

„Es war eine pechschwarze Nacht“, erinnert sich Manfred Goldberg an jenen Moment, als er in den frühen Morgenstunden vom 3. Mai 1945 das Ufer zwischen Neustadt und Pelzerhaken, ungefähr in Höhe vom Lotsenhaus erreicht. Er hatte überlebt. Verfolgung und Deportation, das Ghetto von Riga, Arbeitslager und das KZ Stutthof. Er hatte auch den maritimen Todesmarsch von Stutthof über die Ostsee bis eben in die Neustädter Bucht überlebt. Eine mörderische, entsetzlich grausame Überfahrt auf einem Lastkahn. Zusammengekauert mit fast 1.000 anderen ausgemergelten Häftlingen auf engstem Raum. Manfred Goldberg, damals 15 Jahre alt. Sohn polnischer Juden, geboren im hessischen Kassel.
Anfang Mai 2025 kehrt er nach Neustadt in Holstein zurück; zum ersten Mal nach 80 Jahren überhaupt. Manfred Goldberg, heute 95 Jahre alt. Ehemann, Vater von vier Söhnen, Großvater zahlreicher Enkel, Urgroßvater. Seitdem er Deutschland im September 1946 verlassen hat, lebt er in London.
Manfred Goldberg ist einer der letzten Holocaust-Überlebenden, einer der letzten Zeitzeugen, einer der letzten noch lebenden Stutthof-Häftlinge, der den Horror, auch den von Neustadt, überlebt hat. Er ist noch so viel mehr: ein kluger, gütiger Mensch, aufrichtig und liebenswert. Ein Mahner gegen das Vergessen, ein Botschafter für Mut und Mitmenschlichkeit. Ein Unermüdlicher mit einer Mission: Erinnert euch!
Er selbst erinnert sich an so vieles aus jener Zeit vor 80 Jahren: Daran, wie die Häftlinge von ihren SS-Bewachern Richtung Hafen getrieben wurden. „Jeder, der nicht mithalten konnte, wurde erschossen.“ Er erinnert sich an den Moment der Befreiung, am Ortsrand von Neustadt, als den Menschen in der gestreiften Häftlingskleidung erst britische Panzer und dann Lastwagen mit britischen Soldaten, Wasser und Lebensmitteln entgegenkamen. „Hurra, hurra, wir sind frei, wir sind endlich frei. Es war ein unbeschreibliches Gefühl von Glück und Freude.“ Und er erinnert sich an die erste Nacht, einquartiert in der Kaserne auf dem Wieksberg: „Wir schliefen nach Jahren zum ersten Mal in einem Bett mit Laken.“ Manfred Goldberg erinnert sich an so viel mehr: „Diese Jahre sind in einem Teil meines Gehirns abgespeichert, das einfach immun gegen das Altern ist.“
Er hat gezögert (verständlich), lange mit sich gerungen, nach Neustadt zurückzukehren. Dorthin, wo Freud und Leid, so dicht beieinander lagen. Er wird den Strand wiedersehen, an dem er damals anlandete, die Grabsteine jener Mithäftlinge, die in Neustadt zu Tode kamen. Er wird an einer Wiese an seine Monate im Genesungsheim Lensterhof denken, das dort einmal stand.
„Das wird eine sehr emotionale Reise“, sagt Manfred Goldberg, der sich langsam und über die Distanz Neustadt angenähert hat: erst in Gesprächen und Interviews, dann mit einer aufgezeichneten Rede für die jährliche Gedenkfeier im Mai 2023. Tage später ließ er sich per Zoom für einen Zeitzeugentalk mit Neustädter Schülerinnen und Schülern dazuschalten – und im folgenden Herbst darauf ein, die Türen seines Zuhauses in London für ein langes Interview zu öffnen. Es ist für das Neustädter Dokumentationszentrum bestimmt, das im Werden ist und wo auch seine Geschichte einen Platz finden wird.
Jetzt, genau 80 Jahre nach Kriegsende, am 8. Mai 2025, wird Manfred Goldberg zum ersten Mal seine Geschichte in einer deutschen Schule, im Küstengymnasium von Neustadt erzählen. Er wird mit seinem Herzen sprechen und nur sachte mit den Händen gestikulieren, an denen noch Narben von Arbeitslagern zeugen. Er kommt mit seiner Frau und einem seiner Söhne. Er kommt mit viel Vertrauen in die nächsten Generationen und mit der universellen Hoffnung auf ein „Nie wieder!“. Willkommen in Neustadt, Manfred Goldberg. Es wird uns eine Ehre sein.
Von Christina Mänz
Zeitzeugengespräch im Livestream:
Alle Interessierten können den Zeitzeugentalk per Livestream verfolgen. Das Gespräch findet am Donnerstag, dem 8. Mai ab 9.45 Uhr im Küstengymnasium statt. Der Livestream bietet auch anderen Schulen sowie interessierten Menschen die Möglichkeit, mitzuerleben, wie der 95-jährige Manfred Goldberg nach 80 Jahren zum ersten Mal an den Ort seiner Befreiung aber auch des großen erlittenen Leids zurückkehrt. Im Rahmen eines Zeitzeugentalks stellt er sich das erste Mal den Fragen der Schülerinnen und Schüler einer deutschen Schule.
Unter diesem Link findet der Livestream statt: