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Alexander Baltz

„Zukunft braucht Europa“ - Vaterländische Rede von Sebastian Schmidt

Sebastian Schmidt.

Sebastian Schmidt.

„Zukunft braucht Europa. Die Themenauswahl für die diesjährige Vaterländische Rede fiel mir leicht. In Neustadt in Holstein feiern wir neben dem 775-jährigen Stadtjubiläum das 30. Europäische folklore festival sowie 50 Jahre Europastadt Neustadt in Holstein. Darüber hinaus fanden im letzten Monat die Wahlen zum Europäischen Parlament statt.
 
Auch wenn Europa bereits 1979 von Harald Zeh und 1993 sowie 2004 von Günter Schulz im Mittelpunkt vergangener Vaterländischen Reden stand, ist das Thema heute gleichwohl aktuell. Ein Beleg dafür ist die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung bei der Europawahl. Meine Thesen zur Zukunft Europas möchte ich im Folgenden darstellen. Und Ihnen gebe ich vorab die Frage auf den Weg: Muss der Begriff Vaterland erweitert werden auf Vaterland Europa? Über die Zukunft kann man sich erst seriös Gedanken machen, wenn man einen geschichtlichen Blick zurück wirft.
 
Europa ist durch Mut entstanden. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg haben couragierte Staatsmänner wie Konrad Adenauer und Robert Schumann den Teufelskreis aus Hass und Krieg durchbrochen. Mit konkreten Schritten haben sie den Weg der europäischen Einigung eingeschlagen – gegen erbitterten Widerstand von Nationalisten mit ihren extremistischen Zielen. Davon profitieren wir bis heute. Nie zuvor gab es eine beständigere Phase des Friedens auf unserem Kontinent. Deutschland - in der Mitte Europas - hat dieser Einigung besonders viel zu verdanken. Europa ermöglichte dem westlichen Teil Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg die Rückkehr in die internationale Völkergemeinschaft. Erst Europa ermöglichte nach dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit.
 
Zusammengefasst: Die europäische Idee bleibt der bedeutendste politische Fortschritt des vergangenen Jahrhunderts: Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, wirtschaftliche Zusammenarbeit und politische Partnerschaft über nationale Grenzen hinweg.
 
 
Ich wurde 1993 geboren. Also nachdem 12 Länder in der holländischen Stadt Maastricht den „Vertrag über die Europäische Union“ unterschrieben hatten und vor der Einführung des Euro. Die D-Mark erinnere ich nur noch dunkel. Es schien alles geklärt und geregelt. Die Fragen, ob der Reisepass noch gültig ist oder noch Bargeld gewechselt werden muss, waren für mich sehr selten Bestandteil der Planung für eine Reise ins nahe Ausland.
 
Noch nie wurde mir an der Grenze durch eine Kontrolle das Gefühl vermittelt, verdächtig, anders oder gar nicht willkommen zu sein. Das Land ist ein Nachbarland. Die Menschen sind Nachbarn. Meiner Generation wurde ein geeintes Europa in die Wiege gelegt. Gerade deshalb sollten wir uns hüten, es als gegeben hinzunehmen.
 
Heute ist es ernste Aufgabe diese Errungenschaften zu bewahren. Dazu gehört, sich nicht nur über das komfortable Reisen zu freuen.
 
Alle Menschen – natürlich auch wir hier im Saal - können dafür sorgen, dass Europa auch in Zukunft zusammenhält. Dieser Zusammenhalt ist der Schlüssel um Zukunftsängste, Unruhen und krisenhafte Entwicklungen in einzelnen Mitgliedsstaaten zu begegnen. Er kommt nicht von selbst. Zusammenhalt in Europa setzt Verständigung voraus. Wir dürfen uns nicht ausschließlich von unseren kurzfristigen vermeintlichen nationalen Interessen leiten lassen. Gerade Deutschland als großes und wirtschaftlich starkes Land muss immer auch den Ausgleich zwischen den Mitgliedsstaaten und den Zusammenhalt des Ganzen im Auge haben.
 
Ein Zusammenwachsen der Völker Europas setzt eine schrittweise Angleichung der Lebensbedingungen voraus – in Deutschland ebenso wie in Finnland oder Griechenland, in Portugal wie in Polen. Im Mittelpunkt steht, dass alle Bürgerinnen und Bürger konkret erleben, dass Europa sie schützt und die Voraussetzungen dafür schafft, ein gutes und sicheres Leben zu führen.
 
 
Die Weltordnung, die wir bisher gekannt und an die wir uns gewöhnt hatten, besteht nicht mehr. Jahrzehntelange Allianzen werden im Twitter-Takt in Frage gestellt. Russlands Angriffe auf Völkerrecht und Staatensouveränität, die egoistische Politik des „America First“, genauso wie die aggressive wirtschaftliche Expansion Chinas lassen die Welt aus den Fugen geraten.
 
Es muss eine Europäische Souveränität geben, die es Europa ermöglicht als aktiver Akteur auf der Weltbühne für seine Werte und Lebensweise einzustehen. Die Stimme eines einzelnen Staates verhallt international. Die EU-Länder finden in der Welt nur gemeinsam Gehör. Nur mit einer gemeinsamen Stimme ist die Europäische Union auf der internationalen Bühne ein Partner auf Augenhöhe.
 
Europa darf nicht zum Spielball anderer werden. Es muss sein Schicksal ganz einfach stärker selbst in die Hand nehmen. In dieser Weltordnung muss sich Europa als Friedensmacht positionieren, die dann für eine solidarische Kooperation zur Gewinnung und dem Erhalt des Friedens steht. Die universelle Gültigkeit der Menschenrechte und die Teilhabe aller Menschen auch am Wohlstand dieser Welt gehören ebenfalls dazu.
 
Europa ist vielfältig. Der Schutz von Minderheiten ist innerhalb einer demokratischen Gemeinschaft Voraussetzung und Anliegen eines Rechtsstaats. Grundrechte stehen nicht zur beliebigen Disposition von Minderheiten, aber auch nicht von demokratisch gewählten Mehrheiten. Die Europäische Union darf es deshalb nicht zulassen, wenn Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene Rechte von Minderheiten in ihrem Kern beschneiden. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie zum Beispiel Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit müssen auf allen Ebenen entschlossen bekämpft werden. Wir Deutsche haben aus den Erfahrungen der Nazi-Diktatur gelernt: Deutschland feiert dieses Jahr 70 Jahre Grundgesetz.
 
 
Vaterland Deutschland und Vaterland Europa – geht das überhaupt?
 
Europa hat eine identitätsstiftende Quelle – einen im Wesen zeitlosen Wertekanon, der uns auf doppelte Weise verbindet, als Bekenntnis und als Programm. Wir Europäer versammeln uns für etwas im Namen Europas nicht um Monumente, die den Ruhm der einen aus der Niederlage der anderen ableiten. Wir versammeln uns für hohe Werte – für Frieden und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Menschenrechte und Bürgerrechte, für Wohlstand und Freizügigkeit, für Solidarität und Sicherheit, für Meinungsfreiheit und Pressefreiheit.
 
All diese europäischen Werte sind nicht nur ein Versprechen. Sie sind auch niedergelegt in Verträgen und garantiert in Gesetzen. Sie sind Bezugspunkte unseres Verständnisses – Grundlage dafür, dass Bürgerinnen und Bürger gleichberechtigt am gesellschaftlichen und politischen Leben teilhaben. Die europäischen Werte sind der verlässliche Kern Europas. Sie sind verbindlich. Sie verbinden.
 
Unsere europäische Wertegemeinschaft ist ein Raum von Freiheit und Toleranz. Sie bestraft Fanatiker und Ideologen, die Menschen gegeneinander hetzen, Gewalt predigen und unsere demokratischen Grundlagen untergraben. Sie gestaltet einen Raum, in dem die Völker friedlich miteinander leben und nicht mehr gegenseitig zu Felde ziehen. Ein Krieg wie noch vor kurzem auf dem Balkan, wo bis heute europäische Soldaten und zivile Kräfte den Frieden sichern müssen, so etwas darf nie wieder blutige Realität werden.
 
Von anderen Kontinenten zugewanderte Menschen wissen das Kostbare Europas oft in ganz besonderer Weise zu schätzen. Sie kennen Armut, Unfrieden, Unfreiheit und Unrecht in anderen Teilen der Welt. Sie erleben Europa als einen Raum des Wohlstands, der Selbstverwirklichung und in vielen Fällen auch als Schutzraum: vor Pressezensur oder staatlichen Internetsperren, vor Folter, vor Todesstrafe, vor Kinderarbeit oder Gewalt gegen Frauen oder vor der Verfolgung jener, die eine gleichgeschlechtliche Beziehung leben.
 
Der europäische Wertekanon ist nicht an Ländergrenzen gebunden und er hat über alle nationalen, ethnischen, kulturellen und religiösen Unterschiede hinweg Gültigkeit. Am Beispiel der in Europa lebenden Muslime wird dies deutlich. Sie sind ein selbstverständlicher Teil unseres europäischen Miteinanders geworden. Europäische Identität definiert sich nicht durch negative Abgrenzung vom anderen. Europäische Identität wächst mit dem Miteinander und der Überzeugung der Menschen, die sagen: Wir wollen Teil dieser großartigen Gemeinschaft sein, weil wir diese gemeinsamen Werte teilen. Mehr Europa heißt: mehr gelebte und geeinte Vielfalt.
 
Vaterland Deutschland und Vaterland Europa – geht das überhaupt? Ich sage ja.
 
Wir erleben es tagtäglich. Wir sind auch dann Europa, wenn wir zu Hause bleiben. Hier in Neustadt treffen wir auf Restaurantbesitzer aus Griechenland, Krankenpflegerinnen aus Spanien, Fußballspieler aus Italien. In den Betrieben, in den Geschäften arbeiten immer mehr Menschen, die ihre familiären Wurzeln in anderen Ländern haben und die, wenn sie religiös sind, in andere Gotteshäuser gehen als katholische und evangelische Deutsche. Europa ist längst mehr. Vielfalt ist Alltag in der Mitte unserer Gesellschaft.
 
Die großen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft: künstliche Intelligenz, Klimawandel, Migration und die wachsende Digitalisierung lassen sich nur europäisch gestärkt lösen. Welche Zukunftsaufgabe kann nationalstaatlich – also von einem einzelnen Land - angegangen werden? Keine. Die Antwort darauf ist Europa.
 
Wer glaubt, dass dieses Europa einfach so weiter läuft, der irrt. Dabei kommt es auf jeden Einzelnen an. Nur gemeinsam sind wir Europa. Dafür braucht es Mut. Der Kampf für unsere europäischen Werte wie Humanismus, Rechtsstaatlichkeit, die Würde des Menschen, Frieden und Freiheit, hört niemals auf. Deshalb braucht unsere Zukunft Europa.
 
Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit."


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