Petra Remshardt

Moment mal

Wie lange noch?
Ja, wie lange noch geht das weiter mit der Corona Pandemie, mit den hohen Todeszahlen und den hohen Raten der Neuinfektionen, den Schließungen der Geschäfte, den Kontaktverboten und sogar der Schließung unserer Kirche für öffentliche Gottesdienste? Wie lange geht das noch? Wann wird alles wieder gut? - Ich muss gestehen, ich weiß es nicht. Und wenn wir ehrlich sind, niemand weiß es. Und das macht Angst, macht zornig und viele suchen Sündenböcke oder hören auf alle möglichen Parolen und Verschwörungstheorien. Viele sind ungeduldig - das muss doch mal ein Ende haben. Eine Ungeduld, die mir nur allzu vertraut ist.
Aber in den letzten Wochen kam mir ein wichtiger Abschnitt der Geschichte des Gottesvolkes in den Sinn, das babylonische Exil. Auch für Israel war das Leben, das die Menschen kannten, vorbei. Viele hatten bei der Invasion der Babylonier geliebte Menschen verloren. Das Land, von dem sie lebten, die Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz, war verwüstet. Keine Gottesdienste mehr, denn der Tempel war zerstört. Stattdessen saßen die Überlebenden der Katastrophe an den Strömen von Babylon und weinten (Vgl. Ps 137). Verzweiflung und Mutlosigkeit machten sich breit. Gott hatte sie - so schien es - verlassen.
Aber dann geschieht etwas Erstaunliches. Mitten in der Trostlosigkeit fangen die Verschleppten wieder neu an, nach Gott zu fragen. Sie erzählen sich die alten Gottesgeschichten von Abraham und Josef, der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten und legen sie neu aus. Sie sammeln die Überlieferungen der Propheten und es entstehen neue, großartige Texte der Bibel genau in dieser Zeit. Denn Israel hat mitten in der Krise wieder neu zu Gott gefunden. Die Gewissheit, dass er ihnen Zukunft schenken wird. Mag es noch so lange dauern und mag diese Zukunft auch anders aussehen als erhofft, aber es wird eine gute Zukunft sein.
Diese Erfahrung Israels kann auch uns in diesen dunklen Tagen und in unserer Ungewissheit Mut machen. Auch unser „Exil“ wird einmal enden, auch uns will Gott Zukunft schenken. Und die Zeit der Isolierung könnte ja auch für uns der Anlass sein, unseren Glauben neu zu entdecken und zu der Erfahrung zu gelangen, die ein Kirchenlied so ausdrückt.
„Und ob es währt bis in die Nacht und wieder an den Morgen, doch soll mein Herz an Gottes Macht verzweifeln nicht noch sorgen.“ (GL 277)
In diesem Sinne wünsche ich uns allen, dass wir unsere Zeit des „Exils“ - es werden ja nicht, wie im Falle Israel, 70 Jahre sein - mit Gottvertrauen durchstehen.
Ihr Pastor Andreas Hasse


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