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Holocaust-Zeitzeuge Manfred Goldberg besuchte Neustadt

Neustadt. Einen bewegenden Vormittag erlebten die Schülerinnen und Schüler des Küstengymnasiums am vergangenen Donnerstag, als der Holocaust-Überlebende und einer der letzten Zeitzeugen Manfred Goldberg nach Neustadt kam, um von seinen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg zu berichten. Das Interview führte die Journalistin Christina Mänz. Es wurde live auf dem YouTube-Kanal des reporter unter „derreportertv“ übertragen, wo auch viele weitere Menschen den Schilderungen des heute in England lebenden Goldberg folgten.

Zum ersten Mal wieder in Neustadt

Er habe lange überlegen müssen, ob er an den Ort zurückkehren wolle, an dem sein Leben vor 80 Jahren am seidenen Faden hing. Heute sei er froh, dass er diesen Schritt gewagt habe, denn die letzten Tage in Neustadt seien für ihn sehr wertvoll gewesen.

Der Todesmarsch über die Ostsee und der 3. Mai 1945

Für Manfred Goldberg war Neustadt nicht nur ein Ort des Schmerzes, sondern auch der Befreiung. Nach der Deportation ins Ghetto von Riga, der Zwangsarbeit in einem weiteren Lager und der Haft im Konzentrationslager Stutthof wurde er auf einem sogenannten Todesmarsch über die Ostsee in Richtung Lübecker Bucht verschleppt. Er befand sich gemeinsam mit rund 1.000 anderen Häftlingen – darunter seine Mutter und sein bester Freund – in großen Lastkähnen, von denen sich einige Häftlinge an den Strand von Neustadt retten konnten, wo sie erneut von den deutschen Soldaten gefangen genommen wurden.

Als Augen- und Ohrenzeuge nahm Goldberg vom Marinegelände in Neustadt aus den Beschuss und den Untergang der Cap Arcona und ihrer Begleitschiffe wahr – ein weiteres dramatisches Kapitel der letzten Kriegstage.

Kurze Zeit später erlebte er schließlich die Rettung durch britische Soldaten kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Der Geruch von Seegras und das Überleben

Manfred Goldberg schilderte mit klarer und gefasster Stimme das Erlebte: Er berichtete von der Gnadenlosigkeit der Nazis, vom Mord an seinem kleinen Bruder, vom Leben in Stutthof, davon, wie er es als 15-Jähriger schaffte, den Überlebenswillen nicht zu verlieren, und warum der Geruch von Seegras ihn immer an Neustadt denken lässt. „Meine Erinnerungen an damals sind völlig klar. Glücklicherweise kann ich sie nachts wegschließen und werde von ihnen nicht in meinen Träumen gequält“, sagte Goldberg. „In England habe ich Freiheit und Frieden gefunden“, berichtete er weiter. „Mir war immer wichtig, dass meine Kinder nicht die Kinder eines Opfers sind. Meine große Familie ist meine Rache an die Nazis, die mich und die Meinen ausrotten wollten.“

Erinnerung als Auftrag

Die gebürtige Neustädterin und Journalistin Christina Mänz hatte den Kontakt zu Goldberg gesucht und in den letzten Jahren eine Freundschaft zu ihm und seiner Familie aufgebaut. Sie konnte ihn auch für das Live-Interview im Küstengymnasium gewinnen. „Manfred Goldberg ist ein Jahrhundertzeuge und ein Jahrhundertmensch. Er ist einer der besten Botschafter weltweit gegen Hass und Antisemitismus und für mehr Menschlichkeit“, sagte Christina Mänz über Manfred Goldberg.

Worte, die bleiben

Schulleiter Karsten Kilian dankte Manfred Goldberg für sein Kommen und versprach: „Diese Schüler werden nach dem heutigen Tag Ihre Geschichte mit sich tragen – so wie Sie die Erinnerungen und Geschichten der Verstorbenen getragen haben.“

Manfred Goldberg ist heute 95 Jahre alt und lebt mit seiner Frau in England. Er hat vier Söhne und mehrere Enkelkinder. Er ist einer der letzten Zeitzeugen der Gräueltaten der Nationalsozialisten und hat es sich in den letzten Jahrzehnten zur Aufgabe gemacht, darüber zu berichten – um die Erinnerung an das Geschehene wachzuhalten.

Appell an die nächsten Generationen

„Ich hätte nie gedacht, dass wir das, was wir jetzt erleben, wieder erleben würden“, sagte Goldberg. Darum sei seine Botschaft umso wichtiger: „Man darf niemals leise sein, wenn man Ungerechtigkeit bezeugt. Jede Lüge, die häufig genug und laut genug wiederholt wird, wird irgendwann geglaubt.“

Dagegen müsse man sich mit aller Kraft zur Wehr setzen. Als eine der größten Gefahren der heutigen Zeit sieht Manfred Goldberg die nahezu unkontrollierten sozialen Medien. Viele Menschen – gerade jüngere und leicht beeinflussbare – nutzten das Internet und soziale Netzwerke oft als einzige Informationsquelle. Das sei hochgefährlich und werde von den Betreibern dieser Plattformen schamlos ausgenutzt, mahnte er. (gm)

Das Interview auf „derreportertv

Der Livestream vom Besuch von Manfred Goldberg im Küstengymnasium bleibt auch weiterhin über den YouTube-Kanal des reporters auf  „derreportertv“ im Live-Sektor verfügbar.


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