Ireen Nussbaum

Dem Buchstabengewirr einen Sinn geben Stadtbücherei stellt neuen „Alpha-Point“ vor

Neustadt. „Es ist wie eine Buchstabensuppe im Kopf - einzelne Buchstaben, Zahlen oder Wörter kreisen in den Gedanken, ergeben jedoch weder Sinn noch Verstand: In Deutschland leben rund 7,5 Millionen sogenannte funktionale Analphabeten zwischen 18 und 64 Jahren, davon rund 250.000 in Schleswig-Holstein und circa 28.000 in Ostholstein, die unfähig sind die Schrift im Alltag so zu gebrauchen, wie es im sozialen Kontext als selbstverständlich angesehen wird“, weiß Stadtbüchereileiterin Sabine Stryga. „Ausreden wie die Brille vergessen oder die Hand verletzt, ermöglichen es Betroffenen oft jahre- bis jahrzehntelang, in ihrem Umfeld nicht aufzufallen“, kennt Filialleiter der Sparkasse Holstein Tim Dummer nur zu gut. „Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, bleiben von vielen alltäglichen Dingen ausgeschlossen, die für andere ganz selbstverständlich sind“, erläuterte Sabine Stryga weiter und weiß, dass viele Analphabeten durch die Digitalisierung einen großen Druck verspüren: „Sie müssen online mithalten können, da sie sonst Gefahr laufen, ausgeschlossen zu werden. Früher wurde mehr geredet - heute erfolgt die Kommunikation fast ausschließlich online oder per WhatsApp.“
 
Mit der Kampagne „Lesen macht Leben leichter“ haben der Landesverband der Volkshochschulen und die Büchereizentrale bereits im vergangenen Jahr gemeinsam ein Angebot entwickelt, wobei Büchereien von den schleswig-holsteinischen Sparkassen mit Medienboxen ausgestattet wurden (der reporter berichtete), um die Lese- und Schreibfähigkeit von Erwachsenen zu fördern. Ein starkes Netzwerk aus Institutionen und Verbänden unterstützt dabei dieses Vorhaben, dessen Schirmherrschaft Ministerpräsident Torsten Albig übernommen hat.
 
„Viele Menschen haben in der Schule nicht richtig lesen gelernt oder vieles wieder vergessen. Aber zum Lernen ist es nie zu spät“, bekräftigte Wilhelm Lange von der Volkshochschule (vhs) Neustadt und erläuterte weiter: „Um die Lesekompetenz in Neustadt und der Umgebung nachhaltig zu fördern, unterstützt die vhs seit drei Jahrzehnten Erwachsene beim Lesen lernen. Unsere Kurse richten sich an Analphabeten mit wenig Buchstabenkenntnissen, großen Rechtschreibschwierigkeiten und einem geringen Maß an Lese- und Schreibverständnis.“ Er wisse, dass bei vielen Betroffenen, die nicht lesen können, ein starkes Schamgefühl hervorrufen wird und es Überwindung koste, einen Alphabetisierungskurs zu besuchen. Gerade deshalb seien Einrichtungen wie Volkshochschulen und Bibliotheken passende Orte für solche Hilfsangebote. Ein Grund, weshalb die Stadtbücherei und die vhs ihre Zusammenarbeit im Rahmen der Alphabetisierungskampagne fortsetzen und den neu eingerichteten und von der Sparkasse Holstein finanzierten „Alpha-Point“ vorstellten.
 
„Die öffentlich zugängliche Infostelle bietet über Notebook und Tablet Zugang zu Fachinformationen und Anregungen zum Selbstlernen. Die Einbindung von eLearning-Portalen sowie weiterer Lernsoftware soll Lernenden auch außerhalb der Alphabetisierungskurse die Möglichkeit geben, das Gelernte zu vertiefen und anzuwenden. Betroffene sollen niedrigschwellig an die Kurs- und Medienangebote der Kampagnenpartner herangeführt werden“, fügte die Stadtbüchereileiterin an.
 
Ziel der Kampagne sei es, die Lesefähigkeit zu fördern und gleichzeitig das Bewusstsein und Verständnis einer breiten Öffentlichkeit für die Situation erwachsener funktionaler Analphabeten zu wecken. Besonders Familienmitglieder, Arbeitskollegen, Nachbarn, Freunde und Bekannten seien dazu angehalten Betroffene auf die Hilfsangebote aufmerksam zu machen und sie zu ermutigen Alphabetisierungskurse zu belegen.
 
Der „Alpha-Point“ ist kostenlos montags bis donnerstags von 9.30 bis 12 Uhr sowie 14 bis 17.30 Uhr, freitags von 9.30 bis 12.30 sowie 14 bis 18.30 Uhr und samstags von 9.30 bis 12.30 Uhr öffentlich zugänglich. (inu)


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