Marlies Henke

„Zur Menschenrechtsarbeit gehört ein langer Atem“ – 40 Jahre Amnesty International Neustadt

Heinke und Wolfgang Hafemann leben in Neustadt und sind Mitglieder im Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Im Rahmen ihrer Amnesty-Arbeit befassen sich die beiden auch mit Asyl- und Flüchtlingsfragen und bieten Beratungen für Asylsuchende an. Heike Hafemann engagiert sich außerdem in der Neustädter Frauenrunde. Wolfgang Hafemann ist Vorsitzender des Migrations-Forums Ostholstein. Für sein Engagement wurde er 2014 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Heinke und Wolfgang Hafemann leben in Neustadt und sind Mitglieder im Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Im Rahmen ihrer Amnesty-Arbeit befassen sich die beiden auch mit Asyl- und Flüchtlingsfragen und bieten Beratungen für Asylsuchende an. Heike Hafemann engagiert sich außerdem in der Neustädter Frauenrunde. Wolfgang Hafemann ist Vorsitzender des Migrations-Forums Ostholstein. Für sein Engagement wurde er 2014 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Neustadt. Seit mehr als 50 Jahren setzt sich Amnesty International weltweit für Menschenrechte ein. Im Jahr 1961 rief der britische Anwalt Peter Benenson diese Hilfsorganisation ins Leben. Gerd Ruge und Carola Stern zählten im selben Jahr zu den Gründungsmitgliedern in Deutschland. Mittlerweile gibt es sieben Millionen Mitglieder und Unterstützer in mehr als 150 Staaten. Im Jahr 1976 wurde in Neustadt die weltweit 1.237. Gruppe gegründet. Anlässlich des 40-jährigen Bestehens sprach der reporter mit den Sprechern der Gruppe Heinke und Wolfgang Hafemann.
 
der reporter: Wie ist die Gruppe entstanden? Von wem ging die Initiative aus?
Heinke Hafemann: Über die Gründung selbst ist leider wenig bekannt. Wir wissen, dass der 29. Juni 1976 der Gründungstag war und Pastor Werner Krabbes zu den Gründungsmitgliedern gehörte. Er war mein Konfirmationspastor und sagte 1978 zu uns: „Ihr beiden macht jetzt mit!“ Seitdem sind wir dabei. Die meisten von uns sind seit über 30 Jahren Mitglied. Das ist übrigens ein wesentliches Kennzeichen von Amnesty-Arbeit: Viele bleiben ganz lange dabei, denn leider gehört zur Menschenrechtsarbeit ein langer Atem. Heute sind wir eine kleine Gruppe mit sieben Mitgliedern.
 
der reporter: Mit welchen Fällen haben Sie sich damals beschäftigt und wie sieht die Arbeit heute aus?
Wolfgang Hafemann: Zunächst war Amnesty eine reine Gefangenen-Hilfsorganisation. Inzwischen arbeiten wir breit gefächert.
Heinke Hafemann: Ja, früher haben wir uns ausschließlich in Einzelfallarbeit direkt für Gefangene eingesetzt. Oft waren es Fälle in Südamerika. Einer in der Gruppe hatte direkten Kontakt zum Gefangenen und die anderen haben Briefe an Regierungschefs, Botschafter oder Hilfsorganisationen geschrieben. Heute werden immer noch Briefe geschrieben, aber nicht nur. Mittlerweile ist Amnesty eine Menschenrechtsorganisation, die Kampagnen gegen Folter, Todesstrafe, Menschenrechtsverletzungen und Armut ins Leben ruft und für Flüchtlingsschutz und die Achtung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte arbeitet. Amnesty betreibt viel Lobbyarbeit, um ihre Menschenrechtsanliegen bekannt zu machen. Wir betreiben Infostände und gehen zum Beispiel am Tag der Menschenrechte am 10. Dezember auf den Marktplatz und sammeln Unterschriften.
 
der reporter: Wie viele Briefe haben Sie in den 40 Jahren geschrieben, wie viele Unterschriften wurden gesammelt?
Heinke Hafemann: Das kann man schwer sagen. Wir schreiben jeden Monat mehrere Briefe. Es gibt die Eilaktionen, bei denen Mitglieder und Unterstützer in kurzer Zeit mobilisiert werden, um an die Verantwortlichen zu appellieren. Allein davon bearbeitet jeder in unserer Gruppe eine pro Monat. Dann die ganzen Mails, die die anderen Mitglieder verschicken – das kann ich schon gar nicht sagen, denn wir beide halten mehr davon, Briefe zu schreiben. Das ist unbequemer, denn Briefe kann man nicht einfach wegklicken.
 
der reporter: War oder ist es denn immer möglich, überhaupt in Kontakt zu den Gefangenen zu treten?
Heinke Hafemann: In vielen Fällen konnte nie ein Kontakt hergestellt werden, weder zu dem Gefangenen noch zu seiner Familie. Trotzdem haben die Gefangenen, wenn sie wieder frei kamen, berichtet, dass es geholfen habe, wenn viele Briefe kamen. Dann wurden sie weniger misshandelt und weniger isoliert. Diese Briefe hatten also durchaus Erfolg. Dann kam – vor allem in Südamerika – das sogenannte Verschwindenlassen auf. Menschen wurden verhaftet, kamen nach einem Monat wieder raus und verschwanden wieder. Häufig für immer. Daraufhin hat Amnesty die Arbeit erweitert und größere Kampagnen gestartet. Generell gilt: Je öffentlicher man eine Menschenrechtsverletzung macht, desto größer ist die Chance, dass die Regierung sie mildert.
 
der reporter: Wo liegen die Schwerpunkte und Erfolge so einer kleinen Gruppe wie in Neustadt?
Heinke Hafemann: Wir bekommen zwei Mal im Jahr einen Aktionskalender und beschließen dann, an welcher Aktion oder Kampagne wir als Schwerpunkt arbeiten wollen. Wir haben uns zum Beispiel lange mit den Themen Folter und Todesstrafe beschäftigt. Im Moment arbeiten wir an dem Nein zum EU-Türkei-Deal. Und Erfolge haben wir durchaus auch! Wenn ein Gefangener freigelassen wird, ist das immer ein großer Erfolg. Aber auch, wenn wir bei Menschen das Interesse an unserer Arbeit wecken können. Viele Vereine oder Verbände laden uns zu Vorträgen ein und informieren sich zu Themen wie Menschenrechtsarbeit oder Asyl. Das Interesse ist vielfach dank der Lobbyarbeit.
 
der reporter: Haben Sie, als Sie 1978 Amnesty beitraten, gedacht, dass es die Gruppe 40 Jahren später noch geben muss?
Wolfgang Hafemann: Wir haben vor 40 Jahren nicht geglaubt, dass Amnesty irgendwann nicht mehr nötig sein wird, aber wir hatten auch keine Vorstellung davon, welche Dimensionen das annimmt und wie viele Menschenrechtsverletzungen begangen werden.
 
der reporter: Wie kommt es, dass Menschenrechtsverletzungen so zugenommen haben?
Heinke Hafemann: Allein schon deswegen, weil so viele Menschen auf der Flucht sind und auch auf der Flucht wieder Menschenrechtsverletzungen passieren. Es gibt unglaublich viele Konflikte. Und in vielen Ländern begehen beide Seiten Menschenrechtsverletzungen. Wir haben das zum Beispiel in Syrien angeprangert, dass alle Parteien dort Menschenrechtsverletzungen begehen. Es ist leider nicht so, dass man auf der einen Seite den Bösen ausmachen kann und auf der anderen Seite den Guten.
 
der reporter: Was kann man dagegen tun?
Heinke Hafemann: Es wird sicher eine ganze Zeit lang wichtig sein, die Menschenrechtsverletzungen in den Konfliktgebieten weiter anzuprangern und zu versuchen, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Es reicht nicht, ein bisschen Geld in die Gebiete zu geben. Man muss ernsthaft daran arbeiten. Und dann ist die Frage, ob es eine Bekämpfung von Fluchtursachen ist, wenn Deutschland so viele Waffen exportiert. Unserer Meinung nach trägt das sicher nicht dazu bei, dass es friedlicher wird auf dieser Welt. Das Merkwürdige ist ja auch, dass manche Länder Protokolle unterzeichnet haben und Mitglieder der UN sind, aber sich nicht an die Vereinbarungen halten. Amnesty wird sicherlich noch lange damit beschäftigt sein, darauf zu achten dass die Menschenrechtsverletzungen weniger werden und dass Vereinbarungen eingehalten werden. Vieles ist zwar eine innerstaatliche Angelegenheit, aber Menschenrechtsverletzungen sind nie eine innerstaatliche Angelegenheit.
 
der reporter: Das heißt, die Ursachen im Land selbst bekämpfen. Gibt es dafür so etwas wie Präventionsarbeit bei Amnesty?
Heinke Hafemann: Amnesty macht Menschenrechtsarbeit an der Basis. Jeder kann mitarbeiten und im Rahmen seiner Möglichkeiten dabei helfen, Menschenrechtsverletzungen öffentlich zu machen. Prävention betreiben wir insofern nicht, als dass wir als nichtstaatliche Organisationen kaum direkt auf Regierungen Einfluss nehmen können. Wir bekommen Spenden von unseren Mitgliedern und Förderern, aber wir nehmen keine Spenden von Ländern oder Parteien an, um unabhängig zu sein.
 
der reporter: Hat sich das Interesse an Amnesty durch die Flüchtlingssituation verändert?
Heinke Hafemann: Nicht direkt an der Amnestyarbeit, aber das Interesse an der Arbeit mit Flüchtlingen hat sich enorm verstärkt. Ganz viele Neustädter haben uns angesprochen, weil sie helfen wollen. Und die haben wir dann vermittelt. Sie begleiten die Flüchtlinge im Alltag und versuchen, den Flüchtlingen das Gefühl zu geben, dass sie hier willkommen sind. Und das ist sehr, sehr gut! (he)
 
Empfang zum Jubiläum
Anlässlich des 40-jährigen Bestehens lädt die Amnesty International Gruppe Neustadt am Freitag, dem 16. September um 17 Uhr ein zu einem Empfang mit anschließendem Vortrag im Gebäude der Freien Evangelischen Kirche Neustadt, Am Binnenwasser 5. Referent ist Wolfgang Grenz, ehemaliger Generalsekretär von Amnesty Deutschland und erster Referent für Flüchtlings- und Asylfragen bei Amnesty überhaupt. Des Weiteren zeigt das Koki am Donnerstag, dem 22. September um 20 Uhr den Film „Seefeuer“, der bei der Berlinale 2016 den Amnesty-Filmpreis erhielt sowie als bester Film den Goldenen Bären. (he)


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