug. Ihr neues Zuhause war das Gasthaus „Zur Eiche“ der Familie Knees. Später als Museumskneipe bekannt, herrschte dort reger Betrieb. „An der Seite lagen die Soldaten im Stroh, in der Mitte haben wir getanzt“, erzählt Hilda Revenstorf.
 
Arbeitsmöglichkeiten in Bökenberg, gelegen zwischen Lensahn und Grömitz, waren zu damaliger Zeit rar gesät und Familie Suhr zog es nach Lübeck. Zwar trafen sich die Mädchen noch einige Male, aber aufgrund der Entfernung verloren sie sich nach und nach aus den Augen.
 
Während Hilda Revenstorf ihr Leben weiterhin in Schwienhagen verbrachte, dort 1952 heiratete, legte Christel Suhr ihren Mittelpunkt in die Hansestadt. Dort baute sie mit ihrem Mann, mit dem sie 52 Jahre verheiratet war und der 2007 verstarb, ein Haus und wurde Mutter von drei Kindern. Ganz ließ die Vergangenheit sie jedoch nie los und gern dachte sie an die Jahre in Bökenberg zurück. Es war 2014, als Tochter Heidi Ziegfeld, zum damaligen Zeitpunkt wohnhaft in Bargteheide, sie zu einem Trip nach Grömitz einlud. Da das Wetter jedoch für einen Strandspaziergang nicht geeignet war, überredete Heidi ihre Mutter zu einem Besuch in Bökenberg. Vor der Museumskneipe wurden Fotos gemacht und Erinnerungen aufgefrischt. Wie der Zufall es will, liefen sie Familie Kröger, Besitzer des Hauses, sprichwörtlich in die Arme und man kam ins Gespräch. Schnell wurde klar, dass Krögers die Immobilie verkaufen wollten. Zwar spielten Heidi Ziegfeld und Ehemann Peter gerade mit dem Gedanken, sich ein Eigenheim in Italien zu kaufen, doch der Charme der Museumskneipe reizte beide. Nur wenige Monate später wechselte das Gebäude den Besitzer. Im Juni 2016 folgte nach umfangreichen Sanierungsarbeiten der Einzug von Familie Ziegfeld. Die Museumskneipe war jetzt ein Haus mit fünf Wohnungen.
 
Christel Suhr wohnte noch immer in Lübeck, nahm aber im Oktober 2016 das Angebot ihrer Tochter an, auch nach Bökenberg zu ziehen. Und so kam es, fast schicksalhaft, dass Christel Suhr wieder die Wohnung bezog, in der sie schon als junges Mädchen lebte, verbunden mit den Erinnerungen an ihre Kindheit und die Zeit mit Christel Revenstorf. Sie versuchte, in Bökenberg und Umgebung etwas über ihre damalige Freundin in Erfahrung zu bringen, leider ohne Ergebnis.
 
Erst ihr 84. Geburtstag, zu dem zwei Dorfbewohnerinnen eingeladen waren, und ein Spaziergang Richtung Schwienhagen brachte den Stein ins Rollen. „Da hinten wohnte meine Freundin. Was aus ihr wohl geworden ist“, sagte Christel Suhr ganz in Gedanken und erhielt als Antwort: „Ja, die Hilda Revenstorf, die lebt in der Grömitzer Höhe.“
 
Zunächst völlig überrascht, aber dennoch voller Freude, nahm Christel Suhr nach über 60 Jahren Kontakt zu Hilda Revenstorf auf. Nach einem ersten Telefongespräch kam es im Januar dieses Jahres zu dem erhofften Wiedersehen. „Es war ein wunderschönes Gefühl, wir haben uns einfach in den Arm genommen“, berichtet die 86-jährige Hilda Revenstorf von diesem emotionalen Moment.
 
Eine dermaßen lange Trennung soll es nun nicht mehr geben. Regelmäßige Telefonate oder gegenseitige Besuche haben sich beide fest vorgenommen. (mg)


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